Eine Verteidigung d. europäischen Nationalstaats aus dem Geist Kants

cover_schachtschneiderDer deutsche Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider, der seit zwei Jahrzehnten gegen das aktuelle Modell der europäischen Einigung ankämpft, hat ein neues Buch mit dem ein wenig irreführenden Titel Die nationale Option vorgelegt. Wer dahinter Wilhelm II. oder gar den Größten Feldherrn aller Zeiten vermutet, liegt falsch. Plädiert wird für einen nationalen unechten Bundesstaat nach dem Muster der BRD (vor 1992) sowie für einen echten Bundesstaat/Staatenbund auf europäischer Ebene. NB: Einwürfe aus Deutschland.

Die argumentative Ursuppe der Nationalen Option hört auf den Namen Immanuel Kant –

und ihre Stimmigkeit bzw. gedankliche Treue möge von jenen beurteilt werden, die diesen Philosophen studiert haben, am besten über einige Jahrzehnte hinweg wie Schachtschneider selbst.

Der Autor dieser Zeilen gibt zu, dass er das nicht getan hat (und er das auch nicht durchhalten würde) und enthält sich in Fragen der authentischen Interpretation daher.

Dieser Blogger, der kein Jurist mit Spezialkenntnissen im öffentlichen Recht ist, hat nur verstanden, dass Schachtschneider für eine Republik eintritt, die nach den Bauprinzipien der Bundesrepublik Deutschland (und der Republik Österreich) gestaltet ist, was eine Selbstaufgabe, ein Aufgehen in einem europäischen Großstaat eigentlich unmöglich macht.

Dies selbst dann, wenn dies von einer Mehrheit der jeweiligen Bürger so gewollt würde (in einem Volksentscheid, der von unseren “Volksparteien” und ihren politischen Beibooten freilich um jeden Preis verhindert wird).

Die Europäische Union, sagt Schachtschneider, ist bereits heute ein nicht demokratiefähiger de facto Großstaat, der puncto potenzieller Tyrannei nur noch von einem Weltstaat überboten würde, wenn es diesen bereits gäbe. Man sei aber ohnedies “auf dem besten Weg” dorthin.

Diktaturförmigkeit der großen Einheiten

Großstaaten könnten nur über eine Föderalisierung den Erfordernissen von Demokratie und Rechtsstaat entsprechen.

Letztere setzten auch eine minimale Homogenität der Kultur und Lebensverhältnisse sowie eine gemeinsame Sprache voraus (wie z.B.in der “Sprachnation Deutschland”) – was Multikulti und politisch gewollter Islamisierung widerspricht.

Eine EU, die über kein Staatsvolk, sondern eine Bevölkerung sowie über keine gemeinsame Volkssprache verfügt, kann gar nicht die Form eines freiheitlichen Staatswesens annehmen.

Die Freiheit der Bürger aber verwirklicht sich in der Herrschaft des Rechts (die, genau besehen, keine echte Herrschaft ist).

Von dieser Rechtlichkeit entfernt man sich (wg. “republikswidrigem Parteienstaat”) zwar auch in Deutschland – dort gibt es aber, zumindest ansatzweise, noch eine Gewaltenteilung.

Dort verabschieden, zumindest theoretisch, noch die parlamentarischen Vertreter der Staatsbürger Gesetze – und nicht wie in “Europa” Regierungen und Höchstgerichte (“Unionsrechtsetzung ohne demokratische Legalität”)

In einem unitarischen (unechten) Bundesstaat wie die EU wohl einer wird, sagt Schachtschneider, dürfen die Teilstaaten nur in einem existenziellen Notfall austreten – anders als bei einem staatenbündischen Bundesstaat, wo ein Austritt leichter zu bewerkstelligen ist.

Eine Notsituation, z.B.

wenn der Bund die grundlegenden Verfassungsprinzipien des Landes zu verwirklichen unterbindet”,

ist in der Bundesrepublik bereits gegeben,

etwa durch eine Integrationspolitik, die das demokratische Prinzip aushöhlt, oder wenn der Bund (…) die innere Sicherheit und Ordnung gefährdet, wie 2015 und 2016 dadurch, dass er die illegale Massenzuwanderung, weitgehend sogar ohne die unverzichtbaren erkennungsdienstlichen Vorkehrungen, ermöglicht hat. In der existenziellen Lage setzt sich die existenzielle Staatseigenschaft der Länder durch.”

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Das ist starker Tobak. Der pensionierte Staatsrechtsprofessor erklärt nicht nur die Europäische Union für illegitim, sondern hält auch die Sezession deutscher Teilstaaten aus dem Bund für gerechtfertigt.

Die dazu nötige Ausnahmesituation ist seiner Meinung nach bereits gegeben, weil der Bund chronisch verfassungswidrig agiert (meine Worte).

Das offenbart eine Risikobereitschaft und einen Bekennermut, die unter viel jüngeren, als idealistisch geltenden Aktivisten der no border-Bewegung ihresgleichen suchen – Aktivisten, die sich der heimlichen Protektion, wenigstens aber der wohlwollenden Duldung durch die Staatsmacht sicher sein können.

Schachtschneider ist dagegen eine andere Sorte von Radikalinski.

Sein hehres Ziel ist nicht die klassen- und nationenlose Gesellschaft des Karl Marx, sondern die Sozial- und Wirtschaftsverfassung der frühen Jahre der Bundesrepublik Deutschland.

Seine Heiligen Schriften sind die Werke Kants (nur seine Bergpredigt ist das Grundgesetz von 1949).

Aus dieser Verfassung, die gar keine ist, entwickelt er seine Kritik an Neoliberalismus und Globalismus der Union, die einen unechten Freihandel propagiert und aggressiv gegen die Sozialbindung von Staatsunternehmen und Vermögen vorgeht, andererseits aber der Enteignung der Bürgerschaften durch das internationale Finanzkapital Vorschub leistet.

Seine Kritik an diesen Zuständen ist letztlich eine Kritik am Kapitalismus, marxistisch gesprochen: an der privaten Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel.

Das von einem der bürgerlichsten Bürger weit und breit, nicht nur im staatstheoretischen Sinn.

Karl Albrecht Schachtschneider, Die nationale Option. Plädoyer für die Bürgerlichkeit des Bürgers. 2017

Nachbemerkung, 8. August, 7.00 Uhr: Ein deutscher Leser wirft ein: “Und was ist mit der Schweiz oder Spanien (Galizier, Basken, Katalanen, Valencia)?” (Mutmaßliche Antwort Schachtschneiders: “Ausnahme”).

Sowie “Der Wahlmodus des Europa-Parlaments beruht auf der Repräsentation von Völkern, nicht einem Staatsvolk.” (Korrekt, drum stellt sich die Frage, inwieweit ein EP jemals demokratisch sein könnte) .

Unabhängiger Journalist

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