Zwei Wapo-Journos haben die ersten zwei Präsidentschafts-Jahre resümiert und, wie zu erwarten, fällt A Very Stable Genius nicht eben schmeichelhaft für Donald Trump aus. Die Autoren beschreiben den verhassten Präsidenten als “ungelenkte Rakete” und geistig instabil. Es ist, als würden die Wortführer einer Gang von bully boys (und -girls) Verständnis heischend schildern, wie durchgeknallt ihr Mobbing-Opfer doch sei.
Diesem Blogger ist bewusst, dass jeder Vergleich wenigstens ein bisschen hinkt und dass zwischen den Verglichenen ein paar Zehnerpotenzen liegen, was deren Macht, ihren Reichtum und den sie umgebenden Glamour betrifft.
Trotzdem musste ich bei der Lektüre von Ruckers und Leonnigs Buch immer wieder an Richard Lugner denken, ein österreichisches Lokal-Original und Reality-TV-Star, dessen Geschicke die Alpenrepublik zwei Jahrzehnte lang unterhalten haben.
Lugner besaß eine Baufirma und war mit dieser auf überschaubarem Terrain und in nicht besonders anspruchsvollen Zeiten moderat erfolgreich – ein leidlich guter, bauernschlauer Unternehmer in einer Branche, die so ihre Eigenheiten hat.
Dafür wurde “Mörtel” aber nicht berühmt
- sondern weil er einmal im Jahr eine schon etwas angejahrte ehemalige Hollywood-Größe nach Wien einlud mit ihm auf den Opernball zu gehen (wofür er natürlich ordentlich löhnen musste);
und weil er viel jüngere Frauen und Freundinnen hatte, in die er sich quasi vor der Fernsehkamera verliebte, mit denen er sich kurz darauf aber wieder zerkrachte,
Man könnte über diese Doppelexistenz eine Menge schreiben.
Hier nur so viel: Hinter der Kunstfigur versteckt sich ein einfach gestrickter Geschäftsmann – ähnlich wie der 45. US-Präsident mit seinem Florida-Outfit und seinen Diet Cokes und Subway-Sandwiches.
Wie Trump war Lugner von seiner Firma gewohnt, dass allein nach seiner Pfeife getanzt wurde
Deswegen ist der Mann aber weder geisteskrank noch wäre er amtsunfähig gewesen, wäre er jemals in die Hofburg eingezogen.
Ein Tölpel-Präsi
Trump ist absolut und relativ ungleich mächtiger als Lugner je hätte werden können. Doch auch der Amerikaner ist weder verrückt noch unfit für sein Amt wie die Autoren von A Very Stable Genius nahe legen.
Dieser Text basiert auf den nämlichen Strategien, mit denen im Tagesjournalismus irregeführt wird ohne zu buchstäblich zu lügen,
etwa durch Weglassen wesentlicher Informationen oder fragwürdige Kontextualisierungen, im Regelfall aber über die Wortwahl und subtile rhetorische Strategien.
Die zugrunde liegende politische Moral besagt im Wesentlichen, dass ein “Baumeister” auf der Kommandobrücke des Staats nichts verloren hat - egal wie die vorangegangene Präsidentschaftswahl ausgegangen ist.
Gezeigt wird auch, dass in Washington eine überparteiliche und teilweise koordinierte Abwehrfront gegen Outsider ohne Verwaltungspraxis und Legalese-Kenntnisse existiert (und dass eine solche Behauptung keineswegs paranoid ist);
wobei das von Anfang an als Widerstand der Anständigen und Kompetenten gegen einen inkompetenten, sprunghaften und Mafia-ähnlich agierenden Eindringling gezeichnet wurde.
Die Folge war, dass der präsidenzielle Tölpel, der gewohnt gewesen war, Opponierer formlos zu entlassen, immer öfter die Nerven verlor und wild um sich zu schlagen begann.
