Advokratie vs. Alpenrepublik: Wahl in juristischer Warteschleife

Österreich könnte die erste Demokratie werden, die “auf juristische Weise” ihrer Handlungsfähigkeit beraubt wird. Die Wahl des Bundespräsidenten droht mit rechtlichen Spitzfindigkeiten auf die lange Bank geschoben werden – ohne dass dabei ein Ende abzusehen ist. Ein Gastbeitrag von Anonymus.

Sollte am 4. Dezember – wie angekündigt – tatsächlich gewählt werden, wäre der Wahlprozess zur Bestimmung des Staatsoberhaupts bereits ein Dreivierteljahr alt (Start des Wahlkampfes für den ersten Wahlgang: Feburar 2016).

Doch auch der nun fixierte Termin wackelt bereits – ein paar Tage nach der letzten Verschiebung.

Der Hauptgrund dafür sind rechtliche Querelen, bei denen eine Menge Geichtspunkte über den für eine Demokratie wohl zentralen Wahlprozess gestellt werden.

Was ist geschehen?

Zunächst gab es am 1. Juli 2016 ein Erkenntnis des hiesigen Verfassungsgerichtshofes, wonach die Stichwahl vom 22. Mai, bei der der ehemalige Chef der Grünen, Van der Bellen, die Nase vorn gehabt hatte, zu wiederholen sei. Begründung: Gesetzesverstöße bei der Auszählung im zweiten Wahlgang, die mehr als 70.000 Stimmen betrafen.

Nach der Sommerpause des Parlaments wurde die verschobene zweite Runde schließlich für 2. Oktober angesetzt.

Der aktuelle Vertragspartner des Innenministeriums, eine Druckerei namens kbprintcom.at, der ein Patent auf ein innovatives, “datenschutzrechlich unbedenkliches” Laschen-Kuvert besitzt, wurde mit der Produktion der Wahlkarten beauftragt.

Deren Vorgänger war die (damals schon private) Österreichische Staatsdruckerei.

Die hatte bis 2008 die „einfachen Wahlkuverts“ gedruckt. Der Vertrag war aber aufgelöst worden, nachdem sich ein Wähler vor Gericht beschwert hatte, dass auf den gelieferten Briefwahlkuverts sein Name und Geburtsdatum erkennbar gewesen seien.

Der sogenannte Datenschutzrat schritt ein und die Folge war die Anmeldung eines Patents durch oben erwähnte Firma, die damit ein Monopol auf die Wahlkuverts/Wahlkarten-neu erwarb.

So weit, so gut – Anfang September 2016 stellte sich aber heraus, dass die neu gedruckten Wahlkarten mangelhaft waren – die Klebestreifen versagten.

Die Regierungsstellen gerieten daraufhin scheinbar in Panik und verschoben den Termin auf den 4. Dezember.

Und sie beauftragten zunächst den früheren Vertragspartner, die Österreichische Staatsdruckerei, erneut mit der Herstellung von Wahlkarten – jener einfachen ohne Lasche, die bis 2008 verwendet worden waren (genauer: die direkte Beauftragung der ÖSD war beabsichtigt, scheint aber nicht zu funktionieren).

Zu allem Überfluss schien/scheint der von den Freiheitlichen entsandte Kandidat, der als Rechtspopulist verteufelte Norbert Hofer, bei den Meinungsumfragen vorne zu liegen.

Verfassungs-, Wettbewerbs- und Datenschutzbedenken

Es entfaltete sich emsiges Treiben bei Anwälten und Rechtsexperten:

  • Ein “Top-Anwalt” stellte das “Urteil” des Verfassungsgerichts in Frage – mit der Begründung, dass keine Manipulation nachgewiesen worden sei und dass es der FPÖ auf Basis des VfGH-Erkenntnisses künftig möglich sei, jede Wahl anzufechten (“Wahlen haben Glücksspielcharakter bekommen” ). Der Advokat ficht die Neuaustragung der Stichwahl beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an. (Natürlich stünde es nicht nur der FPÖ, sondern auch jeder anderen Partei frei, auf der vom VfGH angeblich neu geschaffenen Rechtsbasis eine Wahl anzufechten)

Gibt der Europäische Gerichtshof Zangers Klage statt und gewinnt Norbert Hofer die Neuaustragung des zweiten Wahlgangs, könnte es ZWEI gewählte (!) Bundespräsidenten geben.

