Dieser Blog, der sich u.a. dem Streit qualifizierter Meinungen verpflichtet fühlt, hat hier einen Text eines langjährigen Gastbeiträgers gebracht, in dem bezüglich Gaza gefordert wird, was auch die israelische Regierung möchte - nämlich freie Hand bei der letzten Etappe des israelischen Feldzugs gegen den formal autonomen Gaza-Streifen. Dieser Blogger mit dem Pseudonym Andreas van de Kamp ist hier aber nicht nur “Herausgeber/CR”. Als “Schreiber” ist er bei manchem des im Text Ausgeführten mit dem Gastautor einverstanden, nicht jedoch mit dessen Gesamtsicht des Konflikts – und auch nicht mit manchen Interpretationen einzelner Fakten. Vor allem diese sollen folgend hinterfragt werden.
Das Problem dieses Blog-Schreibers beginnt schon bei der einleitenden Feststellung des Beiträgers, die USA unter “Ol’ White Joe” hätten Israel Ende März 2024 “im Stich gelassen”.
Während eine Menge, wahrscheinlich wahltaktisch motiviertes Ablenkungsgehampel unbestritten bleiben soll, kann ich das Behauptete nicht erkennen - und der juristisch gebildete Autor führt in seinem Sub-Kapitel “Unverbindliche UN-Resolution” selbst minutiös aus, warum Zweifel angebracht sind:
Das ständige UNSC-Mitglied USA hat sich im Sicherheitsrat nämlich als einzige der Stimme zur Resolution 2728 enthalten, weswegen diese
- mit dem erforderlichen Quorum von mindestens 9 Stimmen zwar angenommen wurde,
- aber eben nicht rechtsverbindlich ist.
Das läuft tatsächlich auf einen symbolpolitischen Erfolg der Hamas hinaus, während gleichzeitig der IDF völkerrechtlich freie Hand gegeben wird, ihr blutiges Geschäft zu vollenden.
Derlei Feinheiten können an Laien zunächst vorbei gehen,
- speziell wenn ein Sprecher der israelischen Regierung verlautet, der Iran bzw. die Hamas hätten die Annahme der UNSC-Resolution “hämisch gefeiert”
(Ausnahmen mögen hier Leute wie Max Blumenthal bilden, die trotz Herumwurstelns in Washington DC kaum für Biden stimmen werden).
Die soeben geschilderte “doppelte Sachlage” kann einem völkerrechtlich gebildeten Juristen aber nicht verborgen bleiben.
Der Anschein, den der israelische Regierungssprecher erwecken will, ist jedenfalls offenkundig propagandistischer Bullshit.
Die Hamas in Gaza-Stadt bzw. der Iran verkünden halt gern große Siege, so wie fast alle Regierungen auf die eine oder andere Weise angeben & bullshitten
- und ein vifer Beobachter der internationalen Szene weiß das klarerweise.
(Natürlich bemerken etwas langsamer auch die “ungewaschenen Massen”, dass sie gleich von zwei Seiten verarscht werden, sie kennen nur die Charta mit den Regeln der UNO nicht).
Ja, das UNSC-Votum war – wie charakterisiert – ein “Winkelzug”,
aber das mit der “fatalen Signalwirkung” kann man nur glauben, wenn man annimmt, dass das Publikum vom Siegesgeheul aus Gaza-Stadt und Teheran beeindruckt ist,
gleichzeitig aber nicht mitkriegt, dass die Vertreibungspolitik der Israelis ohne völker- bzw. UN-rechtliche Konsequenzen weiter gehen kann.
Interview mit Donald
Der nächste Punkt sind Aussagen des mutmaßlichen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, die wohl ebenso wahltaktisch motiviert sind wie jene von Biden bzw. dessen Außenministers Blinken
(Team Biden scheint davon auszugehen, dass das Elektorat in den USA ignoriert, dass die USA im UNSC nichts unternommen haben, was ihren “alten Verbündeten” irgendwie juckt. Angesichts bedenklicher Umfrageergebnisse greift man zu einem Täuschungs-Strohhalm, von dem man glaubt, man könne damit “linke Wähler” vom Daheimbleiben im kommenden November abhalten).
