Auch eine kaiserliche Revolution – Das Beispiel des antiken Rom

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Tod der Republik, Geburt des Imperiums

Es ist eine Geschichte, die immer auf’s Neue erzählt wird: die Verwandlung der römischen Republik in eine Monarchie. Es war eine imperiale Revolution, die zwischen dem Tod Cäsars und der Etablierung des augustäischen Machtsystems stattfand, ein Umbruch, in dem der neue Kaiser, seine Söldner sowie die römischen Paupers am selben Strang zogen. Der Erstere agierte als Schutzherr der Letzteren. Ohne die Veränderungen hätte Rom womöglich bereits zu Lebzeiten Christi zu bestehen aufgehört.

Letzteres ist natürlich reine Spekulation, die ein seriöser Althistoriker nie anstellen würde, sofern er nicht gerade negative Geschichte betreibt.

Richard Alston ist der der vorläufig letzte, der den alten Stoff neu vorträgt; angeblich, um seinen Studenten einen passenden Text in die Hand zu geben, der die wahre Geschichte und die wahren Bedeutungen der Geschichte adäquat widerspiegelt. Seit einigen Wochen ist seine Erzählung für das allgemeine Publikum zugänglich. Sie kann u.a. hier bezogen werden.

Der Autor beginnt mit den Iden des März im Jahr 44 vor und macht im Jahr 14 unserer Zeitrechnung, am Totenbett von Kaiser Augustus Schluss (natürlich greift er nach Bedarf über diesen Zeitraum hinaus).

Seine Darstellung hat zwei Vorzüge. Erstens kommt es dem Autor nie in den Sinn zu verschwurbeln, dass die verschwindende alte libertas Freiheit und Rechtssicherheit einer Aristokratie wirtschaftlich Unabhängiger war, die die außenpolitischen Belange des Staatswesens bis dahin im Alleingang geregelt hat (vor allem das). Sie tat das kollektiv, aber nicht “demokratisch”. Oligarchie ist der treffendere Begriff.

Alston sieht zweitens, dass dieses System an seinen Grenzen angelangt war und dass es den Anforderungen des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung nicht mehr gerecht wurde. Dennoch verzichtet er darauf, den Kaiser zum Schöpfer einer gerechteren Ordnung, zum Begründer eines goldenen Zeitalters zu erklären. Für Alston wird Augustus wohl immer der extrem gewalttätige Octavian bleiben. Am ehesten noch geht mit ihm eine klammheimliche Sympathie mit Mark Anton und dessen Bundesgenossen durch.

Hier ist mein Kondensat der Kurzversion Alstons:

  • Um die Mitte des ersten Jahrhunderts vor kann sich das Machtzentrum der römischen Oligarchie, der Senat, der reichen und starken Männer nicht mehr erwehren, die er fürchtet, auf die er aber nicht verzichten kann. Er benötigt sie, um nach außen expandieren zu können und nach innen Frieden und Sicherheit zu gewährleisten (Bürgerkriege, Sklavenaufstand). Er ist auch nicht bereit/in der Lage, den immer selbstbewusster auftretenden Söldnern zu bezahlen, was diese verlangen (Land, Cash).
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    Gérome, Der Tod Cäsars

    Eine aktivistische Minderheit von etwa 60 Senatoren ermordet Cäsar, den Mann, der Gallien unterworfen hat und der zu diesem Zeitpunkt Konsul und Diktator auf Dauer war. Obwohl kein Ausnahmezustand mehr bestanden hatte, hatte Cäsar keine Anstalten gemacht, dieses Amt zurückzulegen.

