Zeitungssterben: Trotz ePapers bröselt die Auflage weiter

Die Österreichische Auflagenkontrolle hat ihre Zahlen für das erste Halbjahr 2015 veröffentlicht, die zeigen, dass die Rückgänge bei den Tagblättern weiter gehen. Das, obwohl neue elektronische Ausgaben erstmals flächendeckend mitgezählt wurden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind die mit viel Vorschußlorbeer bedachten Tablett-Zeitungen ein Schuss in den Ofen gewesen – bisher. Doch die statistischen Grundlagen für das öffentlichkeitswirksame Comeback von Print sind gelegt. Edit zum Thema Erlösprüfung bei ePapers.

Folgend eine Tabelle mit den gemeldeten Verkaufszahlen der österreichischen Tageszeitungen (“gesamt”), jeweils für das erste Halbjahr. Die Tabelle beginnt 2013, also nachdem Veränderungen im Meldesystem stattgefunden haben. Als Maßstab für die Kaufzeitungen wird ihre verkaufte Auflage im Wochenschnitt herangezogen. Quelle ist natürlich die ÖAK, die Halbjahreszahlen 2015 sind noch unkorrigiert und auf der Homepage downzuloaden.

 2013  2014  2015  2013/15 in %
 Krone  805320  786008  771867  - 4,2
 Kleine  279289  277990  278870  - 0,2
 Kurier  155522  145788  138319  - 11,1
 Presse  71675  70292  69399  - 3,2
 Standard  68720  67227  64370  - 6,3
 SN  68351  66745  67602  - 1,1

Die Tabelle zeigt, dass in der angeführten Auswahl nur die Kleine und die SN durch die ePapers leicht gewonnen haben (2014/15). Die anderen verloren teilweise stark.

Über das enttäuschende Ergebnis der ÖAK wahrten die Journale weitgehend Funkstille. Eine Ausnahme bildete der Kurier, der es geschafft hat, seit 2013 elf Prozent “Verkaufte” zu verlieren. Das Blatt informierte seine Leser folgendermaßen:

kurier_auflagen

Ein etwas längerfristiger ausgerichteter Blick zeigt, dass unter den Kaufzeitungen lediglich die Oberösterreichischen Nachrichten und die Kleine eine einigermaßen stabile Auflage haben. Derlei kann übrigens auch der Presse mit ihren seltsam hohen ePaper-Verkäufen nicht nachgesagt werden.

Ein solcher langer Blick scheint zunächst ein bißchen problematisch, weil die ÖAK zu Beginn 2013 einen (bewusst herbeigeführten ?) statistischen Bruch aufweist. Die Auflagenkontrolleure selbst raten von über ihn hinweg reichenden Vergleichen ab. Ganz eigentlich halten sie nur Vergleiche der Druckauflage für koscher.

Keine_Vergleiche
Einfach unvergleichlich

Das wäre freilich so, als würde man einen Dauertest für Präzisions-Chronometer anhand des Kriteriums “richtige Datumsangabe” durchführen.

Objektiv bestehen m. E. keine stichhaltigen Gründe, (grobe) Vergleiche über die Kluft 2012/2013 hinaus nicht anzustellen. Die ÖAK scheint mit ihrer Empfehlung eher den Empfindlichkeiten schrumpelig gewordener Mitglieder Rechnung zu tragen, die einen Vergleich mit besseren Zeiten scheuen. (Wenn die Veränderungen 2013 das Bild irgendwie verzerrt haben, dann haben sie es noch geschönt. Sie schmeicheln den Geprüften eher, z.B. durch die Verdoppelung der anerkannten Großverkäufe. Einen Überblick über die Neuerungen bekommt man in der ÖAK-Auflagenliste 1. HJ 2013).

