USA, EU kämpfen Doomsday-Fight für baldigen russischen Öl-Peak

Über die daraus entstehende Krise will man dem dortigen Petrostaat die Verfügungsgewalt über die noch immer riesigen Restbestände an fossilen Brennstoffen abnehmen. Den westeuropäischen Ideologen geht’s eher um die Beendigung des massenhaften privaten Öl-Konsums in der EU. Betrieben wird das Projekt von einem äußerlich ungleichen Liebespaar: Der US-Öllobby und dem  klimabewegten europäischen Progressivismus.

Vor ein paar Tagen ist in der deutschen Welt ein Stück erschienen, das eine faszinierende Mischung aus Realitätsvermittlung und -verkennung ist: Russland gesteht den Rohstoffkollaps von Eduard Steiner. Der zentrale Punkt Steiners ist, dass die tapfere Miene, die Moskau angesichts der Sanktionierung seines Öl- und Gassektors aufgesetzt hat, nur Show war. Die Russen vermissen die westliche Fördertechnologie schmerzlich. Die Ölproduktion der Föderation, befürchtet das dortige Energieministerium, könnte schon heuer oder nächstes Jahr zu sinken beginnen.

Dem ist wenig hinzuzufügen – außer dass etwas als Neuigkeit verkauft wird, was unabhängige Köpfe seit vielen Jahren wissen (und was Offizielle jeder Schatttierung ebenso lange verbissen dementieren): Wie die anderen befindet sich auch Russland am Beginn jenes absteigenden Asts, der bis vor kurzem Peak Oil genannt wurde – siehe zum Beispiel hier.

Die unterirdischen Reserven des Landes lassen eben keine nachhaltige Steigerung der Produktion mehr zu – suck it up. Das ist in anderen Weltgegenden auch so, aber nur für Russland darf offen ausgesprochen werden, was daheim als absurd abgetan wird.

Krisen dieses Schlags sind im Grunde irreparabel, weil geologisch verursacht und das zwanghaft in die Diskussion geworfene Argument mit dem Technologie-Defizit ist nur ein Begleitumstand der Krise. Die Krise hat auch nichts mit privat oder Staat zu tun.

Wohl wahr ist, dass Rosneft & Lukoil mit besserer Technologie und zu hohen Preisen mehr fördern könnten als ohne; und auch, dass die russischen Staatskonzerne umso weniger produzieren, je konsequenter die Sanktionen umgesetzt werden und je weniger das Barrel an den internationalen Märkten einbringt.

Hätten die Ruskis Zugang zu Kapital und cutting edge technology, könnten sie den Kipp-Punkt ihrer Förderung noch einige Jahre hinauszögern. Sie wären in der Lage, jenes Kunststück zu wiederholen, das Saudi Aramco in den vergangenen zehn Jahre geglückt ist: Die (temporäre) Stabilisierung der Produktion – trotz uralter Felder und einer natürlichen Erschöpfungsrate (rate of depletion) von vier bis sechs Prozent pro Jahr.

Moskau wird aber versagt, was dem verbündeten Riyad gewährt worden ist (dort natürlich unter wesentlicher Beteiligung von Big Oil – von Schlumberger bis Halliburton). Das saudische Beispiel zeigt auch, dass die Yankees problemlos mit nationalisierter Ölproduktion leben können, solang der fragliche Staat sich kooperativ verhält (und mehr als nur ein paar Brösel für protegierte Öldienstleister abfallen).

Kooperation à la Saudi-Arabien war und ist von Putins Russland aber absehbar nicht zu erwarten – und deshalb muss Moskau mit der Einleitung eines verfrühten Fördermaximums bestraft werden.

Es ist freilich eineVergeltung mit einem nutzorientierten, imperialistischen Hintergedanken: Es geht darum, den Moskauer Kleptokraten die Macht über Öl und Gas wieder zu entreißen und sie den amerikanischen 〈?〉 Räuberbaronen zurückzugeben.

Diese waren noch bis vor kurzem am Drücker gewesen – gerade einmal zehn Jahre lang und nur in nuce. Soll heißen: Mit der Voucher-Privatisierung ist es den Räuberbaronen gelungen, einen Fuß zwischen Tür und Angel stellen – aber nicht mehr.

Das war während der Jelzin-Zeit. Putin und seine Freunde haben sich danach die Rohstoffe wieder zurückgeholt, Schritt für Schritt und auf Rechnung der Russischen Föderation.