  • Cäsar hat aber keinen unmittelbaren Anlass gegeben, mit dem die Bluttat gerechtfertigt hätte werden könnte. Obwohl er viele Freunde gehabt hatte, blieb Rom vorerst in der Hand seiner Mörder.
  • Der engste Verbündete des Ermorderten, der zweite Konsul Marcus Antonius, setzt sich aus der Stadt ab und versammelt im Norden Italiens ein Heer. Der Senat mobilisiert seinerseits. Noch kann die Senatspartei auf die Unterstützung des erst 18-jährigen Adoptivsohnes und Erben Cäsars, Octavian, zählen. Diese Koalition schlägt Mark Anton in einer Schlacht in der Nähe des heutigen Modena, kann ihn aber nicht vernichten. Cicero, mastermind der Republikaner, triumphiert zu früh.
  • Die Legionäre der republikanischen Seite, vor allem die wertvollen, kampferprobten, wollen sowieso nicht gegen Mark Anton kämpfen. Cäsar war einer ihrer Lieblinge gewesen und Cäsars Parteigänger sind ihnen sympathischer als der Senat. Dieser befindet sich noch immer auf der Suche nach einer einleuchtenden Rechtfertigung für den Mord am eigentlich speziell geschützten ersten Konsul. Er eröffnet eine Untersuchung zu einem Landvergabeprogramm Cäsars an die Veteranen. Cicero spöttelt über den jugendlichen Octavian, den späteren Kaiser Augustus.
  • Der marschiert in Rom ein. Er wechselt die Fronten und schließt mit Mark Anton und einem dritten warlord das sogenannte zweite Triumvirat ab .Dieser Dreibund wird während der nächsten zehn Jahre die Hauptstadt der Republik/des Reichs kontrollieren. Es folgt eine Nacht der langen Messer, in der Tausende massakriert und enteignet werden – unter anderem Cicero, dessen Kopf auf dem forum romanum ausgestellt wird. Die Beute geht zu einem großen Teil an die Soldaten der drei Machthaber. 42 BC wird in einer Schlacht im heutigen Griechenland ein Heer, das von zwei Cäsarmördern angeführt wird, besiegt. Der Bürgerkrieg ist zunächst zu Ende.
  • Danach wird “die Welt”, das Herrschaftsgebiet um das Mittelmeer neu verteilt. Octavian bekommt den Westen, Mark Anton den Osten zugesprochen – Griechenland, Kleinasien und Ägypten inklusive. Das reiche, formell noch unabhängige Ägypten ist ein hellenistisches Königreich, das von einer Königin regiert wird. Obwohl Mark Anton mit der Schwester Octavians verheiratet ist – eine politische Ehe – nimmt er die ägyptische Königin Kleopatra zur Frau, vermutlich ebenfalls eine politische Ehe. Sie haben zusammen drei Kinder (Kleopatra hat bereits einen Sohn von Cäsar). Mark Anton beschenkt seine Kinder mit Territorien, die er zuvor als römischer Feldherr unterworfen hat. Das ergibt eine ganze Reihe von Gründen für den Bruch. Er und Octavian beginnen gegeneinander zu kämpfen. In einer Seeschlacht vor der griechischen Küste zieht Mark Anton den kürzeren. Ein Jahr später holt sich Octavian mit einer militärischen Expedition das Königreich Kleopatras. Mark Anton und Kleopatra begehen Selbstmord. Octavianus wird zum Pharaoh ernannt, Ägypten geht in seinen persönlichen Besitz über.
  • Der gerade 30-Jährige ist damit der unangefochtene Herrscher. Für unbefangene Beobachter ist klar: Er ist der Imperator, er ist Kaiser Augustus. Für die “Öffentlichkeit” zieht Augustus freilich eine Politshow ab – die Inszenierung von der Wiederherstellung der alten Republik, in der Senat und die verfassungsgemäßen Organe eigenständige Entscheidungen treffen. In Wahrheit kontrolliert der Großneffe Cäsars die Magistratswahlen und Ämterlaufbahnen, die Volksmassen auf den Straßen und die Legionen in den entscheidenden Provinzen.

