Der kürzlich 89-jährig verstorbene peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa, war nicht nur einer der größten Erzähler Lateinamerikas, sondern auch das seltene Beispiel eines weißen Raben, eines (“Ordo”-)Liberalen in einem Meer von in diesem Subkontinent beheimateten leftistischen und manchmal gar stalinistischen Intellektuellen (“rechte proautoritäre Intellektuelle” gab es freilich auch, tendenziell etwas früher).
Die auch auf Deutsch übersetzte “Llamada de la tribu” ist des Dichters Versuch, sieben Idole seiner “letzten 60 Lebensjahre” (vorher war er Kommunist) ins Rampenlicht zu rücken.
Dieser Blogger würde den Text freilich weder als “intellektuelle Autobiografie” bezeichnen, noch – in diesem Zusammenhang -. den Begriff “Horde” verwenden, der ihm zu sehr nach mittelalterlichen Mongolen oder gar Steinzeit-Menschen klingt. “Stamm” reichte schon und wäre sogar präziser.
Aber sei’s drum: der Punkt, den Vargas Llosas machen will, dass nämlich seine exemplarisch vorgestellten Groß-Denker den Gegensatz “liberaler Herrschaftsverbände” zu traditionellen Stammesgesellschaften deutlich machen,
kommt an – egal, wie man die jeweiligen “traditionellen Ingroups” nennt.
“Liberalismus” hat in Lateinamerika freilich eine andere Bedeutung als z.B. im staatsverliebten Europa, wo Parteien, die gar nicht sonderlich “populistisch” sind, als tendenziell verfassungsfeindlich angeschmiert werden.
Den ethnologischen Begriff “tribu” kann man gerne auch auf “Populismus” ausweiten
- man sollte nur fest halten, dass der “lateinamerikanische Populismus” etwas anderes ist als der “Populismus der heutigen europäischen Sprachpragmatik”.
Lateinamerikanische Beobachter würden – durchaus “empiriegeleitet” - auch etliche Militärdiktatoren des Subkontinents als “Populisten” klassifizieren, obwohl diese in der europäischen Taxonomie als “linksnationalistische”, “antiimperialistische” oder sonstwie schön geredete “good guys” geführt würden.
Vargas Llosa mag bezüglich der energetischen Voraussetzungen liberaler Herrschaftssysteme naiv gewesen sein (siehe unten),
aber ich sehe nicht, dass er in seiner Ablehnung einen großen Unterschied zwischen Juan Perón, Augusto Pinochet und Hugo Chávez machen würde.
Ja, die Genannten agierten unterschiedlich brutal - aber für Ordo-Liberale ist ein Militärdiktator letztlich ein Militärdiktator.
Vargas Llosa thematisiert in “Llamada de la tribu” Adam Smith, José Ortega y Gasset, Friedrich August von Hayek, Karl Popper, Raymond Aron, Isaiah Berlin und Jean-François Revel,
was natürlich ebenso rar wie ehrenwert ist (im Gegensatz zu Hitler- und Stalin-Panegyrikern).
Nur: Alle Genannten bis auf Adam Smith waren Kinder des 20. Jahrhunderts, in dem die “surplus energy” das Bild prägte
- erst durch Kohle, dann durch Öl.
Die liberalen Systeme – aber auch die kommunistischen und faschistischen, also die “modern-diktatorischen” – sind anscheinend erst durch diesen Überschuss ermöglicht worden
(woraus dieser Blogger schließt, dass der moderne Totalitarismus, ebenso wie der Kampf gegen diesen ein solches Energieregime zur Voraussetzung hat).
Der 2010 mit dem Literaturnobelpreis Bedachte war also ein durch und durch “politischer Mensch”, wenngleich nicht auf die Art, die ML-Kaderanten und westliche Kulturschickeria gerne gesehen hätten.
Eines hat der Romançier, der politisch durch “viele Wässerchen geschwommen ist”, jedenfalls hinlänglich bewiesen:
dass man weder 25 Jahre und Marxist, noch 85 und Liberaler sein muss, um erzählen zu können.
Das kann man, oder man kann es nicht.
Und Leute wie Jorge Borges, Carlos Fuentes, Gabriel García Márquez konnten es – ebenso wie der Jüngste von allen, Mario Vargas Llosa.
Bild: Hreinn Gudlaugsson, CC SA 4.0, via Wikimedia Commons.
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