In kritischer bis feindseliger Öffentlichkeit redete er wie ihm der Schnabel gewachsen war und gab Dinge zu Protokoll, die juristisch wenigstens unklug waren.
Der Developer mag die Regeln der Immobilienszene kennen – jene der Washingtoner Regierungs- und Medienkreise sind ihm offenkundig unbekannt.
Er scheint bis heute nicht zu wissen, wann die Zeit gekommen ist
- nichts zu sagen
- und wie etwas formuliert werden soll, wenn die Zeit des Sprechens angebrochen war.
- Der Mann hatte keine Ahnung von ungeschriebenen Gesetzen und Ehrenkodices von Berufsgruppen, die er nicht kennt
- und er behauptet(e) Dinge, die sich nicht letztgültig beweisen ließen
- etwa, dass sein Vorgänger ihn bespitzeln habe lassen.
Knapp daneben.
Die korrekte Formulierung wäre wohl gewesen,
dass das von seinem Vorgänger bzw. der Gegen-Partei kontrollierte FBI die Trump-Kampagne abhören hat lassen.
Dafür holte das Büro das Plazet eines geheimen Gerichts ein, das von den Antragstellern vorschriftswidrig nur unvollständig informiert worden war (klarerweise hat der “Angeklagte”/Verdächtigte in solchen Verfahren weder Informationsrechte noch Stimme.)
Gleich nach dem Spitzel-Tweet hieß es, Trump habe wohl wieder gelogen und bis heute wurde eine direkte Involvierung seines Amtsvorgängers in die Lauschaktionen nicht nachgewiesen
- wobei noch nicht aller Tage Abend ist.
Das ist freilich nicht ausreichend.
Es bedarf mehr und eindeutigeren Materials, das von unabhängigen Richtern entsprechend gewürdigt worden ist.
Flynn, Comey & Mueller
Oder die Story vom ersten Sicherheitsberater Trumps, Michael Flynn, der im Februar 2017, nach nicht einmal zwei Monaten seinen Hut nehmen musste.
Flynn, offiziell noch gar nicht im Amt, hatte einen Fehler gemacht, den er durch eine Lüge verschleiern wollte
(und er hat es vor Jahren unterlassen ein eigentlich verpflichtendes Formular auszufüllen – was ihn heute zu einem “rechtskräftig verurteilten Straftäter” macht).
Der General, ein Geheimdienstler, hatte drei Wochen vor der Amtsübernahme Trumps mit dem russischen Botschafter telefoniert und diesem in Aussicht gestellt, die künftige Regierung werde jene Sanktionen gegen Russland aufheben, die der scheidende Präsident soeben erlassen hatte.
Moskau solle keine Vergeltung üben und weiter eskalieren.
Dieses Gespräch wurde abgehört und “nach außen gespielt” (das Telefon des russischen Botschafters war ein “legitimes Ziel”).
Flynn stritt das Telefonat gegenüber dem FBI und Vizepräsident Mike Pence ab,was diesen schwer in Verlegenheit bringen sollte.
Die Lüge des Generals flog auf und Flynn wurde deswegen angeklagt und musste als Sicherheitsberater gehen.
Obwohl keine weiter gehenden Vorwürfe objektivierbar waren, wird bis heute der Eindruck erweckt, Flynn habe als Agent einer fremden Macht agiert.
Die Personalie spielte drei Monate später erneut eine Rolle, denn:
Trump soll den im Mai 2017 geschassten FBI-Chef James Comey aufgefordert haben, die Untersuchungen gegen Flynn einzustellen,
was nicht unplausibel wäre, aber vehement dementiert wurde (wohl weil das eine “Behinderung der Justiz” darstellen würde).
Sollte Trump das getan haben, hat er es für einen vor Monaten ausgeschiedenen Mitarbeiter getan (weil Flynn zu den “good guys” gehöre).
Derlei ist der Stoff des zweiten Bandes des Mueller-Reports, der der “obstruction of justice” durch den Präsidenten gewidmet ist.
