Wohlfahrtsstaat & “Solidarität” aus Sicht etatistischer Ideologen

cover_resizedNorwegische Soziologen räsonnieren einen Sammelband lang über “Spannungen zwischen den Generationen und Solidarität in fortgeschrittenen Wohlfahrtsstaaten” und finden heraus, dass zeitgenössische Sozialstaaten den Anschein von Ewigkeit sowie neuartige Ansprüche Jüngerer miteinander vereinbar machen müssen. Die Beiträger glauben zwar durch die Bank an die “Resilienz” der welfare states & lassen sich über deren Finanzierung daher keine grauen Haare wachsen (womit die Baby-Boomer anno 2021 bereits aufwarten können). Das ist womöglich leichter gesagt, wenn 5 Millionen Menschen alle Naturreichtümer der Nordhalbkugel zu Füßen liegen. Vlt. lässt sich’s so auch trefflich über “Solidarität” schwadronieren. Eine dubiose (wiewohl typische) Pauschalierung ist “Solidarität” in dem Zusammenhang dennoch.

Das ist so, weil große Teile der “Sozialleistungen” nach dem Muster von Reziprozität bzw. Versicherung funktionieren und sich über Beiträge refinanzieren, z.B. Pensionen und “Gesundheitskassen”.

Das ist zumindest in Mitteleuropa so (in Norwegen wird das nicht radikal anders sein). Der Theorie nach zahlt sich also jede sozialversicherte Person Rente und Krankenhausaufenthalte selbst, meist zeitversetzt.

Die “Demographie”, ökonomische Veränderungen, aber auch Unfähigkeit & Tugendsignalisiererei angeblich bevollmächtigter Politicos

bzw. deren “systemisch bedingter Wettbewerb” machen das ohnedies prekäre System vorzeitig instabil.

Nun sei nicht bestritten, dass es in europäischen Sozialsystemen tatsächlich unterschiedlichste “Solidarleistungen” gibt,

in Österreich z.B. die bedarfsorientierte Mindestsicherung/Sozialhilfe, die Ausgleichszulage (via Steuer) oder den Familienlastenausgleichsfonds (über Beiträge, teilweise).

Aber den “Wohlfahrtsstaat” einfach mit Solidarität kurz zu schließen, ist

  • eine Mystifikation, die die Realität verzerrt und
  • dem oft skrupellosen Verhalten von Sozialbürokraten und Politicos Vorschub leistet.

Solidarität oder Reziprozität?

Analoges gilt für die im Zentrum des Readers stehende “intergenerationelle Solidarität”

(deren Status Quo die Autoren meist temperiert-ausgewogen beurteilen, à la:

Es gibt in Europa Nuançen bei der Verteilung <quasi>staatlicher Ressourçen, aber keine extreme Schieflage zu Lasten der Jungen.”)

Dennoch darf bezweifelt werden, dass “Solidarität” der richtige Begriff zur Charakterisierung der Beziehungen zwischen unterschiedlichen Generationen ist.

Warum?

Weil dieser Begriff in Politik, Agitation und Wissenschaft heute dazu verwendet wird, wirklichen oder angeblichen Erzeugern von Überschüssen Geschenke  aus den Rippen zu leiern,

für die es keine oder nur symbolpolitische Gegenleistungen gibt.

Existenzsicherung für Alte und junge Familien beruht aber auch unter Bedingungn eines “fortgeschrittenen Wohlfahrtsstaats” auf Gegenseitigkeit,

so wie die aus “ethnologischer Feldforschung” bekannte Reziprozität:

Ziehst Du mich groß und hilfst mir ggf. bei der Aufzucht meiner eigenen Kinder, helfe ich Dir auf den mühsamen letzten Metern deines Erdenlebens.”

Die Reziprozität zwischen Eltern und Kindern ist Urbild dieser alten sozialen Norm

- keinesfalls aber deren alleinige Form

(und sie ist auch nicht auf vorindustrielle bzw. “vormarktliche” Verhältnisse beschränkt). Reziprozität “geht” auch  urbanisiert, anonymisiert und in nationalem Maßstab.

Solidarität ist freilich etwas ganz anderes. Der heutige Solidaritätsbegriff ist die “politisch korrekte” Benennung eines Verhaltens, das früher “plump” als “(einseitige) Hilfe” bezeichnet wurde.

Klimakatastrophe oder Energiekrise?

Ein Generationen-Begriff der mit unterschiedlichen Konzepten nicht geizenden Soziologen (“”social generation”/Mannheim, “kinship” und “ascriptive generation”) bezieht sich auf die “future generations”,

die gemäß heutiger Auffassung Leidtragende einer papageienartig vorhergesagten “anthropogenen globalen Klimakatastrophe” sein werden;

Opfer des skrupellosen Verhaltens heutiger Generationen, die sich durch das hemmungslose Emittieren von CO2 am Gemeingut auch künftiger Generationen versündigen sollen.

Dieses fragwürdige Narrativ ist auch die Basis für die Ehrerbietung, die z.B. unserer How dare you-Greta entgegen gebracht wird, einem Teenager,

der wenig Ahnung von Atmosphärenphysik und nicht einmal eine vom Größenordnungen hat.

Was, wenn die “auch von der Wissenschaft” antizipierte globale Klimakatastrophe ausbleibt

- die Menschheit aber wieder auf den energetischen Status Quo des Jahres 1800 abstürzt?

Auch das könnte als Beispiel für die Tragedy of the Commons interpretiert werden, ausgelöst vom Heißhunger Heutiger nach dichter Energie.

Asgeir Falch-Eriksen, Marianne Takle, Britt Slagsvold, Generational Tensions and Solidarity Within Advanced Welfare States. 2021

Unabhängiger Journalist

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