Die Zeitgenossen können sehen, wie unliebsame und unabhängige Figuren ermordet werden und verschwinden oder vor Gericht gestellt werden, unter dem Vorwand, sie hätten an einer Verschwörung gegen den ersten Bürger im Staat teilgenommen. Formal ist Augustus nur princeps, der Erste unter ansonsten Gleichen im Senat. Die Ehrungen und Vergöttlichungen, die seiner Person zuteil werden, sprechen aber eine andere Sprache.

Augustus lässt seine Herrschaft über Konsuln ausüben – aber niemand erlangt dieses Amt ohne seine Billigung. Und kaum einer der Konsuln wagt es, sich seinem Willen zu widersetzen.Vor aller Augen entsteht ein dynastisch agierendes Kaiserhaus, in dem nicht mehr (angebliche) Verdienste und Fähigkeiten, sondern die Geburt ausschlaggebend ist.

Der Republikanismus als Ideologie überlebt noch eine lange Zeit. Es bleibt für die Nachfolger von Augustus gefährlich, sich offen über die Senatoren hinwegzusetzen wie das Caligula tut. Langfristig sind die Weichen aber gestellt. Der einst allmächtige Senat wird ein bloßes Repräsentativorgan in einem autoritären Staatswesen, das letztlich auf einer Soldateska ruht. Ja, die Abkömmlinge der alten Oligarchie können auch im Kaiserreich vorankommen und Karriere machen - aber nur als Dienstadel für den Kaiser.

Neben seiner hochadeligen Herkunft gibt es drei Quellen von Augustus Macht: sein immenser persönlicher Reichtum sowie – davon abgeleitet – seine Truppen und sein bestimmender Einfluss auf das Proletariat der Hauptstadt. Mit einer Million Einwohnern war Rom die größte Stadt der Welt.

Kaiser Augustus war ein geschickter Machtpolitiker und Feldherr, aber diese persönlichen Eigenschaften hätten wohl nie ausgereicht, eine solche Machtfülle zu erlangen. Er hat, wie Alston sagt, im Lauf der Jahre ein patrimoniales Netzwerk aufgebaut und sich die politische Unterstützung schlicht erkauft.

Zum Beispiel bei den Soldaten, die sich zu diesem Zeitpunkt schon überwiegend aus städtischen Armen und nicht-römischen Hilfstruppen rekrutieren. Hier lautete das politisch umstrittenste Thema Land. Land, das die Legionäre nach 16 harten Dienstjahren zur Verfügung gestellt haben wollen. Das war nicht einfach, weil überall “schon jemand saß” und weil eine Neuverteilung fast immer auf den Widerstand der Oligarchie stieß.

Dieses Land musste im Regelfall über die verfassungsmäßigen Organe weitergegeben werden. Nur superreiche Ausnahmeerscheinungen wie eben Augustus hatten die Mittel, Ländereien für die eigenen Veteranen zusammenzukaufen und zu verteilen – und auch das nur im Ausnahmefall. In Geld ausgedrückt, bekam ein normaler Infanterist beim Abschied aus dem aktiven Dienst eine Einmalzahlung von 12.000 Sesterzen. Das ist das Dreizehnfache seines regulären Jahressolds (900 Sesterzen).

Nach militärischen Siegen, zu Jahres- und sonstigen Feiertagen schenkte Octavian/Augustus aktiven und pensionierten Militärs oft hunderte Millionen. Besonders großzügig konnte er nach dem Sieg über Marcus Antonius und der Plünderung Ägyptens sein, als er auch 120.000 nicht direkt beteiligte “seiner” Kolonisten-Veteranen bedachte. Kein Wunder, dass ihn “seine Soldaten” wie eine Schutzgottheit ansahen.

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Las Médulas, größte Goldmine der Römer

Octavian war ein reicher Erbe, die Mittel, die er zur Verfügung hatte, lassen sich letztlich aber nur durch die Übernahme lukrativer Territorien erklären. Ein großer Schritt gelang ihm diesbezüglich nach der Schlacht von Philippi, als er die Kontrolle über die erzreichen Provinzen Hispania und Gallia (Spanien und Frankreich) erlangte.

