Im Juli jährt sich die Potsdamer Konferenz zum 70 Mal. Die Sieger, Churchill, Truman und Stalin, demonstrieren auf dem Foto Einigkeit – zum letzten Mal. Ein vergleichbares Foto würde heute US-Präsident Obama, flankiert von seinen Vasallen Donald Tusk und Jean-Claude Juncker zeigen. Kann das so bleiben? Nein. Ein Neuanfang wird aber weder mit Potsdam noch mit dem Deutschen Reich vor den Hitler-Eroberungen zu machen sein.
Bemerkenswert am Foto von 1945 ist, dass kein Kontinentaleuropäer auf ihm zu sehen ist (wenn man Stalin nicht als solchen bezeichnen mag). Klarerweise fehlte Deutschland, aber auch Frankreich glänzte durch Abwesenheit. Das wäre heute wieder so. Ein vergleichbares Bild hätte auch keinen Platz für Wladimir Putin.
Hauptaufgabe der Herren auf der historischen Aufnahme war, die alleinige Ursache für die europäische Katastrophe zu entwaffnen. Gleichzeitig sollten sie sicherstellen, dass Deutschland als Einheit überlebte und ausreichend Kraft entwickeln konnte, seinen Wirtschaftsmotor wieder anzuwerfen. Letzteres glückte, Ersteres nicht. Politisch ging das vormalige Deutsche Reich einen 40 Jahre andauernden Umweg namens BRD und DDR.
Es ist den Siegermächten aber immerhin gelungen, eine Wiederholung der katastrophalen Fehler von 1919 zu vermeiden, meint Michael Neiberg, der soeben eine Studie über besagte Konferenz veröffentlicht hat. Der Wälzer des amerikanischen Historikers ist 400 Seiten lang und angeblich die erste umfassende Darstellung seit dem dem Ende des (ersten) Kalten Kriegs.
Anders als die Weimarer Republik sei Deutschland (in Form der BRD) nicht überfordert worden (beispielsweise durch Reparationen), sagt Neiberg. Damit habe eine erneute Destabilisierung des Kontinents vermieden werden können. Für die Staatsmänner von Potsdam ergibt das ein dickes Plus im Notenbüchlein des Historikers.
Klar habe ein Preis gezahlt werden müssen, und dieser sei die Spaltung des Kontinents durch den Eisernen Vorhang gewesen. Dagegen habe es für Churchill und Truman aber sowieso keine Handhabe gegeben, weil Stalins Panzer in Mitteleuropa gestanden seien.
Das wäre als Zwischenergebnis gar nicht einmal so schlecht – zumal die deutsche Teilung inzwischen längst überwunden ist. Mission accomplished, könnte selbstzufrieden behauptet werden. Die heutige EU ist der Endzustand jener Lösung, die in Potsdam erstmals konzipiert wurde.
Da würde es auch nicht stören, dass das heutige Deutschland sehr wohl Schwer- und Maschinenbauindustrie, Chemiekonzerne und Werften hat (was nach Potsdam theoretisch verboten werden sollte). Trotz seiner Industrie hat das heutige Deutschland keine militärische Macht – wenigstens keine, die es nach eigenem Gutdünken einsetzen kann.
Außerdem hat sich seit 1990 eine zweite vorteilhafte Revision von Jalta und Potsdam ergeben: Die Osteuropäer müssen nicht mehr nach der Pfeife der Russen tanzen. Moskau hat seine unnatürlich weit in den Westen vorgeschobenen Positionen wieder zurücknehmen müssen – eine Rückkehr zur historischen Normalität (die von niemandem in Russland ernsthaft in Frage gestellt wird)..
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Deutschland als wirtschaftliches Schwungrad des alten Kontinents, aber ohne Souveränität – genau das ist der innere, der innereuropäische Zusammenhang zwischen Potsdam 1945 und Maastricht-Europa. Deutschland durfte sich 1990 vereinigen, musste aber vorab darauf verzichten, eine politische Selbstständigkeit anzustreben, wie dies für alle anderen, alle normalen Nationen selbstverständlich ist.
