EU-Wahl: Nein zu Brien und Wüssel, Nein zu Rotschwarz, Gelb und Grün

 

EU-Parlament verliert laufend Legitimität
EU-Parlament verliert laufend an Legitimität

Ich wurde ein paar Mal gefragt, wen ich bei der EU-Wahl im Mai wählen werde. Das war peinlich. Ich wollte keine Partei auch nur indirekt empfehlen, und sagte nur, wen ich keinesfalls gewählt sehen möchte: Rot, Schwarz, Gelb (Pink) und Grün. Bei den Nichtwählern hoffe ich, dass sie sich wenigstens dazu bequemen, ins Wahllokal zu gehen.

Der Urnengang ist ohnehin nur von beschränkter Bedeutung. Die EU wird durch eine überwiegend nicht gewählte Junta regiert, der ein paar Hundert kaum rechenschaftspflichtige Leute aus den 28 Ländern angehören. Das wird sich durch diese Wahl nicht ändern.

Die symbolisch interessanteste Frage ist, wie stark die Wahlbeteiligung diesmal zurückgehen wird. In Österreich lag sie 2009 bei 46 Prozent. Derzeit wird die Beteiligung auf 35 Prozent geschätzt. Das wäre weniger als die Hälfte der (ohnedies stark gesunkenen) Wählermobillisierung bei der Nationalratswahl im Herbst 2013 (75 Prozent).

“Paradox”, wie manche Kommentatoren meinen: Die Bürger hätten leider noch nicht entdeckt, wie viel zusätzliche Macht das EP in den vergangenen Jahren gewonnen habe. “Völlig logisch”, sagen die anderen: “Es gibt von Wahl zu Wahl weniger, die das Gefühl haben, dass das ‘ihr’ Parlament ist.”

Wer sich den Chart mit der Wahlbeteiligung seit 25 Jahren ansieht, kann kaum anders, als diesen Stimmen Recht zu geben.  Die durchschnittliche Wahlbeteiligung ist von 1979 bis 2009 um ein Drittel zurückgegangen und jetzt droht eine Reduzierung auf die Hälfte des ursprünglichen Werts. Der lag bei 63 Prozent. Der zugehörige Chart ist das Sinnbild eines jämmerlichen Versagens – des Versagens jener Funktionseliten, denen “Europa” angeblich so sehr am Herzen liegt.

Die Politik der drei Nein

Wer dennoch den Drang verspürt, seie Stimme abzugeben, sollte eine Politik der drei Nein verfolgen – etwas Ahnliches wie die des taiwanesischen Präsidenten Ma Ying-jeou. Ma will seinem Land den großen Bruder vom Leib halten, ohne diesen zu provozieren: “Keine Unabhängigkeitserklärung, keine Wiedervereinigung, keine Gewalt.”

Auch die Drei Nein zu den EU-Wahlen sind defensiv. Sie zielen auf die Erhaltung des staatsrechtlichen Status quo ab und auch die Größenverhältnisse passen gut: Die Dimensionen des Gegners, gegen den sie sich richten, verhalten sich zu jenen Österreichs wie die der Volksrepublik zur Republik China.

  • Das erste und entschiedenste Nein gilt  vieren der sechs österreichischen Parlamentsparteien. Das sind zunächst SPÖ und ÖVP – was ich hier nicht ausführen mag.  Wer wissen will warum, soll den verdammten Blog lesen (“RTFB – Read The Fucking Blog”).

Gleiches gilt aber auch für Grüne und NEOS (Liberale), die beide den Vorzug haben, sich noch nicht durch Regierungstätigkeit bekleckert haben. Sie sind aber eine Fünfte Kolonne des EU-Imperiums. Sie sind  Glühende Europäer wie die Roten und die Schwarzen, wenn auch mit einem moderneren Image. Sie sind zeitgemäßere Versionen der traditionellen  Blockparteien. Müsste ein PR-Berater Nachfolgeparteien für Rot und Schwarz entwerfen, sie würden wie die Grünen (Original: Sozialdemokraten) und Liberalen (Original: Christdemokraten) aussehen. Daher: NEIN auch zu diesen Figuren !

