Bethany McLean, eine US-amerikanische Journalistin, hat ein kenntnisreiches Büchlein über den shale oil boom geschrieben, das sich wie eine überlange Reportage liest. McLean hat verstanden, was viele in der Industrie und den Redaktionsstuben nicht kapieren wollen: dass speziell der Öl-Boom ein finanzwirtschaftliches Phänomen ist – mindestens ebensosehr wie ein geologisches und technologisches.
“And so it is that the most important factor in the comeback of shale is the same thing that started the boom in the first place: The availability of capital. (…) Wall Street’s willingness to fund money-losing shale operators is, in turn, a reflection of ultra-low interest rates (…) But low interest rates haven’t just meant lower borrowing costs for debt-laden companies. The lack of return elsewhere also led pension funds, which need to be able to pay retirees, to invest massive amounts of money with hedge funds that invest in high yield debt, like that of energy firms, and with private equity firms—which, in turn, shoveled money into shale companies, because in a world devoid of growth, shale at least was growing.”
McLean ist Redakteurin bei Vanity Fair und das hätte diesen Blogger beinahe dazu verleitet polemisch zu formulieren, dass eine Modetante den jüngsten Schrei in der US-Finanzindustrie entlarvt habe.
Das wäre nicht sachgerecht und unfair gewesen und hätte falsche Vorstellungen erweckt.
McLean, die Autorin von The smartest Guys in the Room und Shaky Ground, ist eine Kennerin des hoffnungslos durchfinanzialisierten US-Wirtschaftssystems und alles andere als eine typische Lifestyle-Journalistin.
Sie beginnt mit der tragischen Geschichte des Aubrey McClendon, der gewissermaßen “Erfinder” des amerikanischen shale-Booms war;
eine Figur, die zeigt, dass Gründer-Kapitalisten nicht einfach parasitäre Risikovermeider sind; ein Mann, der im März 2016 unter Umständen verunglückt ist, die nahelegen, dass er selbst den Tod gesucht hat.
Der zweite Teil ist Saudi America in einem breiteren, analytisch-systematischen Sinn gewidmet,
der seit 2013 auferstehenden Energie-Supermacht USA, in der es (scheinbar) Erdgas und Öl im Überfluss gibt und die angeblich auf dem Weg zurück zum Nettoexporteur von Öl ist.
Diese Entwicklung hat schon Jahre vor der Wahl Donald Trumps begonnen und sie wurde, wie McLean klar macht, nur durch die ultralockere Geldpolitik der Fed nach 2008 ermöglicht.
Geologische Voraussetzung war und ist das Vorhandensein einfach zugänglicher, sogenannter sweet spots in der Eagle Ford-Gruppe und im Permian-Becken (“Permania”).
Dort wurde die Produktion von light (ultra)sweet crude um mittlerweile fünf bis sechs Millionen Barrel hochgefahren.
Ein riesiger Erfolg, nachdem die konventionelle nationale Erzeugung seit den 1970ern kontinuierlich auf etwa 6 Millionen Barrel gesunken ist.
Preis-Achterbahn und Geologie
Seit der Schieferöl-Revolution zeigt die US-Produktionskurve wieder steil nach oben und das ist auch der rationale Hintergrund des ständigen Brustgetrommels wegen Ölexporten etc.
Ab 2014 wurde diese Entwicklung durch einen “mysteriösen Preisverfall” von Erdöl unterbrochen, der nicht nur den Saudis, sondern auch den Frackern von Texas zunehmend die Luft abschnürte.
Danach stieg der Ölpreis “unendlich langsam” erneut auf 70 Dollar pro Fass – was bedeutete, dass wieder mehr US-Driller in den gewinnträchtigen Bereich zurückkehren konnten.
Seit November 2018 ist wieder alles anders.
Öl “fällt” bei gleichzeitig steigenden Zinsen massiv und immer mehr Fracker müssen damit rechnen, dass die Investoren und Banken, von denen sie bisher gepäppelt wurden, die Geduld verlieren – siehe z.B. hier und hier.
Aber das ist eine Entwicklung, die nach dem Erscheinen von Saudi America eingesetzt hat und diese betrifft auch nur eine Seite der Gleichung.
Die andere Seite – und das verstehen Autoren wie McLean, die einmal Analystin war – sind die Kosten, monetär und energetisch.
Sie versteht auch, dass diese eng mit der Geologie zusammenhängen und ahnt, dass es eine vergleichbare Situation wie im Permian kein zweites Mal in der Welt gibt (höchstens noch in Russland).
Aber McLean akzeptiert, dass Gas ein anderes Paar Schuhe ist und schreibt ohne Widerspruch erkennen zu lassen, dass es in den USA (förderbares) shale natural gas noch für wenigstens hundert Jahre gibt (Europa ist wieder ein anderes Paar Schuhe).
Ohne zu kapieren, dass sich gerade eine echte Mangelsituation bei Erdöl aufbaut, ist sie dafür, sparsam mit dem schwarzen Saft umzugehen und folgt dem seligen McClendon in dessen Ansicht, dass das im amerikanischen Boden neu entdeckte Erdgas eine unschätzbar wertvolle Ressource für das kommende Säkulum darstellt.
Und natürlich kann sie sich nicht ganz von den trügerischen Verheißungen der sogenannten Energiewende freimachen.
Aber das ist wiederum eine andere Geschichte.
Alles auf einmal kann man/frau – wie es so schön heißt – nicht haben.
Bethany McLean, Saudi America: The Truth About Fracking and How It’s Changing the World. 2018
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