Der UN-Sicherheitsrat stimmt am Sonntag über die Entsendung von UNO-Beobachtern nach Ostaleppo ab und die Begründung des französischen UN-Botschafters, es gehe darum, “ein weiteres Srebrenica zu verhindern” wirft ein Schlaglicht darauf, was passieren könnte, wenn die siegreichen Truppen der syrischen Regierungsseite die verbliebene Rebellen-Enklave überrennen. Die Aussortierung und Ermordung aller waffenfähigen Männer. NB: “Hilfe” für Kapitulation gewünscht.
Die westlichen Medien und ihre Meistererzähler in den internationalen Nachrichtenagenturen scheinen nicht imstande (oder willens), ein einigermaßen realistisches Bild von der Lage zu zeichnen. das darauf verzichtet, die Lupe über die eine humanitäre Kalamität zu halten, während die andere nicht einmal in einem Nebensatz gestreift wird.
Diese Art von Berichterstattung wird derzeit bis zum Exzess in Syrien/Aleppo betrieben und die Frage stellt sich, welches konkrete Kriegsziel damit verfolgt wird (geht es darum, so viele Anti-Assad-Kämpfer wie möglich in einsatzfähigem Zustand herauszubekommen?).
Dabei wird nicht davor zurückgescheut zu suggierieren, es gehe in erster Linie darum das Leben von unschuldigen Zivilisten zu retten.
Obwohl sich noch Tausende echte Zivilisten im Kampfgebiet aufhalten mögen, geht es aber primär um das Schicksal der eingeschlossenen Anti-Assad-Kämpfer.
Ein in der Presse zitierter AFP-Bericht bringt eine historische Parallele, die ein Schlaglicht darauf wirft, was im schlimmsten Fall droht, wenn es bei einer militärischen Einnahme keine Zeugen gibt:
Der französische UN-Botschafter Francois Delattre sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Entsendung internationaler Beobachter nach Aleppo würde ‘ein weiteres Srebrenica’ verhindern.”
Was ist in diesem ostbosnischen Dorf 1995 passiert? Im “jugoslawischen Bürgerkrieg” haben serbisch-bosnische Truppen Srebrenica übernommen, Frauen, Kinder und Alte von den (potenziell) waffenfähigen Männern getrennt und Letztere in großem Stil exekutiert.
Es war das größte Kriegsverbrechen in Europa seit Ende des 2. Weltkriegs, aber (meiner Meinung nach) kein Völkermord, siehe dazu z.B. hier.
Es kostete 7.000 bis 8.000 Männern und Burschen das Leben – und wird durch den Umstand besonders pikant, dass Srebrenica UNO-Schutzzone war und die dort stationierten wenigen Blauhelme die Bluttat nicht zu verhindern versuchten.
Anders als das von echten Vertriebenen/Flüchtlingen überflutete Srebrenica kann in Ostaleppo heute nicht davon gesprochen werden, dass diese dort das Übergewicht hätten.
Das zeigt sich z.B. in jenen Agenturfotos, die einen Busbahnhof bei einem (gescheiterten) früheren Evakuierungsversuch zeigen. Frauen und Kinder gibt es auf diesen Fotos, die einen wenigstens minimalen dokumentarischen Wert haben, kaum – dafür jede Menge waffenfähiger Männer, siehe das Beispiel hier.
Die Regierungsseite hat prinzipiell schon einmal zugesagt, auch Kämpfer, die ihre Waffen abgeben, in das von Assad-Gegnern beherrschte Idlib zu bringen – aber es gibt auf Regierungsseite Milizen, die so etwas absolut nicht akzeptieren wollen (was irgendwie auch verständlich ist; schließlich wurde der militärische Erfolg mit ihrem eigenen Blut und dem ihrer gefallenen Kameraden bezahlt).
Die logischste Sache der Welt wären eine normale Kapitulation und Gefangennahme, aber das
- wollen die Rebellen nicht, erstens prinzipiell nicht und
- zweitens haben sie Angst, dass sie – wie sag’ ich’s? – nicht als Kriegsgefangene nach der Haager Landkriegsordnung behandelt werden.
Zweiteres bezieht sich auf einen verständlichen Wunsch, auch wenn diese Leute vielleicht nicht dem Vollbild einer regulären Armee entsprechen. Auch Personen, die dies anderen womöglich verweigert haben, haben ein Recht auf Leben.
Offensichtlich wird auch ein Abtauschgeschäft mit der Evakuierung von zwei belagerten schiitischen Dörfen in Idlib überlegt.
Fälle, die für die westlichen Medien bisher nicht existiert haben, jene Medien, die sich jetzt so sehr um die Menschen in Ostaleppo sorgen.
Ob das die richtige Vorgangsweise für die einen wie die anderen ist, scheint mir zweifelhaft.
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Russische und prosyrische Quellen behaupten, in einem Bunker in Ostaleppo seien 14 nicht-syrische Militärberater gefangen genommen worden, unter ihnen Golfaraber, Israelis, Amerikaner und Westeuropäer.
Teilweise werden sogar Namen genannt, aber es gibt keine Gesichter und Aussagen wie vor einem Jahr, als ein paar reguläre russische Soldaten (ohne Uniform) in der Ukraine gefasst wurden.
Soll die Erzählung von den 14 NATO-Offizieren glaubwürdig sein, muss freilich unbedingt irgendetwas Vergleichbares auftauchen.
Nachbemerkung, 18.12., 17.30 Uhr. Ich sage nicht, dass es wahrscheinlich ist, dass die Sieger von Aleppo ihre Feinde umbringen, ich sage, dass man das nicht ausschließen kann und habe das Gefühl, dass eine reguläre Kapitulation das Beste wäre – bei der ggf. mit Hilfe von außen sicher gestellt wird, dass die gefangen genommenen Kämpfer fair behandelt werden.
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