Die westlichen Sanktionen haben mit der russischen Annexion der Krim in etwa so viel zu tun wie ein Storchennest am Schornstein eines Hauses mit einer ebendort stattfindenden Entbindung.

Völkerrechtlich zielen die Strafmaßnahmen darauf ab, einen historischen status quo wiederherzustellen, der ein sehr junger ist. Sie arbeiten mit einer Alles oder Nichts-Strategie und ständiger brinkmanship, wie zu den besten Zeiten des Kalten Kriegs.

Der Verrückte vom Dienst ist diesmal aber nicht Kim-Jong-un, sondern eine der Ölindustrie verbundene mächtige Fraktion des amerikanischen militärisch-industriellen Komplexes. Üblicherweise bezeichnet man diese Gruppe als neocons. Komischerweise gestalten diese nach wie vor die Washingtoner Außenpolitik – obwohl sie nicht den Präsidenten stellen.

(Es gab und gibt im amerikanischen Ölbusiness eine andere Fraktion, die sich mit der Rolle als Junior-Partner Russlands zufrieden gegeben hätte. Sie musste sich auf politischen Druck aber aus diversen Projekten zurückziehen.)

Hier ist das Sprachrohr der neocons – es sagt den Europäern ohne Umschweife, was von ihnen erwartet wird:

In Europa haben die neocons Partner gefunden, die diese selbst wohl nie erwartet hätten: das politisch bestimmende zentristische Parteienkartell aus Sozial- und Christdemokraten, Liberalen und Grünen. Also den Lügenbaron und seine Entourage, den Tusk, den Schulz und dero Gnaden Speichellecker.

Das hört sich insofern komisch an als die Genannten üblicherweise mit Völkern identifiziert werden, die die ersten Leidtragenden einer Konfrontation mit den Russen sind  – viel früher als beispielsweise die Amerikaner. Die Schad-Intelligenzen in Brüssel und Straßburg lässt das aber schon deswegen kalt, weil sie glauben, wichtigere Dinge zu tun zu haben als die Interessen der Völker, denen sie entstammen, zu schützen.

Beispielsweise, ihr Europa bis an die Grenzen Russlands auszudehnen oder die Welt vor der Klimakatastrophe zu retten. Die Chefideologen der planetarischen Rettung sind die Grünen – doch die dort entstandene ideelle Substanz hat sich längst auch über die sogenannten Volksparteien ausgebreitet.

Theoretisch, mit viel gutem Willen, ließe sich aus der Politik der Union gegenüber Russland und CO2 eine Strategie herauslesen, die darauf abzielt, den Kontinent für das Nachkohlenstoff-Zeitalter fit zu machen. Diese ähnelt aber verdammt der früheren Quecksilbertherapie für Syphilis-Patienten: Die so behandelten Kranken verstarben nicht mehr an der Krankheit, sondern wurden durch das giftige Schwermetall zu Tod gebracht.

Peak Oil 2.0

Das Konzept des Fördermaximums bei Erdöl scheint so kompliziert zu sein, dass es die wenigsten verstehen können (vielleicht wollen sie es auch nicht). Schon in der um das Jahr 2000 verbreiteten, noch relativ einfachen Version ist es ständig verballhornt worden. Damals wie heute glaubte man zu verstehen, dass der Welt am Peak das Erdöl ausgehen werde.

Derlei hat natürlich niemand behauptet. Sehr wohl aber, dass in naher Zukunft das internationale Öl-Fördermaximum erreicht werden und der Output nach einigen Jahren auf einem Hochplateau mehr oder weniger steil abfallen würde. In einer Glockenkurve, also etwa so (idealtaypische Zeichnung)

Hubbert_curve.svgDas Modell geht auf einen amerikanischen Geophysiker der 1950er-Jahre zurück, der den (ersten) US-amerikanischen Peak korrekt vorussagte. Trotz zahlreicher Einschränkungen ging man cum grano salis davon aus, dass der absteigende Ast der Produktionskurve ungefähr symmetrisch zum Anstieg verlaufen werde.

Das hat sich als eine nicht zutreffende Annahme erwiesen, vor allem wegen der verbesserten Fördertechnologie, dem perfektionierten Reservoir-Management in den reiferen Feldern und der (anfänglich) systematischen Unterschätzung der abbaubaren Vorkommen.