Kalkuliert freigiebig verhielt sich Augustus auch gegenüber dem plebs, dem er seit der Übernahme des Volkstribunats speziell verpflichtet war. Er beschenkte die Armen aber nicht nur, er setzte sie für die eigenen politischen Zwecke ein. In den sechs Jahren nach Actium hat Augustus dafür die enorme Summe von 240 Millionen Sesterzen ausgegeben. Das entspricht 960 Sesterzen pro registriertem Plebejer (männlich).

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Alston, p. 257

Im Jahr 23 vor hat sich folgende Begebenheit zugetragen:

Nach einer Missernte und Überschwemmungen machte sich in Rom der Hunger breit. Der plebs revoltierte und zwang den Senat, Augustus mit diktatorischen Vollmachten auszustatten. Augustus zierte sich erst öffentlichkeitswirksam,

zerriss (dann) mit dramatischer Geste seine Kleider und entblößte seine Brust um zu zeigen, dass man ihn töten würde, wenn er die Vollmacht zur Diktatur annähme. Schließlich übernahm er doch die Aufgabe die Getreidevorräte zu managen. Immerhin war er der Beschützer des plebs und dessen Zuflucht in schwierigen Zeiten. Fünf Tage später waren die Getreidespeicher voll.

Alston wundert sich, wie in der langsamen Welt der Antike derartiges zustandekommen konnte. Als “verschwörungtsheoretische” Erklärung vermerkt er, dass Augustus, der die Kornkammer Sizilien erst seit ein paar Jahren kontrollierte, das benötigte Getreide vielleicht schon an der Hand hatte. (Sizilien war einem Sohn des besiegten ehemaligen Cäsar-Kompagnons Gnaeus Pompeius abgejagt worden). Nun, für eine solche Theorie müsste wohl auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass die Sympathiebekundungen für Augustus nicht ganz spontan zustande kamen…

Unbeliebt war der junge Mann mit dem blauen Blut jedenfalls nicht. Er war nicht nur ein Mäzen, sondern auch ein großer Auftraggeber, der Tempel, Prestigebauten und Monumente errichten ließ – und so praktische Dinge wie Aquädukte.

Augustus’ früh verstorbenes alter ego Agrippa schien sich geradezu auf die Wasserleitungen spezialisiert zu haben. Er gab die Aqua Julia, Aqua Virgo und Aqua Alsietina in Auftrag und verbesserte die Verfügbarkeit von frischem Wasser in Rom um wahrscheinlich mehr als 50 Prozent. All das bedeutete Aufträge für die Handwerker und Arbeit für das städtische Proletariat.

Die Aquädukte waren einerseits Nachzieh-Investitionen für die aus allen Nähten platzende Hauptstadt, letztlich aber auch Mittel der Politik – ähnlich wie die schon in republikanischen Zeiten traditionelle Getreideverteilung an die Armen, die Augustus neu organisierte. Schreibt Alston:

Sobald wir über die Verbindung von Macht und Essen nachdenken, verstehen wir die sozialen Aufgliederungen der römischen Gesellschaft besser und auch, warum so wenige Leute das Ableben der römischen Republik beklagten, jenes politischen Systems, das den klassischen Historikern und den politischen Philosophen so lieb und wert war. Politik handelt nicht nur und nicht einmal hauptsächlich von großen Ideen und Debatten  oder den Dramen großer Männer und ihrer Konflikte und Karrieren. Männer und Frauen mögen Ideen austauschen, aber um zu leben benötigen sie Stoffliches: Essen, Treibstoff, Kleidung und Behausung.”

Das gilt auch für heute.

Literatur: Richard Alston, Rome’s Revolution. Death of the Republic and Birth of the Empire. 2015

Ronald Syme, The Roman Revolution. 1939

Foto: Goupil, painting Gerome; Rafael Ibáñez Fernández, Wikimedia Commons

Unabhängiger Journalist

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