  • Damit nicht genug, könnte jener Auslandsösterreicher, der 2008 schon gegen die alten Kuverts geklagt hatte, ERNEUT vor den Kadi ziehen; dann nämlich, wenn wieder die Österreichische Staatsdruckerei den Auftrag erhielte die alten Umschläge zu liefern. Auch das würde die Wiederholung der Stichwahl am 4. Dezember gefährden.
  • Verbesserte NEUE Wahlkarten nach Spezifikation der Fa. kbprintcom.at kann eine andere Druckerei aber nicht ohne weiteres herstellen. Und wenn sie es könnte, dürfte sie nicht. Denn kbprintcom.at verfügt nicht nur über das Patent, sondern auch über einen gültigen Vertrag mit dem Innenministerium.
  • Die Österreichische Staatsdruckerei darf nach EU-Recht gar keine neuen Wahlkarten drucken – jedenfalls nicht ad hoc. Dazu müsste erst ein neuer Auftrag EU-weit ausgeschrieben und der Bestbieter ermittelt werden. Erst dann dürfte es eine neue Auftragsvergabe geben. Und so etwas würde monatelang dauern.

Jetzt war guter Rat teuer.

Die Lähmung eines zentralen demokratischen Prozesses kraft provozierter und selbst heraufbeschworener juristischer Zwangssituationen lag in der Luft – zur Freude von Anarchisten, Extremisten und Chaoten im ganzen Land.

Schließlich verfiel man im Innenministerium auf folgende Lösung: Die bei der Lieferung versagende Firma wird “gebeten”, sich einen Lizenznehmer zu suchen, der mit dem von kbprintcom.at patentierten Verfahren einwandfrei liefern könnte – also eine Wahlkarte des neuen Typs, aber mit funktionierenden Klebstreifen.

Ein Sublieferant würde eine Neuausschreibung überflüssig machen.

Und wer kommt dafür zuallererst in Frage? Erraten: Die Staatsdruckerei!

Der Versuch bedeutet freilich noch lange nicht, dass die Problemlösung funktioniert und dass die Kuvertliefer-Sache zufriedenstellend gelöst ist.

Was würde passieren, sollte kbprintcom.at zwischenzeitlich in Konkurs gehen? Und was, wenn plötzlich eine andere Firma, wo auch immer, aufzeigte – eine, die z.B. in Asien auch über die nötigen Patente verfügt, um Wahlkarten mit der geforderten Spezifikation zu drucken?

Was geschähe, wenn ein solches Unternehmen seinerseits mit Klage drohte – in einer EU-Jurisdiktion oder vor einem österreichischen Gericht?

Oder wenn es tatsächlich “nur” zu einer Wahlanfechtung wegen des einen oder anderen Verstoßes gegen das korrekte Procedere kommen würde – womöglich wegen der nur geringfügigen Verletzung einer Vorschrift?

Fragen über Fragen.

Die Verunsicherung sitzt jedenfalls tief.

Manchmal hat es den Anschein, als sollte ein für eine demokratische Republik fundamentaler Prozess, die Wahl des ersten Mannes im Staat, durch wettbewerbsrechtliche Rücksichtnahmen, Datenschutzbedenken sowie über die Angst vor neuerlichen Fehlern in der Wahldurchführung ausgehebelt werden.

Geschieht das alles mit Absicht? Und wenn ja – mit welcher?

Edit, 19.9., 17.30 Uhr: Dr. Zangers Beschwerde geht an den EGMR und nicht den EuGH. Die Behauptung, dass es “keine Hinweise auf einen Wahlschwindel” gebe, ist in jedem Fall lächerlich.

Unabhängiger Journalist

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