Der Wachhund, der nicht bellte – Annäherung an die Lügenpresse I

coverDie Lügenpresse, das Unwort des Jahres 2014, ist ein Kampfbegriff und ein Konzept. Als Letzteres beschreibt es das freiwillige Verharren im selbstverschuldeten Zustand der Unmündigkeit, bei “rechten” wie “linken” Themen. The Watchdog that didn’t Bark, beschreibt die Versäumnisse der US-Presse während der Entstehung der Immokreditblase. Es war nur zum kleineren Teil ein Fehlschlag wegen Erkenntnisunfähigkeit. Die Themen und Umstände der europäischen Journalisten sind andere – ihr Versagen ist womöglich aber noch krasser.

Autor des 2014 erschienenen Buchs ist Dean Starkman, der in der Columbia Journalism Review lange für den Business-/Wirtschaftsjournalismus zuständig war. Seit Anfang 2015 berichtet er wieder aus der Wirtschaft, jetzt für die Los Angeles Times. Der ehemalige Wall Street Journal-Reporter ist wieder zu seinen Anfängen zurückgekehrt.

Er ist kein Bewohner eines akademischen Elfenbeinturms und kennt den Wirtschaftsjournalismus und dessen Akteure aus erster Hand. Selbst sieht er sich wohl in der Tradition eines dem Allgemeinwohl (public interest) verpflichteten Journalismus. Politisch gehört er zweifelsohne der “liberalen”, kapitalismuskritischen und progressivistischen Intelligentsia seines Landes an.

Die Götter in seinem Olymp sind die muckrakers, wie im beginnenden 20. Jahrhundert eine bestimmte Sorte von Skandalreportern genannt wurde. Die abfällige Bezeichnung ist freilich irreführend, denn die muckrakers waren keine Asphaltcowboys/Boulevardjournalisten. Sie begründeten eine besondere amerikanische Tradition des investigativen Journalismus, der gegen politische Korruption, soziale Übel und monopolistische Wirtschaftspraktiken zu Felde zog.

Der Liebling Starkmans ist Ida Tarbell, deren Arbeit erst die Zerschlagung des Standard Oil Trusts John Rockefellers möglich machte. So komisch dies auch anmutet – das erste Kapitel des Starkman-Buchs, das sich eigentlich mit der US-amerikanischen Presse im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhundert beschäftigt, widmet sich den publizistischen Anfängen des 20. Jahrhunderts und Ida Tarbell.

Die Tarbell ist für Starkman die Begründerin des accountability reporting, das einer der beiden tragenden Äste des US-Journalismus ist. Man könte den Begriff mit Verantwortungsjournalismus übersetzen. Sein idealtypischee Gegenbegriff ist das access reporting, die Berichterstattung auf Basis von (privilegierten) Zugängen.

Der amerikanische Business-Journalismus von Forbes bis Bloomberg ist für Starkman vom access journalism geprägt, in dem die Informationen unmittelbar von den handelnden Personen kommen. Die sind auch das Publikum, an das sich die Wirtschaftsmedien wenden.

Deren Reporter sind in der Regel fachkundiger und meist  auch besser informiert als ihre Kollegen in den generellen Medien – nicht aber kritischer gegenüber und unabhängiger von ihren Quellen. Warum das so ist, liegt auf der Hand. Da gibt es eine bewusste Verhaltenskomponente (wer beißt schon leichtfertig in die Hand, die ihn füttert?), aber auch eine “ideologische”: Wer in seinem Berufsleben jeden Tag mit CEOs und CFOs umgeht, wird dazu tendieren, die Welt und ihre Probleme ähnlich zu sehen – und deren blinde Flecken zu übernehmen.

Die Geschichte, die Starkman erzählt, ist ungeheuer facettenreich, aber auch simpel. Der access journalism, sagt er, hat zwischen 2002 und 2007 die systemische Korruption bei den home mortgages übersehen und die enorme Kreditblase, die sich dabei entwickelt hat, nicht realisiert oder auf die leichte Schulter genommen.

Bis 2002, als es noch gar keine Blase gegeben habe, seien auch im seriösen Zugangsjournalismus immer wieder kritische Geschichten über dubiose Praktiken im consumer financing erschienen. Und auch nach Bear Stearns und Lehman Brothers hätten die kritisierten Medien mit schneller und umfassender Berichterstattung Großartiges geleistet.