Im wirklichen Leben waren Enhanced Oil Recovery (EOR) und Fracking in der Lage, den Output der Super-Riesenfelder zu stabilisieren und selektiv neue Produktion anzukurbeln (shale oil in den USA). Die Folge war eine scheinbare Verlängerung des erreichten Hochplateaus bis ins Unendliche. Mithilfe des Schieferöls gelang sogar ein leichter (weltweiter) Produktionsanstieg.

Das hatten die alten peak oiler nicht erwartet. Für sie standen und stehen Hubbert linearization und unveränderliche URR außer Frage.

Ihre Gegner, die cornucopians triumphierten. Shale schien ihre Kernthese bestätigt zu haben – dass nämlich Erfindergeist und technischer Fortschritt in der Lage sein würden, die depletion zu kompensieren und ein neues Zeitalter unbegrenzter Energie einzuläuten. Die Peak Oil-Theorie, hieß es überall, sei endgültig widerlegt.

Das klang gut, hatte aber einen gravierenden Nachteil: Es war Quatsch mit Soße, denn:

Die Trends, die die scheinbare Wende ermöglicht haben, sind viel weniger nachhaltig als der natürliche decline der Förderung und die depletion der ererbten Quellen (neue Vorkommen werden nur wenige gefunden).

Die bittere Wahrheit über EOR ist: Wie anderswo lässt sich die Effizienz auch der Ölförderung nicht beliebig steigern. Wie anderswo sind auch in der EOR die tief hängenden Früchte längst geerntet. Wie anderswo muss auch dort ein unverhältnismäßig hoher Aufwand getrieben werden, um den Ausbeutungsgrad noch um ein Zehntelprozent zu steigern.

Derlei überrascht in der Praxis stehende Techniker nicht im geringsten – in die Schädel diverser Sesselfurzer geht das trotzdem nur schwer hinein.

Und die bittere Wahrheit über den shale-Boom ist: Er war ein geographisch und zeitlich begrenztes Experiment, das nur mithilfe massiver staatlicher Protektion, unter den Bedingungen von Nullzins und Anlagenotstand, sowie bei einigermaßen hohen Ölpreisen aufrechterhalten werden konnte – drei, vier Jahre höchstens.

Energie-Reindl ausschmieren

Die aktuelle, gemanagte Ölpreis-Baisse wird auch shale das Rückgrat brechen  – und dies ist ein einkalkulierter Kollateralschaden. Die Sache ist längst unterwegs. Werden die Quellen im Eagleford Shale und Permian sachgerecht eingemottet, lassen sich die sweet spots in Nullkommanichts wieder hochfahren.

Der Hauptgewinn, der freie Zugang zu den östlichen Kohlenwasserstoffreserven, rechtfertigt diesen Aufwand jedenfalls locker. Der große Preis steht in Russland, eine riesige, nur zu zwei Dritteln geleerte Pfanne, deren aktueller Besitzer nicht weiß, auf welche Weise er an die Essensreste kommen kann. Big Oil würde dieses Reindl für sein Leben gerne ausschmieren.

Könnten die Versprechungen der Alternativenergie nur zur Hälfte gehalten werden, wäre das Ganze ein Non-Thema. Wären die Nettoenergie der Erneuerbaren mit jener der fossilen Brennstoffe vergleichbar und wäre die Frage günstiger Transportenergie wenigstens annähernd gelöst, würde sich niemand für die hydrocarbons in Sibirien interessieren.

In diesem Fall wären die staatlichen Förderungen überflüssig, die Erdölkonzerne müssten ernsthaft in die grüne Energie einsteigen und Russlands unterirdischer Schatz wäre keiner mehr. Er wäre entwertet.

Das ist aber nicht der Fall. Selbst bei den heute aufwendigsten Extraktionsverfahren, unter den härtesten Umweltbedingungen (Arktis) sowie nach den längsten Transportwegen ist der Energy Return on Energy Invested von konventionellem Erdöl unvergleichlich höher als z.B. von biofuels.

In einem Barrel Erdöl, 159 Liter, steckt der Energieinhalt von 1.628 Kilowattstunden – also etwa jener Strommenge, die ein durchschnittlicher europäischer Haushalt in einem halben Jahr verbraucht. Wohl wahr: dieses Barrel entstammt nicht erneuerbaren Reserven, aber der Flächenverbrauch für seine Produktion ist minimal und seine – richtig gerechnete – Umweltbilanz nicht die schlechteste.