Ein Einschub zu Trump: Dieser Blogger, dem gern zugeschrieben wird, er sei ein Apologet des Donald Trump, war/ist nichts dergleichen; er verwehrt sich nur gegen die Tendenz, den Rechts-Popo mit anderen Maßstäben zu messen als dessen politische Konkurrenten.
Trump sagte, wie im Beitrag zitiert, kürzlich den Interviewern einer konservativen israelischen Zeitung, er hätte auch so gehandelt wie die Regierung Netanjahu und Israel müsse den angefangenen “Job” nun möglichst rasch “fertig machen”
- Nun ist etwas, was Trump sagt, weder automatisch falsch noch ist das Gesagte umgekehrt die “Heilige Schrift”.
- DJT verhält sich in dem Interview eigentlich so, wie das von einem stinknormalen Politico zu erwarten wäre.
- Das heißt: Er redet nicht nur seinen Interviewern nach dem Mund, er äußert sich auch “stimmenmaximierend” im Hinblick auf den November 2024. Das mag angesichts eines fehlenden VP-Kandidaten vom Zuschnitt eines Mike Pence besonders wichtig sein, wer weiß. Auf der “christlich-zionistischen” Rechten können für Trump jedenfalls viel mehr Stimmen verspielt werden, als auf der Biden-müden Linken gewonnen werden können (“Max” wählt den Donald eh nicht, Biden aber wohl auch nicht). Und wenn’s dann noch Geld vom AIPAC oder Ähnlichen gibt – umso besser.
- Insofern sollte man Trumps aktuelle Aussagen nicht überbewerten – insbesondere nicht, was dessen Sentiment gegenüber Israel angeht. Aber es reicht ja vorerst einmal, wenn die USA aufhören den “Weltpolizisten” zu spielen. Dran sind zuerst eh nur die Vasallenstaaten in Europa.
- Resümierend scheint es vermessen draus zu schließen, dass Trump die Situation in Gaza “verstanden hat”. Wenn, dann hat er verstanden, dass die Wahl im kommenden November keine “gemähte Wiese” für ihn ist und dass er auf die Stimmen des “christlich zionistischen Wählerpotenzials” besser nicht verzichtet.
Vom Jordan bis zum Mittelmeer
Drittens – und damit soll es mit den “Details” auch schon sein Bewenden haben – ist die Behauptung, dass der Slogan “from the River to the Sea, Palestine will be free” einen “zweiten Holocaust” impliziere.
Das ist auch und speziell dann Bullshit, wenn ein Großhistoriker wie Niall Ferguson es behauptet
(es wäre natürlich auch BS, wenn Papst Locherl oder die Annunaki derlei proklamieren würden;
davon abgesehen, scheint der britisch-amerikanische Akademiker von irgendwoher zu wissen, dass die IDF Opfer minimiert, wohingegen die Hamas rücksichtslos gegen die eigenen Leute vorgeht ).
“From the (Jordan) River to the (Mediterranean) Sea” ist – wie überall nachzulesen -, eine PLO-Losung aus den 1960ern, die spiegelbildlich auch von Likud in den 1970ern verwendet worden ist.
Es scheint mithin ein Slogan für alle jene zu sein, die ein Groß-Palästina oder ein Groß-Israel wollen, einen einheitlichen Staat, der jeweils vom Jordan bis zum Mittelmeer reichen würde.
In beiden Fällen kann, muss die (versuchte) Extermination der jeweils anderen ethnischen Gruppe aber nicht Folge sein
(es kann dagegen durchaus sein, dass bei “one man, one vote” Israel künftig aufhören würde, als “Juden-Staat” <”Spiegel”> zu existieren; man sehe sich dazu die Zahlen nicht-offizieller israelischer Geo-/Demographen an).
