Deflation statt Inflation: Das andere Gesicht zukünftiger (Energie)Armut

Die ursprünglichen Peak Oil-Theoretiker haben sich genaue, womöglich aber grundfalsche Vorstellungen über den Wendepunkt des “Zeitalters fossiler Brennstoffe” gemacht. Sie haben sich ein Rennen inflationär galoppierender Energiepreise vorgestellt, aus dem Otto und Grete Normalverbraucher über kurz oder lang aussteigen müssen, weil sie nicht mehr mithalten können. In Wirklichkeit könnte es genau andersrum sein: Überschuldete, einkommenlos gewordene Unternehmen und Verbraucher reduzieren ihre Nachfrage so sehr,  dass am Markt ein trügerischer glut entsteht. Dieses Überangebot erzeugt einen deutlichen Rückgang, vielleicht sogar abrupten Kollaps der Förderung bzw. Versorgung – eine Folge zu niedriger, nicht zu hoher  Preise.

Der klassischen Markttheorie zufolge müssten die Preise so weit zurückgehen, dass die Treibstoffe für die Konsumenten wieder erschwinglich werden. Die Schwierigkeit ist aber, dass diese Modellannahme nicht auf Öl und auch nicht auf eine Reihe nicht (wenig) recyclierbarer Rohstoffe zutrifft. Die Preise dieser commodities können gar nicht mehr ausreichend zurückgehen.

Und zwar wegen der abnehmenden Grenzerträge (auch) in Förderung und Bergbau. Um eine gleiche Menge Benzin bzw. Metall produzieren zu können muss immer tiefer gebohrt, immer mehr Gestein bewegt werden (andere Faktoren können das zweifellos abmildern).

lch habe dieses Konzept nicht ersonnen, ich kann es nicht einmal vorbehaltlos unterstützen. Ich habe nach wie vor Einwände, beispielsweise, dass die Nachfrageelastizität für Transport-Treibstoffe und Erdgas eigentlich ziemlich gering ist und die Konsumenten auch in “moderaten” Krisenzeiten nicht so viel weniger Öl und Erdgas konsumieren. Bevor die Leute aufhören Auto zu fahren oder ihre Wohnung zu beheizen, beschwindeln sie lieber ihre Kreditberater oder hören gar mit dem Rauchen auf.   ;-)

Es kann aber sein, dass – im großen Bild – die Effizienzpotenziale der Verbrennungsmotoren noch nicht ausgeschöpft sind (z.B. in den USA), ebensowenig wie in der Gebäudedämmung (Europa) und bei diversen Gasturbinen – und dass ein guter Teil des Nachfragerückgangs aus diesen Quellen stammt.

Das Konzept, das folgend referiert wird, ist die Hervorbringung von Gail Tverberg, die als Gail the actuary im legendären, nun stillgelegten Blog The Oildrum postete. Gail betreibt jetzt eine eigene Seite, eine sehr beliebte. Sie heißt our finite world, unsere endliche Welt. Ich beziehe mich hier vor allem auf diese zwei Posts, hier und hier.

Tverbergs Überlegungen machen Sinn. Sie erscheinen plausibel, manchmal plausibler als die Annahme politisch fabrizierter Ölpreise, der ich zuneige. Gail vertritt einen Ansatz, der der klassischen Ökonomie näher steht als jede Manipulationsthese. Es ist ein ganzheitlicher Ansatz, der das Phänomen der umfassenden Aufschuldung mit einbezieht und der weit über Petrologie und angewandte Förderwissenschaft hinausgeht.

Tverberg leistet damit etwas, was eigentlich nicht so leicht zu erbringen ist: Sie erklärt, warum auf dem sogenannten Weltmarkt ein derartiges Überangebot herrscht – jene trügerische Schwemme, die seit Herbst 2014 für die Halbierung der Barrel-Preise gesorgt hat und die der Grund ist, waum die Preise (für WTI) nicht über das heutige Niveau steigen können (40 bis 50 Dollar pro Fass).

Eine solche Erklärung ist gerade für Leute, die Öl für ein knappes Gut, eine knappe Schlüsselressource halten, keine triviale Angelegenheit. Es ist ein verdammtes Kunststück.

Screenshot_flat_energy_worldEs ist heute viel leichter ein cornucopian zu sein, ein Überflusstheoretiker, der den Grundgedanken von peak oil für tot erklärt und sich dabei auf die gegenwärtige Schwemme, eine öffentlich sichtbare, scheinbar selbsterklärende Tatsache beruft. Das passiert in Zeitungsartikeln und Büchern auch laufend. Zum Beispiel hier.

Das unausgesprochene Motto, um das sich die Thesen von der flachen Energiewelt ranken, findet sich im fünften Kapitel des nebenstehenden Buches: “Das letzte Barrel Öl wird nicht Millionen, sondern nichts mehr wert sein.” Derlei ist, mit Verlaub, eine freakige Vorausssage, selbst nach heutigen Maßstäben. Sie kann nur Wirklichkeit werden, wenn z.B. freie Energie nutzbar gemacht würde oder nachdem sich die Theorie von der abiotischen Entstehung von Erdöl in eine angewandte Wissenschaft verwandelt hat.