Das mag später einmal für Umweltbewusste wichtig werden, sollten diese jemals unter dem Wust falscher Annahmen und dubioser Rechnungen hervorkriechen, mit denen sie Tag für Tag zugeschüttet werden.

Machtbewussten dagegen ist schon lange klar: Wer die zweite Hälfte des Ölzeitalters kontrolliert, wird dabei unermesslich reich und grenzenlos mächtig. Das wissen sowohl das westliche Big Oil als auch Putin & Co. Wahrscheinlich ist dies sogar unseren Politicos bewusst, selbst den Grünen.

Die westeuropäische politische Klasse hat in Sachen Energie jedenfalls einseitig auf das amerikanische Pferd gesetzt. Sie hat dabei die primitivsten Anfangsgründe europäischer Geschichte und Geostrategie sowie von Energie- und Rohstoffwirtschaft ignoriert. Ihre beste Hoffnung muss nun sein, dass sich die neocons auf der ganzen Linie durchsetzen, dass Russland zu einem Protektorat wird und die Amerikaner mit ihren spoils of war großzügig umgehen.

Puristische grüne Ideologen mögen sogar die Brösel vom Tisch der westlichen Energie-Kriegsgewinner dankend ablehnen. Für diese Sorte Ideologen sind Erdöl und -gas in jedem Fall Teufelszeug – und je früher dieses von der Bildfläche verschwindet, desto besser.

Für diese kann die energetische Steinzeit gar nicht früh genug beginnen, eine Epoche, die mit den romantischen Phantasien heutiger bürgerlicher Aussteiger etwa so viel zu tun haben wird wie ein großflächiges, wochenlanges black out mit einem candle light dinner. Europäer, die sich echte Energiearmut ausmalen wollen, können sich heute etwa an Beispiele aus Bangladesch oder Peru halten, siehe hier zum Beispiel.

Die 40 Prozent Erdölimporte, die die Union aktuell aus der früheren Sowjetunion bezieht, sind beiden Fraktionen ein Dorn im Auge. Und und während die einen glauben, mit einem westlichen Statthalter in Moskau besser bedient zu sein, wollen die anderen gleich verzichten, weil man irgendwann einmal ohnedies ohne auskommen werde müssen.

Auf die Idee, dem russischen Staat und seiner immerhin legitimen Regierung beim Ausschmieren seiner Energiepfanne zu helfen (und dies auf durchaus eigennützige Weise zu tun) ist in Wien, der Hauptstadt eines formell neutralen Landes, keiner verfallen. Das hat sich hier niemand getraut, ebensowenig wie in Berlin. Das ist einer der Gründe, warum die dafür verantwortlichen Leute besser heute als morgen entfernt werden sollten.

***

Es sind weder Zufall noch Markt, dass kaum dass die Senktionen gegen Russland in Kraft getreten sind, die Ölpreise ihre Talfahrt begonnen haben. Der Ölpreis ist politisch und die Amerikaner glauben, den vermeintlichen Erfolg Ronald Reagans in den Achtzigerjahren wiederholen zu können.

Und dieselben Leute, die 2008 bei jeder Preiserhöhung Finanzmärkte und Spekulanten gezetert haben, geben sich nun felsenfest überzeugt, dass der Ölpreis durch ein spontan entstandenes Überangebot in den Keller getrieben hat.

Diese Leute haben recht mit Überangebot und liegen falsch mit spontan – denn an einem über viele Jahre hinweg systematisch von einem Staat angefachten Strohfeuer ist absolut nichts spontan. Schon gar nicht spontan ist die Flutung der “Märkte” über einen Vasallenstaat, dessen Fähigkeit die Produktion aufrechtzuerhalten, sich ohnedies am Limit befindet.

Der ganze Zauber mag gut genug sein um ein paar naive Pressefuzzis und Politicos zu überzeugen. Offenbar hat man aber auch geglaubt, Putin und seinen Geheimdienstapparat täuschen zu können.

Die tun öffentlich noch so, als würden sie die Markt-story glauben. Sie wissen aber, dass sich der Gegner selbst aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Eine ideale Gelegenheit für einen Fußfeger.

Grafik: Rubber Duck, Wikimedia Commons

 

Unabhängiger Journalist

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