Ukraine: Nation Building in Europa – ein letzter Versuch

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Bandera im Kosakenkostüm. Wikimedia Commons, Autor unbekannt

Während den Amerikanern im Irak die Trümmer des (angeblich von ihnen gewünschten) “Nation Building” um die Ohren fliegen, steht der Ukraine ein solcher Anlauf noch bevor. Dieser sollte erfolgreicher als im Irak verlaufen, wenn EU und Russland kein 600.000 km2 großes, chaotisches Bürgerkriegsgebiet vor ihrer Haustüre haben wollen.

Für einen eigenen ukrainischen Staat gibt es für die Zeit von  vor 1991 praktisch keinerlei historisches Beispiel. Im Mittelalter, um das Jahr 1.000 existierte ein ostlawisch-skandinavisches Großreich (Kiewer Rus), das eher zur Vorgeschichte des heutigen Russland zu zählen ist.

Nach dem Zusammenbruch des Mongolenreichs war die heutige Ukraine viele Jahrhunderte ein zerrissenes Gebiet – zwischen Polen/Balten, Osmanen, Russen und Österreichern.

Lediglich im 17. Jahrhundert entstand zwischen Polen und Russland ein Kosakenstaat, den man aus heutiger Sicht als relativ frei und unabhängig einschätzen könnte. Ihm war aber kein langes Leben beschieden.

Im 20. Jahrhundert wurden die Ukrainer im Abstand von ein paar Jahrzehnten Opfer von Umsiedlungen und staatlicher Gewalt bis hin zum Genozid. Bei diesen Greueln haben sich die Russen/Sowjets und Deutschen/Nazis besonders hervorgetan (nach dem Ersten Weltkrieg waren auch die Polen nicht gerade ohne – “ethnic cleansing”.)

Die meiste Zeit über befand sich die Ukraine aber in einem Staatsverband mit der Sowjetunion und was sie dort erlebt hat, hat sie nicht gerade versöhnlich gegen den russischen Teil in ihrer Erbmasse gestimmt. Deshalb ist der Wunsch, sich den Nachbarn im Osten vom Leib zu halten, durchaus verständlich.

Doch was ist das historische Vorbild ihres heutigen Staatsbildungsversuchs ? Vielleicht das Reichskommissariat nach 1941?

Und was ist die ukrainische Nation eigentlich? Es gibt beachtliche historische Argumente dafür, dass wenigstens das Gebiet östlich des Dnjepr kulturell immer irgendwie russisch gewesen ist. Und seit dem Hitler-Stalin-Pakt war auch das Gebiet westlich davon  “russisch”, eigentlich sowjetisch (mit Ausnahme von drei Reichskommissariats-Jahren).

Das Ende der Sowjetunion bedeutete auch das Ende von Yalta und seither ist das Land wieder herrenlos – im positiven Sinn. Ist sie dadurch aber wirklich selbstständig geworden ? Hat ein Prozess der Nationswerdung eingesetzt? Vielleicht gar eine genuine “Europäisierung”/Westorientierung (abgesehen vom Wunsch, der großteils hausgemachten wirtschaftlichen Misere zu entkommen) ?

Die Fragen kann man getrost verneinen. Die kulturelle Spaltung ist erhalten geblieben und die Ukraine – wie sie von Krawtschuk und Kutschma erschaffen wurde -, ist ein Oligarchenstaat, kein irgendwie westeuropäisches poltisches System.

Die Russen wissen das, aber jene, die die Ukraine nicht als “geheiligt-russischen- Boden-seit-dem-Urschleim” ansehen, haben kein Problem damit, wenn die Europäer den Nachbarn unter ihre Fittiche nehmen – sofern sie ein großzügiger Vormund sind und sie für die Kosten, die der Problem-Zögling verursacht, aufkommen (und z.B. die Gasschulden begleichen.). Was auch diese Russen nicht wollen, ist ein Vasallenstaat der Amerikaner bzw. ein aggressiver Feindstaat an ihrer westlichen Grenze.

