Eine neue Jeremiade beklagt Sturz und Belanglos- und Langweilig-Werden von New York City. Schuld soll eine Invasion von Milliardären aus aller Herren Länder sein, die Mieten von Wohnungen & Läden in schwindelerregende Höhen getrieben und soziales und künstlerisches Leben verschwinden habe lassen. Preisregelungen und das Ende von steuerlichen Begünstigungen für Immo-Entwicklungen könnten Abhilfe schaffen, glaubt der Autor, ein Harper’s-Schreiberling.
Es handelt sich um die erweiterte Version eines 2018 in diesem Monatsmagazin erschienenen Texts, in den hier und hier hineingelesen werden kann.
Bei der nun schon seit etlichen Jahren untergehenden Metropole geht es im Wesentlichen um “das Manhattan Woody Allens”,
angereichert durch Putzfrauen aus der Dominikanischen Republik, Postler mit Sikh-Turbanen, aus der Ukraine stammende Box-Experten, krakeelende Cajun-Trunkenbolde und Flickschuster aus Ecuador.
Sie alle, angeblich Nachbarn des Ur-New Yorkers aus dem Broadway-Viertel, werden Opfer der megareichen Fremden, die in ihren Marmor-Wannen mit Panorama-Blick auf den Central Park gar nicht wirklich badeten.
Die “Kleptokraten” aus aller Herren Länder lebten nicht einmal mehr ein paar Dutzend Kilometer entfernt in den Hamptons, sondern buchstäblich am anderen Ende der Welt, in London, Dubai oder Hongkong.
New York selbst, meint der Autor, interessiere die neureichen Ignoranten eigentlich gar nicht, sondern nur als Geldanlage und Prestige-Referenz..
Alte & neue Robber Barrons
Die originalen Industriekapitalisten der Marke Eigenbau, die sg. Robber Barons, seien ja auch skrupellos gewesen,sagt Baker,
aber sie hätten wenigstens jede Menge Leute beschäftigt und der Nachwelt architektonisches Erbe und eine Menge Stiftungen hinterlassen.
Die 0,01 Prozent von heute dagegen erzeugten nichts – schon gar nichts Innovatives.
Die milliardenschweren Zuzügler schotteten sich bloß vom Pöbel ab, trieben die Preise in die Höhe und drängten damit echte New Yorker und arme Immigranten hinaus (“squeeze out” ).
Ihre überlangen, chronisch unästhetischen Wolkenkratzer in der 57. Straße beispielsweise, hockten wie die Aasgeier im Süden des Central Parks und raubten dort spielenden Kindern echter New Yorker das Sonnenlicht.
Aber nicht nur das.
Sie seien auch für die Schließung von Art Deco-U Bahn-Stationen und kleinen, aber wohlsortierten Buchhandlungen oder für die Absiedlung von Steinway-Showrooms verantwortlich.
Natürlich war Baker auch gegen die Ansiedlung des künftigen Amazon-Headquarters in Long Island, weil er das als Unterfall des Reizthemas “Steuergeld für Super-Reiche, Immo-Entwickler und Weltkonzerne” gesehen hätte (Amazon hat sich mittlerweile zurückgezogen).
Handaufhalter dieser Sorte sind für Baker Schmarotzer (“scrounger”) und schlimmer als die weit verbreiteten Optimierer von Sozialkohle.
Nach einer Kalkulation, der der Autor anhängt, haben Stadt und Staat für die Amazon-Ansiedlung 3 Mrd. Dollar geboten (ohne sich das angesehen zu haben bezweifelt dieser Blogger diese Zahl - freilich nicht, dass Amazon seine lokalen Beschäftigungsaussichten schöngerechnet hat.
Die drei Milliarden dürften hauptsächlich tax breaks sein, also dem Fiskus entgangene, nur auf dem Papier bestehende Hättiwari-Steuern).
Konkurrenzkampf um Investoren
Nichtsdestotrotz ist die geschilderte Situation ein wirkliches Problem für Gemeindepolitiker, und zwar weltweit.
Potenzielle große Arbeitgeber gehen vor großen Ansiedlungen sozusagen “shoppen” um herauszufinden, welche Gebietskörperschaft die günstigsten Bedingungen bietet – und die Folge ist ein veritabler Konkurrenzkampf um Investitionen.
Und hier hat New York nun einmal ein ungleich besseres Blatt als z.B. Chengdu oder St. Andrä-Wördern.
Insofern könnte die von Baker propagierte Strategie in Ansätzen aufgehen - rpt in Ansätzen (“If you build it, they will come”).
Das Problem ist “nur”, dass nicht einmal NYC es sich leisten kann, seinen weltweit singulären Ruf anders denn als Schwungmasse in Verhandlungen mit potenziellen Investoren einzusetzen.
Derlei Überlegungen sind an Baker oder z.B. Alexandria Ocasio-Cortez wahrscheinlich aber verschwendet.
Baker scheint wirklich zu glauben, dass sich “die Geldgeber” auf unabsehbare Zeit die Schuldtitel der Welt-Metropole aus der Hand reißen würden;
oder dass Kulturinitiativen- und Tante Emma-Läden z.B. Werft-Arbeitsplätze ersetzen könnten.
Baker & Kunstler
Können sie aber nicht und auch deshalb fallen urbane Zukunftsprognosen in Zeiten von “climate action” ( = Deindustrialisierung) grottenschlecht aus.
James Howard Kunstler, der das Vorwort zur “gebundenen Ausgabe” des Pamphlets geschrieben hat, weiß natürlich um die Problematik.
Vielleicht kennen sich K. und Baker ja persönlich, der Verlag hat den Kontakt hergestellt oder es war nur die Verbundenheit eines ungefähr gleichaltrigen Ur-New Yorkers, die K. zur Feder greifen ließ (Kunstler ist in der Upper East Side, einem “Reichenviertel” aufgewachsen).
Beide, Baker und Kunstler, finden absentistische Super-Reiche und Laden-Sterben im höchsten Maß degoutant.
Ihre Perspektive ist aber grundverschieden.
Wo Baker eine “Krise des Überfluses” ortet, liegt für Kunstler das Hauptproblem im absehbaren Ende des Wohlstands.
Und wo Baker milliardenschwere Schnorrer und Trumpeske Immobilien-Haie am Werk sieht, spricht Kunstler von der erbarmungslosen Finanzialisierung des Wirtschaftssystems und davon, dass die Vermögen des Mittleren Westens in Finanzzentren wie NYC kanalisiert worden seien.
Der Vorwortschreiber erwähnt sogar, wie grün und gut gepflegt der (nicht wirklich) privatisierte Central Park heute sei, während Baker dazu einfällt, dass vor Jahren die Republikanische Partei dort eine Veranstaltung abgehalten und die Conservancy keine Gegen-Demonstration zugelassen habe.
Was halt so alles als relevant empfunden wird.
Kevin Baker, The Fall of a Great American City: New York and the Urban Crisis of Affluence.2019
Jeremiah Moss, Vanishing New York: How a Great City Lost Its Soul.2017
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