Längerfristig, auf fünf Jahre, bestätigt sich das oben gezeichnete Dreijahresbild: Ein Fahrer aus dem Hause Mediaprint und deren schärfste Kritikerin führen im Abwärtswettlauf der verkauften Auflage, mit einem Minus von 13 bis 15 Prozent (Kurier, Standard). Die nächsten Verfolger sind die Zeitung mit dem großen Horizont (Presse, etwa minus 8 Prozent), ex aequo mit der Tiroler Tageszeitung (Mander, s’isch Zeit).  Im Mittelfeld schlagen sich Krone, SN und VN mit einem Minus von 4 bis 6 Prozent durch – eigentlich bemerkenswert gut. Kleine und Nachrichten liefern das verlegerisch wohl beste Rennen (in Gunstlagen).

Kaufzeitungen scheinen jedenfalls ein Auslaufprodukt zu sein. Die einzige Frage, die sich im Grund stellt, ist: Wie lange machen sie’s noch – 5, 10, 15 Jahre ? Bei ihren schrillen Verwandten, den Gratiszeitungen, ist das etwas anders. Heute und Österreich schaffen es noch immer, die Auflage ein wenig zu steigern (die verbreitete natürlich).

Es ist auf alle Fälle ziemlich beruhigend, wenn ÖAK-Dame Alexandra Beier-Cizek drauf hinweist, dass die jüngsten Auflagenverluste der Kaufzeitungen in Deutschland und Skandinavien hoch ausgefallen seien und dass in der Alpenrepublik die Auflage stabil sei.     :-P

***

Bei den ePapers selbst liegen derzeit das Wirtschaftsblatt, dessen “Schwester” Die Presse und die Vorarlberger Nachrichten von Eugen Russ, dem Monopolisten-Guru aus dem Ländle vorne (relativ gesehen). Alle drei haben schon einen Auflagenanteil von mehr als fünf Prozent. Allen dreien ist es immerhin gelungen, über die elektronischen Ausgaben einen härteren Aufprall zu verhindern.

Diese “Erfolge” sind freilich aus mehreren Gründen fragwürdig. Der Verdacht drängt sich auf, dass es sich eher um ein Marketing- denn um ein publizistisches Phänomen handelt

Verkaufen mit elektronischen Gadgets

Und zwar deshalb, weil (bis dato) Bundle-Verkäufe benötigt werden, um die Leser zur Migration in den iPad zu bewegen. Dabei ist ein Strickmuster zu erkennen, mit dem die Mobilfunkbranche (früher) Kunden gekeilt hat. Das geht zum Beispiel so: Neu-Abonnenten können ein bestimmtes Tablett um die Hälfte des üblichen Verkaufspreises erwerben, müssen aber für 24 (oder 12) Monate ein voll bezahltes ePaper-Abo bestellen und – je nach Gerät – eine Zuzahlung leisten. Der Preis des elektronischen Geräts kann über ein Tauschgeschäft Tabletts gegen Zeitungsanzeigen “heruntergestützt” werden.

Derlei Praktiken, erklärte ÖAK-Geschäftsführerin  Beier-Cizek diesem Blogger, werden von der ÖAK aber hineingerechnet und bei den (überaus großzügigen) Erlösgrenzen berücksichtigt. Die Masche mit den Zugaben funktioniere auch längst nicht mehr so gut wie vor zehn Jahren bei den Handys.Und wirklich unbezahlte ePaper-Zugaben seien für die ÖAK ein No go.

Weiters zählt die ÖAK richtlinienkonform auch jene elektronischen Abonnements zu den verkauften Exemplaren, die nur den Bruchteil eines regulären Print-Abos hereinspielen, siehe hier:

Digital-Abos_ÖAKDie beiden hier angeführten Punkte aus den Richtlinien zum ePaper Kauf, Version 1.2. (ergänzende Bestimmungen), sind ein echter Hammer, der vor allem die werbetreibende Wirtschaft interessieren sollte. Sie erlauben eine massive Steigerung der sogenannten verkauften Auflage über forciertes Verschleudern von ePaper-Abonnements – potenziell, denn noch scheint es nicht so weit zu sein.

