Ältere Neuigkeiten vom Untergang des weströmischen Kaiserreichs

coverEin US-Althistoriker bietet unter dem Titel Imperial Tragedy einen Überblick über die letzten 150 Jahre Westroms. Uns Laien erzählt er eine blutfarben-bunte Geschichte. Er hat aber auch eine ideologische Mission – den Kampf gegen die Sicht, barbarische Immigranten hätten das Ende des Imperium Romanum herbeigeführt. Das sei “borderline rassistisch”. Der Staats-Exitus sei jedoch die logische Folge des Handelns regionaler Eliten gewesen, die sich von der Zentralgewalt nichts mehr erwarten konnten.

Ausgangspunkt der Erzählung Michael Kulikowskis ist das Rom Kaiser Konstantins bzw. des Diokletian mit dessen Reformen.

Nach der Krise des dritten Jahrhundertes hatte sich eine gewisse Stabilisierung eingestellt (was möglicherweise mit der Enteignung der nicht-christlichen Tempel durch Konstantin zu tun hatte).

Weiter geht’s bei Kulikowski mit den Vorboten der Völkerwanderung, als deren erster Höhepunkt die Schlacht von Adrianopel begriffen werden kann.

Die Hunnen haben damals begonnen, Völker und Stämme in Westasien und Osteuropa in Bewegung zu bringen und die Jahre vor Adrianopel waren der Anfang vom Ende, weil damals die schlechte Angewohnheit einriss, dass fremde Völkerschaften unkontrolliert durch’s Reich streifen durften (sagt dieser Blogger).

Aus den terwingischen Goten der zweiten Häfte des vierten Jahrhunderts wurden “im Nu” Dutzende andere, mehr oder weniger homogene Verbände, die durch die römischen “Diözesen” marodierten – siehe dazu hier.

So viel muss gesagt werden dürfen – “Rassismus” hin oder her.

Der Schwerpunkt des Kulikowski-Narrativs liegt auf den letzten Ereignissen des 395 geteilten Römischen Reichs, bis hin zum Verschwinden des edlen Knaben Romulus Augustulus 476, das üblicherweise als Ende des westlichen Teilstaats interpretiert wird.

Dankenswerterweise jedoch spannt der Historiker der Universität von Pennsylvania den Bogen der Ereignisse weitere hundert Jahre bis zum Aufstieg der (merowingischen) Franken im Westen und zur Herrschaft Justinians in Konstantinopel.

Natürlich ist hier nicht der Platz Kulikowskis Kaiserliche Tragödie erneut nachzuerzählen, die ja selbst eine Art abridged version darstellt.

Aber ihre Lektüre macht hinreichend klar, wo der entscheidende Unterschied zwischen dem dem Untergang geweihten failed state im Westen und Byzanz gelegen ist, das tausend Jahre älter geworden ist:

in der Steuerbasis bzw. darin, dass die Augustae im Osten es geschafft haben zur rechten Zeit ausreichend Gold zu mobilisieren.

Nur das hat es ihnen ermöglicht Krisen zu übertauchen – und nicht, dass man z.B. in Konstantinopel weniger dekadent oder brutal gewesen wäre.

Geschäfts- und Verwandtschaftsbeziehungen scheint man zu dieser Zeit im Regelfall ohnedies mit Mord beendet zu haben, im Osten wie im Westen.

Theodosius II, der 422 nur 350 Pfund Gold an die Hunnen zahlen musste, war bloße 25 Jahre später in der Lage 2.100 Pfund Schutzgeld über den Tisch zu schieben (und weitere 3.900 an angeblichen Zahlungsrückständen).

Die armen Vettern im Westen vermochten das nicht, bzw. sie versuchten es einmal vergeblich, bei Alarich im Jahr 408 (und danach nie mehr).

Die Weströmer wurden bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts von den Hunnen auch nicht direkt bedroht – sie hatten aber “eigene Barbaren” am Hals, die üblicherweise germanischen Ursprungs waren.

451, als Attila doch noch in Gallien einfiel, gelang den Weströmern mithilfe der in Südfrankreich sitzenden Westgoten auf den Katalaunischen Feldern noch ein Sieg in einer Schlacht.

Es war das große Glück speziell der Ostler, dass Attila kurz danach in einer seiner zahlreichen Hochzeitsnächte an einem Blutsturz starb, woraufhin die Hunnen-Herrschaft binnen kürzester Zeit kollabierte.

Einen weiteren Auftrieb der Tributleistungen nach dem Muster der vorangegangenen Jahrzehnte hätten sich wohl nicht einmal der reiche Theodosius und dessen Nachfolger leisten können.

Während Konstantinopel Steuern, Gold und letztlich auch ein Quäntchen Glück hatte, hatten Rom bzw. Ravenna immer weniger davon.

In Regierungszeiten von Honorius und Valentinian III (bzw. Stilicho und Aëtius) herrschte wenigstens nach außen noch Stabilität und Kontinuität, während hinter den Kulissen die ohnedies schon schmale Steuerbasis der weströmischen Staatsgewalt schrittweise in sich zusammenbrach.

Ganz aus war’s dann nach 439, nachdem die Vandalen die reichen nordafrikanischen Provinzen westlich von Karthago erobert hatten, was die Getreidelieferungen für Rom sowie die Steuerleistungen römischer Landadeliger in Nordafrika unterbrach.

Die weströmischen Kaiser und ihre Generäle bzw. Regierungschefs versuchten über ein paar Jahrzehnte noch, sich mit einer Schaukelpolitik über Wasser zu halten – das Ende war aber nur mehr eine Frage der Zeit.

Anders als Kulikowski glaubt dieser Blogger nicht, dass unter Majorian etc. noch eine realistische Chance bestand, Geiserich bzw. Hunerich zu besiegen – noch scheint ihm die Charakterisierung von Flavius Aëtius als “ein warlord unter vielen” besonders fair zu sein.

Aëtius hatte wohl keine andere Wahl. Er musste versuchen die anderen Parteien gegeneinander auszuspielen. Als da waren: der Augustus in Konstantinopel, die Westgoten in Toulouse und die Vandalen in Afrika.

Michael Kulikowski, Imperial Tragedy: From Constantine’s Empire to the Destruction of Roman Italy AD 363-568. 2019

Hugh Elton, The Roman Empire in Late Antiquity. 2018

Peter Heather, The Western Empire 425 – 76. In: The Cambridge Ancient History XIV. 2008

Unabhängiger Journalist

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