ORF: Unabhängigkeit, öffentlicher Auftrag und journalistische Willkür

In Österreich ist der Kandidat der Kanzlerpartei als ORF-Chef gewählt worden, was dieser als Erfolg politischer Unabhängigkeit sehen wollte. Das ist prima vista Unsinn. Prinzipiell geht es um etwas, wofür sich niemand genieren muss: dass Eigentümervertreter über das Management des Eigentums befinden. Dahinter stand jedoch eine zweite Wrabetz-Ansage, sinngemäß: Ich agiere als Schirmherr für die journalistische Willkür mancher Redaktionen und nenne diese politische Unabhängigkeit. Auch dafür hat er die Stimmen “seiner” Betriebsräte bekommen.

Wie erinnerlich, hat Wrabetz mit den Voten des roten Freundeskreises, des Vertreters der Grünen, der NEOS, sowie des (nicht zur sozialdemokratischen Fraktion gezählten) Vertreters des Landes Kärnten sowie zwei “unabhängigen Betriebsräten” des ORF gewonnen (angeblich).

Bis zu den letzten drei Posten handelt es sich um ein perfekt symmetrisches Spiegelbild der rechten Reichshälfte.

Einerseits gibt es die Roten mit dem grünen und dem pinken Dhingy, andererseits die Schwarzen mit den Beibooten von FPÖ und Team Stronach (massive Schlagseite Steuerbord, wo die Blauen hängen).

Ab da scheiden sich aber die Wege und das geht primär auf die beiden Stiftungsräte aus dem ORF-Betriebsrat zurück (von der unabhängigen Linken). Die führen nach außen zwar unternehmenspolitische Argumente ins Treffen (“gegen Zertrümmerung von Strukturen, versteckte Sparpakete”) – siehe u.a. hier.

Tatsächlich soll es in diversen (informellen) Unterredungen vor der Wahl auch um etwas anderes gegangen sein.

Nämlich darum, (weiter) freie Hand für etwas zu haben, was als Kampf gegen Rechts bekannnt geworden ist – selbst gegen den Geist des BVG Rundfunk von 1974.

Natürlich wurde das nicht einmal hinter gepolsterter Tür so plump ausgedrückt. Es ging um Autonomie, Gedanken- und Meinungs- sowie um “innere Pressefreiheit”.

Es ist schwierig, die Agenda, um die es geht, erschöpfend zu beschreiben, weil es sich um ein Amalgam einzelner Meme handelt, die sich tief in den nicht-linksradikalen Bereich ziehen – also z.B.:

  • Ablehnung des Nationalstaats und der ihm entsprechenden demokratischen Republik – zugunsten irreführender, meist rein deklamatorischer Demokratiekonzepte etwa in “Europa” oder “auf Weltebene” (gemäßigtes Gegenstück: Euro-Föderalisten);
  • Zurückweisung von identitären Grenzen (z.B. von Staat oder Geschlecht), Befürwortung schrankenloser Wanderung sowie Ignorieren/Bagatellisieren der damit verbundenen Nachteile und Kosten (Widerpart in der bürgerlichen Mitte: “urchristliche Nächstenliebende”, “Asylindustrie”);
  • oder die bedingungslose Ablehnung der Freiheitlichen als Partei mit einer antidemokratischen oder gar nationalsozialistisch-revolutionären Agenda – trotz der strikt legalistischen Vorgehensweise des “dritten Lagers” über Jahrzehnte hinweg (gemäßigtes Spiegelbild: “Konkurrenzparteien” der Freiheitlichen, SPÖ und ÖVP).

“Trotzkismus” 2016

Die “Ideologie”, von der die Rede ist, ist kein Idealismus, als der sie oft missverstanden wird, keine religiöse Überzeugung oder auch nur ein simples Nützlichkeitskalkül wie es im Fall der Konkurrenzparteien der FPÖ vorliegt.

Es ist etwas Anderes.

Sucht man nach historischen Vorgängern/Parallelen, liegt der Trotzkismus am nächsten, das Postulat der permanenten Revolution auf Weltebene. Anders als etwa der Stalinismus kann solcher “Trotzkismus” in Windeseile seine Erscheinungsform wechseln und in den Masken des Europäismus, des Islamismus oder sogar unter den Vorzeichen einer (perfektionierten) imperialen Weltordnung von US-Gnaden erscheinen (Neocons).

Diese transhistorische Ideologie ist extrem wandlungsfähig und überall imstande, “die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen zu bringen”, wie Marx das ausgedrückt hätte.

Ihr von außen erkennbares Hauptmerkmal ist heute nicht mehr der historische Marxismus-Leninismus.

Moderne Charakteristika sind etwa Internationalismus, intransparente “Kabinettspolitik” bzw. “Planwirtschaft” auf übernationaler Ebene, Kollektivismus, Putschismus sowie eine extreme Gewaltbereitschaft, “wenn diese dem richtigen Zweck dient”. Selbst dem Finanzkapitalismus des ungedeckten Gelds und des fractional reserve banking kann sich dieser “Trotzkismus” anverwandeln.