Grundsätzlich entspricht die Perspektive von Lacalle und Parilla aber dem heutigen mainstream, der glaubt, in der Tatsache des aktuellen Überangebots einen Beweis für die (praktische) Unerschöpflichkeit unserer Energieressourcen zu finden. Das ist zwar verrückt, aber in-sich-konsistent verrückt. Es ist einfach. Als peak oiler die Existenz eines überschießenden Angebots zu erklären ist dagegen alles andere als einfach.

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Der nächste gedankliche Schritt, den Tverberg macht, ist eigentlich etwas äußerst Logisches – etwas, das auch durch das Verhalten unterschiedlicher (Öl produzierender) Akteure gedeckt zu sein scheint: Die Produzenten kappen ihre Investitionen und treffen damit eine rationale Entscheidung  (vielleicht eine mit doppeltem Boden, nach der Art des dumpenden Herstellers, der temporär unter seinen Herstellungskosten verkauft und der sich gerade deswegen perfekt rational verhält).

Diese Entscheidungen sind angetan, per se einen Engpass zu erzeugen, sie werden aber durch offen politisches Agieren noch verstärkt. Das ist der Fall bei den Sanktionen gegen den russischen Ölsektor, die z.B. hier diskutiert werden. Die selbstschädlichen Sanktionen der USA und der EU zielen darauf ab, der russischen Ölproduktion den Boden unter den Füßen wegzuziehen, jenem Lieferanten, der ein Drittel des europäischen Ölverbrauchs abdeckt.

Die westlichen Strafmaßnahmen wirken in einer großen Bandbreite – von der Verunmöglichung gemeinsamer Exploration (z.B. in der Arktis) bis hin zur Torpedierung der besseren Ausschöpfung produziernder reifer Felder.

Davon soll hier nicht die Rede sein; sondern von Shale und Shell, die sich den Realitäten eines halbierten Ölpreises beugen müssen (mit oder ohne Hintergedanken). Beide Sektoren agieren ohne von der Politik dazu gedrängt worden zu sein (jedenfalls nicht offen). Sie vollziehen nur nach, was ihnen der “Markt” vorgibt oder werden von Banken und Anlegern dazu gezwungen.

  • Ende September hat Royal Dutch Shell angekündigt, sich aus einem riesigen offshore drilling-Projekt in Alaska zurückzuziehen und bis dahin erfolgte Investitionen von 7 Mrd. Dollar und 15 Mrd. Fass leichtes, süßes Erdöl zurückzulassen – siehe mehr dazu hier. Den Ausschlag haben wohl auch hier die Preise gegeben.

‘It’s very difficult to see how Arctic oil will have any real market until we see oil prices back up to $100 a barrel,’ says Charles Ebinger, a senior fellow at the Brookings Institute who researches energy security.”

  • Ein guter Teil der shale-Projekte, die die treibende Kraft des US-Energiewunders der vergangenen drei Jahre waren (zusammen ca. 3 Mio. bpd zusätzlich), rechnet sich bei den heutigen Öl-Preisen nicht mehr. Es gibt verzögernde und begrenzende Faktoren – von der Investorenpsychologie bis zum Umstand, dass die besseren Plätze in Dakota und im Eagleford Shale wohl noch mithalten können. Es ist aber klar, dass aus shale nicht annähernd jene zusätzlichen Mengen gewonnen werden können, die benötigt würden, um die natürliche Erschöpfung der konventionellen Förderung zu kompensieren. Allein Saudiarabien mit seinen alten Superriesen-Feldern muss pro Jahr gut und gern 350.000 bpd Produktion verlieren – den ausgefeiltesten Fördermethoden zum Trotz.

Um den Beginn der “zweiten Halbzeit” des Ölzeitalters hinauszuzögern und die Weltproduktion ein paar Jahre länger zu halten, müssten eigentlich alle zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft werden: deep water, EOR, heavy, Arktis – und was es sonst noch alles gibt.

Die Halbierung der Ölpreise und die Sanktionen gegen Russland machen das aber unmöglich. Man müsste für eine weitere Dehnung “nur” zulassen, auslaufende, billige durch neue, teurere flows zu ersetzen. So etwas kann aber nur bei steigenden Preisen und nicht gegen Russland funktionieren.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es extrem mächtige Player gibt, die eine (weitere) solche Dehnung nicht zulassen wollen.

Vielleicht handelt es sich bei diesen um CO2-Ideologen, die so durchsetzen möchten, was mit internationalen Vereinbarungen nicht zu erreichen ist. Oder es ist – im Gegenteil – eine Kraft, die daran interessiert ist, der besonders im Westen grassierenden Geringschätzung dieser Energiequelle entgegenzuwirken. Dafür eignet sich nichts besser als eine kleine Versorgungskrise – sagt nicht die Tverberg. Das sage ich.

Unabhängiger Journalist

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