Eine Einladung zum Selbstmord?

Fans ethnisch-kultureller Identitäten und/oder nationalstaatlicher Grenzen hätten keine Lösung parat, wird oft gesagt (was immer das konkret heißt). Jacques_Attali_en_2015Deren Kritiker haben freilich auch keine Lösung. Sie haben nur Sprechdurchfall. Statt wenigstens zu versuchen Klartext zu sprechen, ergehen sie sich in hohlen Phrasen, Halbwahrheiten, Appellen an die konventionelle Weisheit und billiger Moralisiererei - und bekommen dafür jede Menge Platz und Redezeit eingeräumt.

Zum Beispiel im Fall des Jacques Attali, bei einem am 20. Juni in einem französischen Magazin erschienen Meinungsstück.

Der Kommentar heißt Avant qu’il ne soit trop tard, s’occuper de l’Afrique, Kümmern wir uns um Afrika bevor es zu spät ist.

Der ehemalige Mitterand-Gehilfe hebt damit an, dass wir Heutige künftigen Generationen verpflichtet seien und dass es dabei nicht nur um “Klima” oder “Staatsschulden”, sondern auch um“Afrika” gehe.

Die Bevölkerung dieses Kontinents, erinnert der Schreiber, werde in den nächsten 30 Jahren von heute 1,3 auf 2 Milliarden anwachsen.

Würde nur ein Prozent der Afrikaner auswandern, wären das 200 Millionen in einem Jahrzehnt.

Die Emigranten würden sich nach Europa wenden, weil das nächstgelegen und am wohlhabendsten sei und weil es sich dort am besten leben lasse.

Europa würde sich dem zweifellos entgegenstellen, was sich bereits in den aktuellen Reaktionen des deutschen und italienischen Volks abzeichne, die der Immigrationswelle 2015 ff. einst freundlich, nun aber feindselig gegenüberstünden.

Diese Haltung sei zum Scheitern verurteilt, weil die Afrikaner ihre Rohstoffe dann an die Chinesen verkaufen und selbst keine europäischen Waren mehr erwerben würden. Deswegen wären die Europäer auch gezwungen, Abschied von den Märkten des schwarzen Kontinents und der Frankophonie zu nehmen.

Außerdem würden immer mehr Afrikaner die europäischen Maßnahmen zur Unterbindung der Migration umgehen.

Das alles würde in den Verlust der Seele und des Lebensstandards Europas münden und dazu führen, dass es an seinen Grenzen ständig Krieg werde führen müssen.

Um solches abzuwenden, müssten die Europäer erkennen, dass die Entwicklung Afrikas auch in ihrem eigenen Interesse liege, sowie dass dessen demographischer Übergang (“transition démographique”) beschleunigt werden müsse ( = der galoppierende Bevölkerungszuwachs muss schnellstens gestoppt werden).

Außerdem müssten sie die Ankunft der Migranten in Europa organisieren und eine Willkommenskultur und Integrationsmöglichkeiten für alle schaffen, die temporär oder dauerhaft bleiben wollten, für die Afrikaner, die aus der “Wiege der Menschheit” gekommen seien.

***

Es wäre – wie dieser Blogger an dieser Stelle erkennen muss – reine Zeitverschwendung, ausführlicher auf die Gedankenflucht eines Günstlings i.R. einzugehen, der von inzwischen vergessenen Politicos in hohe und hoch bezahlte Ämter gehoben worden war.

Nur so viel:

Die demographischen Projektionen, auf die sich Attali beruft, sind Stand der Wissenschaft und seine Befürchtung, dass Europa an seiner Südgrenze Kriege werde führen müssen, ist realistisch.

Freilich stellt sich die Frage, warum bzw. wie die afrikanische Bevölkerungsexplosion oder der Krieg an der Grenze mit Willkommenskultur und Integrationsmöglichkeiten verhindert werden können.

Und ja, Jacques Attali: Ostafrika ist die “Wiege der Menschheit”.

Dort entwickelte sich vor Millionen Jahren der homo erectus, ein Vorläufer des modernen Menschen.

Von dort wanderten alle paar zehn- oder hunderttausend Jahre Hominiden (Menschen) gen Süden, Osten und Norden.

Vor 40.000 Jahren auch nach West-Eurasien, wo sie sich gegen die dort vorfindlichen “Alteuropäer”, die Neanderthaler, durchsetzten.

Wir heutige Europäer sind also Mutationen des ursprünglich aus Ostafrika stammenden homo sapiens, ebenso wie die Afrikaner, die Araber, die Chinesen, die Polynesier und die amerikanischen “Indianer”.

Und was genau soll jetzt aus diesen anthropologischen Fakten folgen?

Bild: ActuaLitté (Jacques Attali – Prix Bristol des Lumières 2015) via Wikimedia Commons (SA 2.0)

Unabhängiger Journalist

Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.