Nur sei das nicht in jenen fünf entscheidenden Jahren passiert, in denen vielleicht Schlimmeres hätte verhindert werden können. Starkman begründet dies u.a. mit dem allgemeinen wirtschaftlichen Druck auf alle Medien und einzelnen verlegerischen Fehlentscheidungen.

Auf der anderen Seite hat es meist außerhalb der Business-Medien engagierte und dem Verantwortungsjournalismus zugetane Medienleute gegeben, die über jene sich aufbauende Jahrhundertgeschichte berichtet haben, die in den heiligen Hallen des Finanzjournalismus ignoriert wurde.

Diese Leute, Straßenreporter, hätten schon 2004 die erstaunlichsten, hellsichtigsten Dinge geschrieben – in Provinzzeitungen und ohne umfassenderes Verständnis. Starkman schildert z.B. wie ein junger, aus einem Kaff in Virginia stammender Reporter 2003 einen (wirklich) schwachsinnigen, kaum artikulationsfähigen Kreditnehmer besuchte, der seinen Kreditvertrag in Blockbuchstaben unterzeichnet hatte.

Dieser Journalist (der übrigens später kurzfristig für das WSJ arbeitete) hat das Entstehen von subprime und liar loans voll  mitgekriegt, und trotzdem nur die halbe story verstanden. Der aftermarket für die Lügenkredite sei ihm unbekannt gewesen – also all die MBS und CDOs, über die die Hypothekenindustrie das Problem an Dritte weiterreichte. Das war ein Wissen, das damals maximal spezialisierte Zugangsjournalisten hatten (meist nicht einmal die).

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Starkman konzentriert sich auf die subprime mortgages, den zentralen und ursächlichen Aspekt der Finanzkrise ab 2007/08. Richtigerweise erwähnt er immer wieder den regulatorischen Kahlschlag, (hauptsächlich) der Bush-Jahre, der das powerselling von Krediten an Schuldner ohne Bonität erst ermöglichte.

Schwieriger ist es für ihn Sachverhalte zu thematisieren, die die ihnen nahestehende politische Seite in concreto sowie unser auf Kredit basierendes Finanzsystem im Allgemeinen beigetragen haben. Der leicht zugängliche und billige Kredit ist und bleibt nun einmal zentrales Anliegen von utopistisch motivierten Gesellschaftsverbesserern und etatistischen Sozialingenieuren auf der Linken. Er ist das Surrogat eines der irdischen Wirklichkeit entrückten Sozialismus.

Nun, die gravierenden Probleme in Europa waren und sind andere als die von Starkman geschilderten Krisenauslöser in den USA (obwohl sich deren Wurzeln und die amerikanischen Übel manchmal verdammt ähneln).

Europas Hauptproblem sind nicht so sehr Amok laufende Banker, die für fettere Boni und eine höhere Eigenkapitalrendite ihre Großmutter verkaufen würden. Europas Hauptproblem sind konfliktscheue und opportunistische Machthaber, die bis dato noch jede unabhängige Kontrollinstanz kooptiert haben.

Europas zentrale Probleme sind die Hypertrophie des Staatsapparate, der Glaube an die Gutartigkeit der Regierungen sowie die Abtötung des Erwerbs- und Überlebensinstinkts der Bevölkerung. Europas größte Herausforderung ist das Fehlen von Leuten, die sich getrauen, pseudoreformerischen, aber dysfunktionalen Entwürfen seiner Politiker entgegenzutreten – rechtzeitig, nicht erst, wenn es zu spät ist.

So gesehen hat es wohl noch nie jenen Wachhund gegeben, der es so dringend benötigt wird. Oder um im Bild zu bleiben: Der Hund, der unsere Mainstream-Presse ist, scheint konstitutionell nicht in der Lage zu sein, wirkliche von eingebildeten Gefahren zu unterscheiden.

Dean Starkman, The Watchdog, that didn’t bark. The Financial Crisis anf the Disappearance of Investigative Journalism, New York 2014, erhältlich u.a. hier.

Unabhängiger Journalist

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