Und genau da liegt der Hund begraben, der erste Hund. Das ist der Punkt, an dem die russischen Zweifel einsetzen. An dem davon gesprochen wird, dass die heutige Ukraine ein okkupiertes Gebiet ist, weil NATO-Militärberater und andere Krieger des Imperiums bei der Niederschlagung des “Separatistenaufstands” im Osten helfen – auch mit Terror gegen zivile Ziele. Saurovka lässt grüßen.

Das ist der Punkt, an dem die Ukraine Banderastan genannt wird, nach Stepan Bandera, einem 1959 vom KGB ermordeten “Nationalhelden”. Bandera war ein ukrainischer Nationalist, der z.B. auch gegen Polen kämpfte – wahr ist aber auch, dass er und seine Bewegung nach 1941 im Schatten der deutschen Wehrmacht segelten.

Die Parteigänger Banderas wurden und werden von den Russen hüben und drüben als echte Nazis angesehen. Als ethnisch/rassistisch motivierte Todesschwadronen, die das grausame Massaker in Odessa begangen haben.

Diese Leute sind es, die für die Russen den ukrainischen Nationalismus repräsentieren, vielleicht zu Recht. Es sind die politischen Enkel jener Kollaborateure, die 1941-44 durch Ströme von russischem, jüdischem und polnischem Blut gewatet sind.

Dies ist auch jene Partie, die nach 1945 CIA und MI6 geholfen hat, die sowjetische Teilrepublik Ukraine zu unterwandern. Ein 2010 erschienenes, auf Primärquellen basierendes Buch belegt die enge Zusammenarbeit zwischen den westlichen Geheimdiensten und der Organisation Ukrainischer Nationalisten (Breitman, Goda, Hitler’s Shadow, Nazi War Criminals, US Intelligence and the Cold War, ab S. 73)

Aus diesen Gründen trauen heute die “Russen” diesen Ukrainern nicht einmal ein bisschen.

Es gibt einen weiteren Grund, warum viele Ukraine-Russen auch die EU nicht gerne sehen (abgesehen davon, dass diese das Geschäft der Amerikaner besorgt). Der ist: Der Anschluss an den Binnenmarkt würde den Todesstoß für die Schwerindustrie im Donbass bedeuten. So wie die deutsche Wiedervereinigung in den 1990ern das Ende für die ostdeutsche Industrie bedeutet hat.

Der wesentliche Unterschied ist nur: die westdeutschen Steuerzahler haben sich dieses “Vergnügen” ein paar hundert Milliarden Euro kosten lassen (von denen ein Teil tatsächlich im Osten angekommen ist, immerhin).

Den aufgeweckteren unter den Ukrainern (auch in den westlichen Landesteilen) ist aber klar, dass sich das in ihrem Land nicht wiederholen wird.

Irgendwie haben die Separatisten im Osten wirklich die größte Arschkarte gezogen.

Die “Demokraten” aus Kiew und ihre Banderasten-Freunde bombardieren sie mit Gusto und dem besten Gewissen der Welt – mit tätiger Mithilfe bzw. schweigender Zustimmung der westeuropäischen Politiker und Medien.

Und doch will Wladimir Putin den Ostukrainern partout nicht den Gefallen tun, einzumarschieren und ihnen Leben und Job zu retten. Putin lässt sie zwar immer wieder “Waffen finden”, scheint aber nicht den Ehrgeiz zu haben, vor der Geschichte für das Scheitern eines wahrscheinlich bereits gescheiterten Staats verantwortlich gemacht zu werden.

Demgegenüber scheinen die Krimbewohner wirklich das große Los gezogen zu haben. Nicht nur, dass sich Mütterchen Russland die Rückkehr Milliarden kosten lassen wird; das Risiko auf der Krim vom rechten Sektor massakriert zu werden, ist darüber hinaus ziemlich gering. Denn die Halbinsel gehört jetzt zur Russischen Föderation. Und jede Kriegshandlung gegen sie wäre auch eine gegen Russland.

Unabhängiger Journalist

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