“Big Picture”
Womit wir bereits bei den “größeren Themen” wären.
Ganz bei Dr.Dr. Schimanko ist dieser Blogger in der Ablehnung der Kategorisierung des Gaza-Feldzugs als “Genozid”, nach aktuellem Begriffsverständnis wenigstens. Es stellt sich halt
- nur die Frage, ob die Freunde Israels mit der Bezeichnung “ethnische Säuberung, auch unter Einsatz militärischer Mittel” zufriedener wären.
- Es ist auch korrekt, dass bis dato gut 30.000 tote Gaza-Palästinenser durch militärische Gewalt nicht extrem arg sind, gemessen an der “Tötungs-Leistung”, die mit (konventionellen) kinetischen Waffen möglich wäre (die Frage der Aufteilung zwischen Kämpfern und Zivilisten bleibe hier erst einmal unbeleuchtet. “13.000 tote Hamas-Kämpfer” gehen jedenfalls auf eine Angabe der IDF zurück , einer “direkt kriegführenden Partei”).
- Offen muss hier auch bleiben, ob man – “wenn die Geschichte aus ist” – nicht doch von einem Genozid sprechen muss, wenn zwei Millionen Palästinenser beispielsweise in die Wüste Sinai vertrieben werden – ohne Möglichkeit ihre primitivsten Lebensbedürfnisse zu decken. Wenn das dann kein Genozid sein sollte, plädiert dieser Autor dafür, z.B. das brutale Vorgehen der deutschen Kolonialmacht gegen die aufständischen Herreros noch einmal aufzurollen und dessen Qualität neu zu beurteilen. “Völkermord” ist für 1904 dann ja wohl auch nicht der richtige Begriff.
Und schließlich bin ich wohl mit Schimanko eines Sinnes, dass hier in Mitteleuropa wahrlich keine “sich verfestigenden” palästinensischen Flüchtlinge gebraucht werden (natürlich mit Ausnahmen),
Menschen/Familien, die womöglich “auf Regimentsunkosten” erhalten werden müssen.
Das (ursprüngliche) Asylrecht mag ok sein, aber das war idR was Individuelles bzw. Temporäres.
Auch “Zahlemann auf Rechnung hiesiger Staatsbürger” (Steuerzahler und Transferempfänger) geht künftig nicht mehr
- jedenfalls nicht, nachdem die mit fremden Mitteln großzügig umgehenden hiesigen Politicos “mit dem nassen Fetzen davongejagt worden sind”.
Bleiben Meinungsverschiedenheiten zwischen Blogbetreiber und Gastautor beispielsweise über
den Charakter des Kriegs im Gaza-Streifen an sich.
Ich für meinen Teil glaube das Narrativ des militärisch geführten Antiterror-Kampfs nur sehr beschränkt. Auch wenn die Tötungsrate der IDF im vergangenen halben Jahr hätte höher sein können (siehe oben)
- das bisher bekannte Verhältnis von israelischen zu palästinensischen Todesopfern spricht Bände
(hab das mal irgendwo überschlagen. Es liegt bei etwa 1:25)
Genau genommen ist das eine einzige Unverhältnismäßigkeit, für die andere vor einem “internationalen Tribunal” landen würden.
Die Austreibung von Millionen arabischstämmiger Palästinenser aus dem prospektiven “Einheitsstaat zwischen river and sea” (“Israel & territories”) ist für den getriebenen Aufwand ein zumindest ebenso gutes Motiv wie der Kampf gegen den Terror.
Ginge eine solche mögliche Kalkulation der Vertreiber auf, wäre selbst in einem großen Einheitsstaat eine nicht-arabische Mehrheit für ein paar weitere Jahrzehnte gesichert.
Dieser Blogger ist aber sowieso der Meinung, dass alles anders kommen wird als die Lineardenker auf beiden Seiten heute glauben.
Unser “globales Energie-Prädikament” wird auch an Israel bzw. Palästina nicht vorbei gehen.
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