Dessen Kadern und Einflussagenten, die einzeln wohl kaum Einblick in das Große und Ganze haben, soll die Führung des ORF publizistischen Unterschlupf gewähren; Unterschlupf und Schutz durch die Institution und deren Rechtsapparat.

Unabhängigkeit versus Objektivität und Ausgewogenheit

Dieser Apparat verteidigt die verfassungsrechtlich verankerte “Unabhängigkeit” der Mitarbeiter/Redakteure – BVG Rundfunk, Artikel I (2)und macht sich deren Interpretation der gleichermaßen gebotenen “Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung”, der “Berücksichtigung der Meinungsvielfalt” sowie der “Ausgewogenheit der Programme” zueigen (was im Rahmen einer weit ausgelegten Fürsorge-/Beistandspflicht durch den Arbeitgeber ORF passiert).

Dieses Vorgehen hat von außen oft den Anschein von journalistischer Willkür (obwohl es sich eben nicht um blinde Willkür, sondern um agenda setting handelt).

Was rechtfertigt z.B. das Powerplay von gewissen, oft “engen” Lieblingsthemen der Journos, während gleichzeitig für Seher und Hörerinen relevantere andere Angelegenheiten kaum Beachtung finden? Welche Eigenschaften qualifizieren die eine zur Trägerin von Meinungsvielfalt, die der andere nicht hat? Und wer misst nach welchen Kriterien die Ausgewogenheit der Programme, die selbst für den groben Augenschein alles andere als ausgewogen sind?

In Wahrheit werden solche für Öffentlich-Rechtliche zentrale Fragen nie aufgeworfen, nicht vor den zu diesem Zweck eingerichteten Gremien – und der Hauptgrund dafür ist, dass ein im Vorhinein absehbar ungleicher Kampf droht.

Wie bei vielen Auseinandersetzungen vor Gericht (womöglich gegen staatliche Interessen) hat nur eine Chance, wer einen extrem langen Atem, tiefe Taschen und/oder viel einschlägiges Know How hat.

Aussicht auf Durchsetzung ihrer Interessen im ORF haben allenfalls größere Organisationen, Lobbygruppen und Verbände, die meist sowieso im Stiftungs- oder wenigstens Publikumsrat sitzen (und eine Doppelstrategie fahren können).

Vereinzelte, Private, “Gebührenzahler” haben gegen den Apparat null Chance – nicht mit Beschwerden gegen eine konkrete Fehlberichterstattung und auch nicht mit welchen auf Basis einer (vom ORF) abweichenden Interpretation von Objektivität, Meinungsvielfalt oder Ausgewogenheit. Schon gar nicht, wenn das Vorbringen als Anschlag auf die Unabhängigkeit der Programmitarbeiter dargestellt werden kann.

In der wirklichen Welt leiden die rechtlichen Grundlagen des Österreichischen Rundfunks an einem Durchsetzungsdefizit. In der wirklichen Welt definiert der ORF selbst, was Objektivität, Meinungsvielfalt oder Ausgewogenheit bedeuten und er tut das auch im Sinn der oben geschilderten Gruppen.

Das passiert umso nachdrücklicher, je stärker das Management in der Schuld der Fürsprecher dieser Gruppen steht. Beispielsweise, weil es diesen seinen Job verdankt.

Nachbemerkung: Die Frage des Eigentums an/Besitz der “größten Medienorgel des Landes” (Gerd Bacher) ist eine, die genauso wichtig wie die der Auslegung der ORF-Gesetze (und Programmrichtlinien) ist.

Sie soll hier aber nicht besprochen werden.

Dass der ORF als öffentlich-rechtliche Anstalt bzw. Stiftung keine Eigentümer hat, ist eine Rechtsfiktion, die die politischen und wirtschaftlichen Eigentümer verschleiert (Staatsbürger/Gebührenzahler) – und die daher einen negativen Erkenntniswert hat.

Auch wenn der ORF per definitionem heute keinen Eigentümer hat, hat er einen Besitzer – jene Gruppen und Individuen, die über ihn verfügen. Dieses Halbdunkel öffnet illegitimen Partikularinteressen Tür und Tor.

Vielleicht steht gerade das Anerkenntnis, dass das Unternehmen im öffentlichen Eigentum steht, am Anfang eines Weges zu größtmöglicher Unabhängigkeit.

Nachbemerkung II, 11.8.2016, 11.15 Uhr: Ich muss zugeben, dass das Obige auf dem offiziellen Stimmverhalten der Stiftungsräte, mithin auf deren eigenen Angaben beruht. Die wirkliche Geschichte könnte eine ganz andere sein, aber ich habe keine gravierenden oder gar mehrfachen Hinweise, dass das Stimmverhalten in Wirklichkeit anders war.

Ich muss daher davon ausgehen, dass die beiden Freundeskreise ihre Geschlossenheit gewahrt haben und der Zieleinlauf sozusagen plangemäß, nach dem in der Zusammensetzung des Rats “eingebauten” Drehbuch erfolgte.

Unabhängiger Journalist

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