Günstige Deals von auflagenbewussten Verlagen

Der erste Punkt besagt, dass rein digitale Abos (“ePaper only”) zur verkauften Auflage gerechnet werden dürfen, sofern  durchgerechnet mehr als 15 Prozent des regulären Print-Abos erlöst werden (30 Prozent von 50 Prozent). Das würde echt billig werden. Und die sogenannten Kombi-Abos Print/Digital erzeugen automatisch einen weiteren Dauerbezieher, sobald ein bestehender Print-Abonnent pro Monat z.B. sieben Euro Aufzahlung hinlegt. Zwei Euro könnten aber auch ausreichen, um den ÖAK-Kriterien Genüge zu tun (mehr als fünf Prozent des Print-Abo-Preises = 10 Prozent von 50 Prozent).

Digitale Abonnierte Exemplare und Kombi-Abos Print/Digital werden in der Auflagenkontrolle nicht gesondert ausgewiesen, sondern über den Begriff “davon ePapers” miteinander vermengt.

Darüber hinaus bestehen Zweifel, ob alle ePaper-Exemplare auch einer Erlösprüfung unterzogen werden. Die ÖAK sagt ausdrücklich, dass die Erlöseprüfung bei Kombi-Abos stattfindet – darüber hinaus aber nur, dass sie nach ihrem strengen Regelwerk prüfen lasse. Bezeichnenderweise laufen die beiden ePaper-Kategorien bei den Abos sozusagen außer Konkurrenz mit. Soll heißen: Sie werden keiner der drei Print-Erlöskategorien zugeordnet.

Die ÖAK versicherte auf Nachfrage, dass eine Erlösprüfung bei allen ePaper-Kategorien erfolge, dass diese nur nicht in die drei Einnahmenkategorien aufgeteilt würden. Derzeit bestünde “kein Bedarf” nach so etwas.

Angesichts dieser Umstände nimmt es Wunder, dass die Zeitungsauflagen nicht schon längst explodiert sind.

Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Irgendwann wird den Verlegern das Hemd der Verkaufserlöse nicht mehr näher sein als der Rock ihrer Anzeigeneinnahmen. Irgendwann werden sie das Image des ewigen Verlierers satt haben. Irgendwann wird die Hoffnung auf mehr Inserate unwiderstehlich werden.

Dann werden die Printauflagen wie Phoenix aus der Asche emporsteigen. Alles nur eine Frage der Statistik.

Edit 1: Die Geschäftsführerin der ÖAK hat sich gemeldet und an meinem Eintrag zwei Dinge bemängelt. Der erste Kritikpunkt war, dass der Eindruck entstünde, dass sie in Bezug auf Österreich von sinkenden Auflagen gesprochen habe, diese seien aber stabil. Da es sich offensichtlich nicht um einen Fall von Dyskalkulie, sondern um einen von corporate wording handelt, habe ich meinen Text verändert. Nein, Frau Beier hat natürlich nicht von sinkenden Auflagen gesprochen – ich habe das falsch verstanden. Mein Fehler, sorry.

Der zweite Kritikpunkt betraf die Erlösprüfung bei den ePapers und hier wurde es wirklich mysteriös. Ich gebe zu, dass mir da bis heute nicht alles so klar ist und das merkte man der ursprünglichen Formulierung auch an. Der ursprüngliche Text lautete folgendermaßen:

Um all dem ein Sahnehäubchen aufzusetzen, scheint man nicht einmal die anfallenden Einnahmen zu prüfen. Man verlässt sich offenbar auf Eigenangaben bzw. Marketing-Informationen des “Prüflings” (Beier-Cizek sagte, die ÖAK könne bei ePaper-Abos die ansonsten übliche Zuordnung zu Erlöskategorien nicht vornehmen, weil keine Erlösprüfung durchgeführt werde).”

Das will ich so nicht aufrechterhalten.

