Eine Journalistin, die sich u.a. für vor der Auslöschung stehende Afrikaaner und von Flüchtlingen vergewaltigte Schwedinnen interessiert, hat ein wahrhaftiges, womöglich aber teilweise konstruiertes Buch über Venezuela verfasst. Die restliche Journaille, die nicht so recht weiß, wessen Kader sie nun eigentlich ist, hat A Hero’s Curse von Kajsa Norman “übersehen”. Wenigstens können Außenstehende dem Curse einiges entnehmen. Er ist z.B. eine gute Bebilderung des Wegs in einen Bürgerkrieg.
Den Einband der 2017 erschienenen englischsprachigen Ausgabe – das schwedische Original ist von 2015 – zieren an Warhols Marilyn Monroe gemahnende Siebdrucke von Ché Guevara, Simón Bolívar und Hugo Chávez.
Nun könnte man sich – wäre man kleinlich – fragen, was Ché Guevara auf dem Cover zu suchen hat, aber dieser ist a) heute bekannter als Bolívar und b) ist er ein Held, der nach modernem Geschmack auch perfekt in diese Kategorie passt.
Möchte man was bemängeln, ließe sich höchstens bekritteln, dass es kein Konterfei von Juan Perón oder Augusto Pinochet zu bewundern gibt.
Jedenfalls ist der Ausgangspunkt der Autorin der originale Libertador, der im ersten Kapitel als sowohl Zerrissener als auch Scheiternder gezeichnet wird
Es folgen ein paar Seiten über 150 Jahre venezolanische Geschichte – 100 davon Diktatur und knapp 50 Jahre Parteiendemokratie.
All dies nach dem Motto “Keine Details, welches Stück” – aber eben deswegen sehr praktisch.
Der Kern des Buches, geschätzte vier Fünftel, ist jedenfalls dem Commandante Supremo gewidmet.
Chávez muss einerseits noch zur demokratischen Epoche gezählt werden, weil er letztlich über Wahlen an die Macht gekommen ist und solche zeitlebens auch gewonnen hat;
andererseits freilich hat er die Strukturen geschaffen, die es seinem Nachfolger bis heute ermöglichen, Rocker auf die bürgerliche Opposition loszulassen und den de facto-Diktator zu spielen.
Womöglich hatte Chávez also nur das Glück rechtzeitig den Löffel abzugeben.
Im März 2013 segnet Commandante Hugo jedenfalls das Zeitliche (“Ascension/Himmelfahrt”) und wer bis zu dieser Stelle gelesen hat ohne an den Begriff Personenkult zu denken, holt diese Assoziation ab S. 175 nach.
Charaktere & Ideenträger
Der Nachfolger des charismatischen Offiziers mit dem komödiantischen Talent ist ein bemühter, aber bierernster Trickster.
Er ist nur mehr der bittere Ausklang von Kajsa Normans Geschichte – in Kapiteln, die die Autorin Niemandsland und Endspiel nennt.
No Man’s Land und Endgame beschäftigen sich nicht direkt mit Maduros Politik, sondern mit den negativen Auswirkungen, die sein Regime auf vier der fünf Figuren hat, die die Autorin für ihre Erzählung nutzt (die fünfte ist der verblichene Chávez):
Maria Corina, Erbin eines großen Stahlkonzerns und Politikerin der bürgerlichen Opposition; Antonio, ein aus ärmlichen Verhältnissen stammender Offizier, erst Schüler und Freund von Chávez und später zunehmend dessen Feind; sowie Folco, ein gebildeter, reformorientierter Architekt, Spross einer italienischen Einwandererfamilie.
Maria Corina zieht sich auf chávistischen Druck aus der Politik zurück, Antonio flieht ins Ausland und Folco besucht seinen Bruder in Miami und beschließt dort nicht mehr zurückzukehren.
Alle drei sind in den 1950er und 1960er-Jahren des vorangegangenen Jahrhunderts geboren – und auch sie sind dem bolívarianischen Mythos treu ergeben.
Die vierte “Charaktermaske” ist Juan Carlos, die einzige deutlich jüngere Person – ein noch im Hotel Mama wohnender Rechtsstudent & oppositioneller Studentenpolitiker.
Marxist Juan Carlos ist der einzige der vier, der am Schluss nicht auswandert oder resigniert – seine Gegnerschaft zum Maduro-Regime ist allerdings eine rein taktische (das ist einem Dialog mit einem “befreundeten” pro-chávistischen Biker zu entnehmen, der einigermaßen konstruiert klingt).
Derlei wäre, träfe es zu, Relotius-Journalismus – was aber schlimmer klingt, als es hier ist (wäre).
Ohne die sozusagen á propos gelieferte, Selbstzeugnissen entnommene Schilderung einer regierungstreuen marxistisch-leninististischen Motorrad-Gang würde man ein solches Phänomen glatt für unmöglich halten.
Kajsa Norman, A Hero’s Curse. The Perpetual Liberation of Venezuela. 2017
Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.