Der Essayist James Howard Kunstler, der vor 15 Jahren über den “langen Notstand” veröffentlicht hat, kommt auf seinen damaligen Ausblick zurück und gelangt zum Schluss, dass seither Illusionen und Pharisäertum größer geworden sind, speziell in der Zielgruppe seiner eigenen Leser. Von den Lifestyle-Ökos anno 2020 trennen ihn Welten – weswegen auch nicht verwundert, dass dieses Trüppchen Kunstler heute bevorzugt ignoriert.
Das muss wohl so sein, wenn ein lange als “einer von uns” Empfundener z.B. der Meinung ist, dass
- sich das Erdklima ebensosogut abkühlen wie erwärmen könnte,
- das Deep State-Narrativ von Trump & Co. weitgehend doch auf Fakten basiert oder
- dass der modische Erneuerbaren-Hype aus Selbsttäuschungen und eigennützigen Lügen besteht.
Ignorieren ist da das Bequemste, weil man sich in diesem Fall nicht mit den vorgebrachten Arguumenten auseinandersetzen muss.
Man braucht nur vorzugeben nichts sehen, hören und daher auch nichts dazu vorbringen zu können.
Peak Oil 2.0
James Howard Kunstler (JHK), ein peakoilista des Jahres 2005, beharrt in dem – vor Corona geschriebenen – Text auf seinem Hauptbefund von vor 15 Jahren, räumt aber ein, dass niemand – auch er selbst nicht – das (mittlerweile in sich zusammenbrechende) Shale-Wunder in den USA vorausgesehen habe.
Dieses “miracle” habe das Fördermaximum und die sich daraus ergebenden verheerenden zivilisatorischen Konsequenzen aber “nur verschoben, um ein Jahrzehnt oder so”.
Kunstlers Darstellung im ersten Kapitel des ersten Teils (“Hey, what happened to Peak Oil?”) ist aus Sicht dieses Bloggers (der das Thema seit 15 Jahren verfolgt) praktisch fehlerlos und das zweite Capitulum über die “Alt Energy Freak Show” fällt ähnlich perfekt aus.
Der brilliante Stilist, erweist sich an dieser Stelle als wortgewaltiger Skeptiker des Renewable-Klimbims, dem, weit über die Grünen-Klientel hinaus, heute praktisch alle anhängen (in Europa).
Wahrscheinlich wollten die grünen Futuristen aber nur Happy Motoring in Suburbia fortsetzen, mit Mitteln von Tesla & Co., wird gemutmaßt.
Markenzeichen ist hier wie anderswo ein beißender Witz, in dem sich freilich jede Menge brüskierende Wahrheiten verbergen, etwa:
Die Windenergie der Zukunft mag eher den holländischen Windmühlen des 17. Jahrhunderts ähneln und die Solarenergie könnte die Form von Heu annehmen, mit dem Pferde, Ochsen und Mulis gefüttert werden.”
Wer derlei für eine bloße Ausdünstung eines rückwärtsgewandten Hirns hält, ist sich womöglich nicht bewusst, dass das sehr reale Beispiele für historische Energiekonversion während der vergangenen Jahrhunderte und Jahrtausende sind
und dass eine Rückkehr dazu “durchaus in den Karten ist”, sollte beispielsweise weiterhin kein Weg gefunden werden, “erneuerbare Prozesswärme” zu erzeugen oder kein Rohmaterial für “moderne Verbundstoffe” mehr verfügbar sein (auch das ist ja weitgehend eine Energiefrage).
Generell, erläutert Kunstler auf Basis durchaus nachvollziehbarer Argumentationsketten, sind die heutigen renewable schemes nur auf der energetischen Basis fossiler Treibstoffe möglich und Hitech-Visionen wie elektrisch betriebene, selbst fahrende Autos seien einem nach 2008 ins Kraut schießenden Techno-Narzissmus geschuldet, dem jegliche Realität entglitten sei
(dieser Blogger teilt diese Einschätzung im Wesentlichen, warnt allerdings davor, das Kind mit dem Bad auszuschütten und die Möglichkeiten von Technik/Ingenieurskunst zu missachten).