Der Sonderermittlers hat eine Reihe von Indizien für eine solche Justiz-Behinderung gesammelt (angeklagt wurde letztlich nichts).
Zumeist handelte es sich um irrelevantes Pipifax (wobei die Manafort-Sache lediglich irrelevant zu sein scheint.)
Nichts hat jedenfalls mit einem “Hochverrat” zugunsten Russlands o.ä. zu tun.
Trotzdem erwecken Journalisten den Eindruck, die juristischen Troubles der vom FBI ins Visier genommenen stünden in Zusammenhang mit der imaginierten “Verschwörung mit Moskau” – beispielsweise durch Flynn.
Vielleicht gab es eine solche Verschwörung ja tatsächlich - in einem Rechtsstaat gilt aber nur, was vor Gericht präsentiert werden kann. Angeblich um die rule of law besorgte Journos sollten das eigentlich wissen.
“A Bunch of Dopes and Babies”
Bezeichnend ist das neunte Kapitel des Buchs, das von der Washington Post teilabgedruckt wurde.
Es beschreibt ein Mitte 2017 stattfindendes Meeting, in dem nach Darstellung von Rucker-Leonnig Minister und Generäle dem tölpelhaften Präsidenten eigentlich hätten erklären wollen, “wie kompliziert die Welt ist”.
Trump zuckte aber aus und beschimpfte die anwesenden Generäle als “Trottel und Säuglinge”, weil das Militär seit 16 Jahren in Afghanistan sei ohne den Krieg gewonnen zu haben und weil die Generäle zu nachsichtig gegenüber den Verbündeten seien, die nicht die versprochenen finanziellen Lasten schulterten.
Die Intention der Schreiber ist offenkundig den Präsidenten als unberechenbaren Irren zu zeichnen, der über bewährte Offiziere herfällt, aber der Vorgang zeigt wohl auch, dass Trump zu seinen Aussagen im Wahlkampf steht, auch wenn ihn der “tiefe Staat” hinter gepolsterten Türen “in die Mangel” nimmt.
A Very Stable Genius endet mit der Publikation des Mueller-Reports im März/April 2019 bzw. mit dessen Nachwirkungen.
Wie bekannt konnte der Sonderermittler keine Beweise für eine Verschwörung oder auch nur Abstimmung mit Moskau vorlegen,
aber er beschrieb zehn Vorgänge, die als obstruction of justice gesehen werden können.
Doch kam es weder zu einer Anklage noch zu einem Impeachment (auf Basis des Mueller-Reports).
Der Präsident verkündete lauthals, dass der Bericht ihn völlig entlaste und dass die “größte Hexenjagd der Geschichte” nun vorbei sei.
Trump hatte mit beidem unrecht, denn:
- Der Report did not “exonerate” him – was gar nicht möglich gewesen wäre (höchstens Trump hätte sich während der vergangenen fünf Jahre auf dem Mars befunden, nachweislich ohne Funkkontakt zur Erde).
- Auch das, was Trump als “witch hunt” zu bezeichnen beliebt, war noch nicht zu Ende. Das Kesseltreiben war von Anfang an eine politische Angelegenheit, die 2020 mit dem Amtsenthebungsverfahren auf die politische Bühne zurück kehrte, in den Kongress. Dabei schafft man es bis heute, über unausgesprochene Drohungen gegen einen osteuropäischen Vasallenstaat zu schreiben, über den Ansatzpunkt, mögliche corruption by income generation aber zu schweigen. Der letzte Akt wird wahrscheinlich am 3. November 2020 in den Wahlzellen stattfinden.
Philip Rucker, Carol Leonnig, A Very Stable Genius. Donald J. Trump’s Testing of America. 2020
The Mueller Report, presented with Related Materials by the Washington Post. Introduction and Commentary by Reporters Rosalind S. Helderman and Matt Zapotoski. 2019
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