  • Das zweite Nein ist nur ein halbes. Es gilt dem Wahlbündnis “EU-Stop”, Leuten, von denen man viel lernen kann. Sie sind auf eine besondere Art “intellektuell ehrlich”. Denn sie – und nicht die Glühenden Europäer – sind es, die Probleme auf den Punkt bringen können, ohne Rücksicht auf das Projekt nehmen zu müssen. Sie sind es, die sich dafür anfeinden lassen müssen und die die wirklichen Idealisten sind

Aber auch bei ihnen hat die Ehrlichkeit Grenzen – dort, wo diese die eigene politische Agenda behindert. Das ist beim Thema Wirtschaft der Fall. Der Austritt aus der EU mag vielleicht als Fernziel akzeptabel sein und auch kurzfristig sind Situationen vorstellbar, in denen dieser noch das kleinste Übel ist. Doch ein Austritt unter den heutigen Umständen wäre wohl selbstmörderisch. Er sollte dem Publikum nicht als Karotte vorgehalten werden.

Die österreichische Volkswirtschaft realisiert fast ein Drittel ihres Outputs in anderen EU-Staaten und ein Ausgesperrtwerden aus dem gemeinsamen Markt könnte sich zu einem riesigen ökonomischen Problem entwickeln. Ein ähnliche Situation konnten die Schweizer vor 20 Jahren durch jahrelange geduldige Verhandlungen entschärfen. Dass das heute wiederholt werden kann, ist aber wenig wahrscheinlich.

Eurokraten und Europathen versuchen im Übrigen, die Austrittsbewegung zu benutzen, widerspenstige Nationen noch fester an das Zentrum des Imperiums zu binden; mit einer Volte, einer Bauerrnfängerei, einem dialektischen Meisterstück von Handwerksgesellen der Macht.

In Großbritannien, wo die beiden großen Parteien den Anschein erwecken müssen, sie wären für ein Referendum, lässt sich das am besten beobachten. Weder David Cameron (Tories) noch Ed Milliband (Labour) wagen, was SPÖ und ÖVP seit 15 Jahren praktizieren: den Wählern den gestreckten Mittelfinger zu zeigen.

Was aber macht der gewievte Politiker, wenn er glaubt, eine Abstimmung ansetzen zu müssen, die er absolut nicht haben will? Er “versüßt” den Status quo durch den Anschein von Neuverhandlungen über die Mitgliedschaft seines Landes und nutzt die absehbaren ökonomischen Rückschläge als Drohung, um europamüde Geister doch noch kirre zu machen und in die Kernunion zu zwingen. Er setzt seinen Wählern die Pistole an: Wenn ihr nicht “ganz draußen” sein wollt, müsst ihr “ganz drinnen” sein. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

  • Das dritte Nein gilt schließlich dem Nichtwählen. Jeder kann verstehen, was mit folgendem.angeblich von Tucholsky stammenden Satz gemeint ist: “Wenn Wählen etwas bewirken könnte, wäre es schon längst verboten.” Aber Wahlen sind noch eines der wenigen verbliebenen demokratischen Instrumente. Nicht zu wählen bedeutet, dem Kartell der EU-Zentrumsparteien eine Blanko-Vollmacht auszustellen. Wer keine Gruppierung findet, der er seine Stimme geben will, sollte wenigstens weiß/ungültig wählen. Das ist eine Art zu sagen: “Ich bin momentan unschlüssig und bin mir außerdem gar nicht sicher, ob diese Institution meinen politischen Willen widerspiegelt. Davon abgesehen behalte ich mir aber alle Rechte vor.” Wer dagegen gar nicht zur Wahl geht, dessen Stimme wird vereinnahmt.

“Europa anders” ist zu guter Letzt die einzige Möglichkeit, (in Österreich) links zu stimmen, ohne die Einheitsfront der Integrationisten zu stärken. Die Liste ist eine wilde Mischung aus Kommunisten, Piraten und Unabhängigen und verfügt über ein paar attraktive Punkte in ihrer Netz- und Außenpolitik. Ihre Wirtschaftsanalyse leidet aber an denselben Wahnvorstellungen und Selbsttäuschungen, von denen auch andere keynesianische Gruppen befallen sind. Unter das Kapitel Fantasievorstellung fällt auch ihre Ansicht, das angestrebte “neue Europa” könne unter den heute absehbaren Bedingungen irgendwie parlamentarisch-demokratisch gestaltet werden. Resümee: Keine Kartellpartei, der Realitätsbezug scheint aber trotzdem schwer gestört zu sein.

Könnte man Äpfel mit Birnen, “EU-Stop” und “Europa anders” zu einer vollwertigen Wahlalternative addieren, wären in der Alpenrepublik vier Gruppierungen wählbar.

Vier aus neun – aus meiner Sicht, unmaßgeblich und rein privat. Mehr weiß ich nicht, aber viel mehr war auch nicht gefragt.

Unabhängiger Journalist

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