Die ÖAK schrieb mir in Bezug auf diese Passage, dass sehr wohl eine Erlösprüfung bei den Kombiabos erfolge – und das klingt so konkret, bestimmt und auch logisch, dass man es nur uneingeschränkt akzeptieren kann. Interessant ist aber, dass ausdrücklich nicht von den rein digitalen Abos die Rede ist, von der zweiten Kategorie, von der wir nicht wissen, wie groß sie ist und nur, dass sie in der Auflagenliste mit den Kombiabos vermanscht wird.

“Wie ich ihnen bereits telefonisch erläutert habe”, schreibt die Managerin, “unterliegen egal ob Print oder ePaper Exemplare dem strengen Prüfregelwerk der ÖAK. Jeder Titel wird mindestens 1x jährlich von einem unabhängigen Prüfinstitut geprüft, zusätzlich werden 20% der Titel pro Medienkategorie einer Zweitprüfung unterzogen.”

Pardon, aber das klingt nach der Sorte von Bekenntnis, wie es das Heilige Officium wohl aus Ketzern herausgepresst hat, die fest entschlossen waren, auch im Folterkeller ihren wahren Glauben nicht zu verraten. Habe nie behauptet, dass gegen die eigenen Regeln verstoßen würde.

Aber gut, ich halte fest: Inspektor Clouseau ermittelt und die ÖAK lässt prüfen, nach ihrem strengen Prüfregelwerk. Aber was ? Auch die Erlöse der “Abonnierten digitalen Exemplare” ?

Ich habe Zweifel daran und hier ist, warum: Wenn die Erlösprüfung bei den digitalen Abos erfolgte, dann bestünde kein Grund, die ePapers sozusagen außer Konkurrenz (ohne Erlösaufschlüsselung) mitlaufen zu lassen, wie das derzeit der Fall ist. Dann könnte man, wenn man mit offenen Karten spielen will, sagen: Die Zeitung XY verkauft yx “ePaper only”-”Exemplare” um einen geprüften Preis, der durchgerechnet 30 bis 50 Prozent des Jahres-Abos (Print) entspricht. Daher wird es in der entsprechenden Aufschlüsselung mitgezählt. Eine ehrliche Zählung der rein digitalen Abonnements dürfte beim (mir bekannten) heutigen Pricing jedenfalls keine Probleme verursachen.

Dann müsste man freilich die Kombiabos als “Sonstige bezahlte Auflage” werten und dürfte sie nicht unter “verkaufte Auflage” laufen lassen.

So könnte man zählen. Wenn man voll prüft und mit offenen Karten spielen will.

Alle Klarheiten beseitigt ?

Edit 2, 8. September 2015: Die ÖAK versicherte mir Anfang der zweiten Septemberwoche, dass auch die rein digitalen Abos auf Erlöse geprüft würden und dass “lediglich auf eine Zuordnung in einzelne Erlöskategorien” verzichtet werde. Es gebe derzeit keinen Bedarf dafür. Diese Aussage ist mit dem Hinweis auf eine Zugabenregel bei Print verbunden, die sinngemäß auch für ePaper-Abos gelten soll (Richtlinien 7.1, 16b).

Das macht zunächst wenig Sinn, weil es in der Hauptsache ja nicht wirklich um Zugaben zu den fraglichen ePaper-Abos geht (gibt’s die überhaupt?).

Auf den zweiten Blick würde ich sagen, dass sich die ÖAK damit rechtlich gegen die Wirtschafsprüfer absichert, die die ÖAK-Kontrollen durchführen. Wenn diese verpflichtet sind, den Wert einer Zugabe vom Abonnement-Preis ePaper-Only abzuziehen, dann müssen sie eigentlich auch den Preis für reine Digitale Abos prüfen.

Die ÖAK geht auf Basis des Verweissatzes in ihren neuen ePaper-Richtlinien (ergänzende Bestimmungen) und den Print-Richtlinien 7.1 also davon aus, dass die Wirtschaftsprüfer eine solche Erlösprüfung durchführen und bezeichnet meine Lesart als “Interpretation”.

Hmmm…..

Unabhängiger Journalist

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