Eine amerikanische Anthropologin beschreibt unfreiwillig komisch die Irrungen und Wirrungen um das gescheiterte Projekt der ersten Nullemissionsstadt der Welt. Die bei Abu Dhabi gelegene Masdar City hat die Emirate zwar 22 Milliarden Dollar gekostet – Lieferanten und Akademikern aus aller Welt aber fette Aufträge und tolle Studienaufenthalte am Persischen Golf beschert. Über ein Raumschiff in der Wüste.
Der Laie ist ja versucht, das Forschungsprojekt der Günel von vornherein für eine ausgesuchte Bosheit zu halten – eine ethnographische Studie über die Akteure in und um Masdar City, als handle es sich um Amazonas-Indianer, Buschmänner oder Kanaken.
Aber wahrscheinlich sind vergleichbare Themen in ihrer Branche mittlerweile stinknormal, was sich u.a. daran zeigen könnte, dass eine Studentin schon in den guten Zeiten des Projekts, 2011, zwei Anthropologen anheuern wollte, die die Gelehrten-Gemeinde analysieren sollten (was damals nicht finanzierbar war).
Drum hat das Gökçe, die inzwischen Assistenzprofessorin für Anthropologie in Houston ist, mit ein bisschen Verspätung selbst machen müssen.
Super-transparent und ohne dass irgendwo ein Anzeichen von tongue in cheek zu erkennen wäre, berichtet sie nun davon, dass sie für ihr wissenschaftliches Projekt
- am MIT in Massachusetts,
- in Masdar selbst sowie
- in einem UNFCCC-Büro in Bonn
Feldforschungen (“fieldwork”) betrieben habe.
Ihr erstes Augenmerk gilt dem aus aller Herren Länder stammenden Völkchen aus Akademikern, Konsulenten und Post-Graduate-Studenten, das an die Gestade Abu Dhabis geschwemmt worden war – multikulturell und in der Regel hoch gebildet und hyperidealistisch.
Die Arrivierteren unter ihnen pfleg(t)en sich alle paar Monate bei UN-Klimakonferenzen hinter den Sieben Bergen zu treffen.
Sponsor war eine spezialisierte staatliche Investmentgesellschaft der VAE, die heute immerhin drei Millionen Barrel fördern, fast ein Drittel des größeren Bruders Saudiarabien.
Aber den Emiren, oder besser: dem Vater des heutigen Präsidenten war schon vor 15 Jahren bewusst, dass man eines Tages wieder ohne Ölexporte würde auskommen müssen
und umweltbewusst war man traditionell sowieso – schließlich hatte sich schon der Staatsgründer-Großvater des aktuellen Machthabers um die bedrohte Saharakragentrappe verdient gemacht.
Was lag da näher als ein Renewableenergyzeroemissionsprojekt zu gründen, um es den Ignoranten auf der ganzen Welt zu zeigen, die bis heute glauben, sie hätten es hier mit neu- und stinkreichen Kameltreibern zu tun
(mit Ausnahme von uns Österreichern, die wir über die Großaktionäre der OMV natürlich nicht so denken).
Jedenfalls war am Anfang alles paletti am Masdar-Campus. Das Kapital floss und Foster + Partners und andere Auftragnehmer waren’s zufrieden.
Auch für Angestellte und Studenten gab es am Masdar Institute so gut wie alles, was der Mensch zum Leben braucht: Sushi Bar, Cafeteria, Fitnessstudio und Reformkostladen.
Zuerst wurde auch ordentlich gebaut, u.a. ein futuristisches Nahverkehrssystem, das in der Endausbauphase 60.000 Pendler aus 1.500 Firmen und Institutionen transportieren sollte,
und über ein neues Geldsystem hat man auch nachgedacht, über den auf Energiezuteilungen beruhenden Energo, der künftig VAE-Dirham ersetzen sollte.
Studiert wurde z.B. aber auch das Vergraben von Kohlendioxid (“Carbon Capture and Storage”), eine bis heute noch umstrittene Technologie.
Auch eine Art von Klimawandel
Doch irgendwann haben die Sponsoren die Geduld verloren – vielleicht weil sich der Zuzug neuer Unternehmen und die versprochenen clean energy-Startups in Grenzen hielten.
Schon nach ein paar Jahren fing das Geld für den weiteren Ausbau zu stocken an – und eine Folge davon war. dass die futuristischen personal rapid transit pods gerade noch bis zum Parkplatz führten, wo die SUVs der Angestellten standen.
Die Günel hatte bei ihrem Masdar-Aufenthalt 2010/11 jedenfalls kein eigenes Auto zur Verfügung, weswegen sie mit dem (klimatisierten) Taxi zehn Monate lang von und nach Dubai pendeln musste;
dort lag das von ihr genutzte Appartement eines Freundes (sie hätte eigentlich im dorm der Studenten übernachten wollen, konnte aber keine security clearance bekommen).
Das, schreibt die Autorin, habe sich letztlich aber als Vorteil entppuppt, weil sie sich die Mietwagen mit Interview- und Hinweisgebern geteilt habe, die einen
einschneidenden Einfluss auf die Formulierung meiner Feldforschung hatten.”
Ihre Gesprächspartner seien aus Algerien, Kolumbien, Ägypten, Deutschland, Griechenland, Island, Indien, dem Iran, Libanon, dem Sudan, Rumänien, Großbritannien, der Türkei und natürlich aus den USA gekommen, aber oft nicht allzu lange geblieben.
Eigentlich, resümiert Günel, sei es in Masdar bloß um “technische Anpassungen” gegangen, was freilich symptomatisch sei:
Vielleicht können wir das Masdar-Projekt als Indikator eines allgemeinen Trends im Management des Klimawandels verstehen (…) Man kann derlei (technische) Anpassungen auch in anderen Teilen der Welt beobachten. Elektrische Autos, biologisch abbaubare Plastisackerl und energieeffiziente Glühbirnen sind Beispiele für moderne Methodologien mit Energieknappheit und Klimawandel umzugehen.” (31)
Zurück in die Steinzeit?
Womit wir beim klima- bzw. energieideologischen Hintergrund der Autorin wären.
Dieser besteht darin, dass Günel
- die Lehren des CO2-Warmismus für pure Wissenschaft hält und den zweiten Teil der Phrase “Klimawandel und Energieknappheit” als lästiges, letztlich irrelevantes rhetorisches Anhängel betrachtet
- und dass sie meint, dass die Menschen den Kapitalismus infrage stellen und sich von technologischer Entwicklung und Wirtschaftswachstum abwenden sollten.
Wenn sie das ernst meint und konsequent ist, plädiert Günel dafür, dass acht Milliarden Menschen wie prähistorische Jäger und Sammler, wenigstens aber wie ihre Vorfahren in historischen Agrargesellschaften leben sollen.
Und wenn sie dann noch intellektuell redlich wäre, müsste sie einräumen, dass das mit ziemlicher Sicherheit das Todesurteil für sieben Achtel der Menschheit bedeutete.
Bild: GDS Infographics [CC BY 2.0]
Gökçe Günel, Spaceship in the Desert. Energy, Climate Change, and Urban Design in Abu Dhabi.2019
Masdar’s zero-carbon dream could become world’s first green ghost town
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