Den Sowjets war damals alles egal. Die hatten zu diesem Zeitpunkt jede Menge andere Probleme am Hals. Sie hatten ihr Pfund Fleisch schon konsumiert und fühlten sich von Deutschland nicht mehr bedroht – zu groß war das militärische Differential.
Bei den Franzosen war das anders. Sie bestanden auf der politischen Einbindung Deutschlands in einen europäischen Staat und das ist ihnen nicht einmal übelzunehmen. Mitterand, den sie “die Sphinx” nannten, war wohl auch so alt wie diese – wenigstens konnte er sich noch an 1940 ff. erinnern.
Ein französischer Kommentator hat Maastricht einmal Versailles ohne Krieg genannt und das war in gewisser Weise weit danebengeschossen, denn: Erst Versailles hat Hitler ermöglicht, Versailles hat “Europa destabilisiert”. Maastricht sollte – wenigstens der Idee nach – das Gegenteil sein. Es sollte Potsdam sein, die Fortsetzung von Potsdam mit anderen Mitteln.
Hätte diese Lösung funktioniert wie geplant und würde sie von den Europäern akzeptiert, wären die Schwierigkeiten der EU vielleicht irgendwie zu überwinden. Man müsste vor den Deutschen (weiter) geheimhalten, dass Maastricht in Wahrheit Potsdam ist und ihnen gleichzeitig einreden, dass Transferzahlungen in nichtdeutsche Regionen alternativlos sind. Dann könnte man das Kind vielleicht schaukeln.
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Die Probleme, die sich auftun, sind aber viel massiver als die Pflichtverteidiger der Union das wahrhaben wollen. Maastricht ist schließlich auch der hier beschriebene Staatsstreich in Zeitlupe in dutzendfacher Ausführung, primär gegen Nationen, die seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten auf der Volkssouveränität fußten. Maastricht war und ist auch die Selbstermächtigung einer angeblich demokratischen Politikerklasse aus den traditionellen Volksparteien, die zuvor randständige Parteien kooptiert haben (Liberale, Grüne). Zur Blutauffrischung sozusagen.
Drittens ist Maastricht-Europa die USA, wie bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu besichtigen ist – von der Ukraine zum NSA-Skandal, von Snowden bis TTIP. Juncker und Tusk sind wenig mehr US-amerikanische Prokonsule.
Institutionell ist die heutige EU eine windschiefe Hütte, in der Ungleiches gleich behandelt und wo Unvereinbares vereinbar gemacht wird – koste es was es wolle. Sie ist eine Transferunion ohne Wir-Gefühl und Nationalismus – was praktisch darauf hinausläuft, dass auf das machtvollste Argument für diese Transfers verzichtet werden muss. Auf die Dauer werden nicht einmal die Deutschen diese einsehen – und die glauben fast alles.
Und schließlich wäre die Spaltung Europas nicht überwunden, sondern nur weiter nach Osten gerückt Wie im Kalten Krieg gäbe es keine Pufferzone zu Russland. Europa bräuchte einen Ostwall. Es wäre eine Mischung aus einem Völkergefängnis nach innen und einer Großen Mauer nach außen. Die Kriegsgefahr wäre um ein Vielfaches größer als vor der Errichtung der angeblichen Friedensordnung von Maastricht.
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Nun gibt es Menschen in Deutschland, sogenannte Reichsbürger, die von der Wiedererrichtung Deutschlands in den Grenzen von 1937 träumen. Es ist eine Gruppierung, die die Grünen gerne polizeilich behandeln lassen würden (die Ökos waren immer schon für den Polizeistaat, solange sie diesem einblasen konnten, gegen wen er vorzugehen hat). Es handle sich möglicherweise um gefährliche Rechtsextreme, lautet der Verdacht.
Das scheint insofern plausibel, weil es für den Heutigen irgendwie nach Hitler riecht (speziell für die Grünen riecht es schnell einmal nach Hitler).
Der Eindruck ist aber falsch. Die Reichsbürger berufen sich die Weimarer Verfassung von 1920 und ihr Deutschland ist das in den Grenzen von 1937 – das Deutschland der Friedenskonferenz von Paris (“Versailles”), ohne die Eroberungen von 1938 ff. Die Reichsbürger sind “nur” der Rechtsansicht, dass das Deutsche Reich nie untergegangen ist, und Bonn gar nicht ermächtigt war, den Zwei plus Vier-Vertrag und den Vertrag mit Polen zu schließen und dass diese Verträge daher nicht rechtsgültig sind. Außerdem wollen sie keine Steuern zahlen !