Der Ausblick auf den anstehenden zivilisatorischen Kollaps speist sich aus der Verschränkung
- sinkender Nettoenergie und
- zunehmend kontraproduktiver Komplexität (was der Lektüre von Joseph Tainters Analyse früher Gesellschaften geschuldet zu sein scheint).
Frühe Adapten
Der zweite Teil von Living in the Long Emergency, gewissermaßen das Herzstück, ist literarischen Porträts interessanter Persönlichkeiten gewidmet, mit denen Kunstler über seinen Blog in Kontakt gekommen ist
– Personen von “ganz Ost bis ganz West”, Menschen, die Kunstler “wirklich getroffen” und stundenlang interviewt hat.
Der größere Teil von ihnen mag wirklich das Etikett “early adopters” tragen können – die Öko-Bäckerin aus Vermont, die alternativen Schnapsbrenner, der Silvikulturalist aus dem Mittleren Westen oder der Kollapsnik-Podcaster aus Austin.
Sie alle sind bewusste oder zufällige Dissidenten des American Way of Life.
Sie kann man, wenn man möchte, irgendwie als heroische Aussteiger bzw. Früh-Einsteiger in die postfossile Ära zeichnen.
Was ein schwarzer Ghetto-Philosoph von der Ostklüste und ein weiß-nationalistischer Taxler aus Connecticut in dem Bild zu suchen haben, erschließt sich diesem Blogger nicht ganz (außer dass sie im Blog des Autors posten).
Wahrscheinlich wollte Kunstler mit dem russophilen Nationalisten nur provozieren und hat danach – quasi als Trostpflaster – einen rassisch & ideologisch unbedenklichen heimwerkenden Gitarristen aus Baltimore “aufgelegt”.
Warum die beiden zur Crême eines neuen Zeitalters gehören sollen, wird aber nicht klar.
Weitere Ketzereien
Im dritten Teil schließlich geht der Autor zunächst auf die vertrackte Kllima-Geschichte ein, die für die Szene ja eine Art Lackmus-Test für die Zugehörigkeit zu derselben ist.
Kunstler vergeigt diesen Test mit Gusto, indem er zunächst von einem chaotischen System spricht, in dem eine nicht-lineare geophysikalische Dynamik am Werk ist (ein andermal schließt er Global Cooling als Folge industrieller erzeugter Partikel nicht aus).
Ein Kübel kaltes Wasser für CO2-Warmisten jedenfalls.
Dann widmet sich der Autor der Frage der globalen Ernährung, für die er – wohl zu recht – schwarz sieht, wegen des Klimawandels, vor allem aber, weil die Lebensmittel-Produktion, die heute sieben Milliarden Menschen ernähren muss, auf Gedeih und Verderb auf Erdöl und -gas angewiesen ist (Traktoren, Dünger).
Wenig Zustimmung dürfte unter amerikanischen Rot(Blau)-Grünen auch die Art finden, wie JHK Wahlsieg und Machtübernahme Trumps und das Schicksal seiner politischen Gegner erzählt.
Der Donald ist für den Schreiber nicht der stereotype Gottseibeiuns grüner Progressivisten, sondern ein Politiker des Fossil-Zeitalters wie andere auch
und in Letzteren sieht Kunstler die Reinkarnation der historischen Jakobiner, für die der politische Zweck die Mittel heiligt und deren Herrschaft im revolutionären Paris des ausgehenden 18. Jahrhunderts in den Großen Terror mündete.
Dass Trump bei Kunstler die Rolle dessen bekommt, dem am Ende der Schwarze Peter zugeschoben wird, macht die Sache nur unwesentlich besser.
Das ist nach Meinung dieses Rezensenten übrigens eine der seltenen Fehleinschätzungen des Autors. Trump & Team beherrschen den Krisenpoker nämlich viel besser als die meisten wahr haben wollen.
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