Ich persönlich kann den juristischen Teil des Arguments nicht beurteilen und habe, ehrlich gesagt, auch keine Lust, die Zeit aufzuwenden um das tun zu können.
Ich halte mich nur an zwei pragmatische Überlegungen: erstens ist das formale Recht der tatsächlichen Macht, die aus den Gewehrläufen kommt, praktisch immer untergeordnet. Und zweitens gibt es in Polen keine Volksdeutschen mehr. Warum also sollte ein künftiges Deutschland Anspruch auf Ostpreußen, Pommern und Schlesien erheben ?
Was nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Deutschen in Osteuopa passiert ist, war eine Sauerei von welthistorischem Ausmaß - Henlein hin, Hitler her. 10 bis 15 Millionen von ihnen sind von den Massenvertreibungen erfasst worden, zwei Millionen dabei umgekommen. Es war ein “Joint-venture” aus Roter Armee und Osteuropäern, die die Jahre davor unter deutscher Besatzung hatten leben müssen und die sich dafür rächen/entschädigen wollten.
Zum Zeitpunkt der Konferenz von Potsdam war die Vertreibung bereits eine vollendete Tatsache, die in Artikel 13 des Potsdamer Protokolls abgesegnet wurde.Für Stalin selbst mag das keine große Sache gewesen sein – Nationalitätenpolitik as usual halt.
Liebhaber der Idee von der Gerechtigkeit im Diesseits können heute nur zum Gedanken Zuflucht nehmen, dass die Polen und Tschechen dafür 40 Jahre Haft im sowjetischen Kerker gekriegt haben und dass die meisten überlebenden Vertriebenen schon in den 1960ern jenen Wohlstand erlangten, den die Nachfahren ihrer Vertreiber erst jetzt nach und nach erwerben.
Ansonsten kann man nur nüchtern feststellen: Die ethnische Säuberung von 1945 hat funktioniert (wie so oft. Das wissen alle – einschließlich des Westens, der sie in den ihm genehmen Fällen toleriert.)
Die alte Rechnung seitens Deutschlands wieder aufzumachen hieße, ohne Not Kriegsgründe in die Welt zu setzen (ebenso wie Polen, wenn es die 1939 an die Ukraine verlorenen Gebiete wieder beanspruchen würde).
In letzter Konsequenz ist das aber Sache der betroffenen Territorien und Völker. Die sauberste Lösung wäre wohl, die heutigen “Ostpreußen” und “Schlesier” über eine Volksabstimmung vor die Wahl zu stellen. Sie könnten dann entscheiden, was ihnen wichtiger ist: unter polnischer Herrschaft zu leben oder sich dem vielleicht prosperierenderen Westreich anzuschließen.
Die osteuropäischen Dinge sind extrem heikel und schwierig, weil einander unzählige Sprachen, Kulturen, Lebensräume und Ansprüche überlappen und gegenüberstehen. Wenn der Balkan gemeinhin als Pulverfass bezeichnet wird, dann ist Osteuropa erst recht eines. Und in einem Pulverfass sagt man nicht einfach: “Dann nehmen wir mal die Oder-Neiße-Linie weg, dafür gilt die Curzon-Linie nicht mehr. Ist eh alles auf dem Mist von Onkel Joe gewachsen.”
Die osteuropäischen Völker haben ein Recht auf Frieden, Freiheit und Selbstständigkeit. Sie haben ein Recht darauf, weder vor den Deutschen noch vor den Russen einen Kotau machen zu müssen. Das ist aber ein Recht, das auch untereinander gilt. Es ist in keinem Fall das Recht, im Namen der eigenen Freiheit Stunk zu machen oder den Nachbarn zu bedrohen.
Foto: U.S. National Archives and Records Administration, Wikimedia Commons
Edit 1: Beschreibung des Potsdam-Fotos: Europäer ersetzt durch Kontinentaleuropäer
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