“Finanzmärkte”: Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann ?

“There are no markets anymore, only interventions.”

Wenn Otto und Grete Normalverbraucher sich wie bockige kleine Kinder benehmen und partout nicht tun wollen, was ihre politischen Herrschaften gerne von ihnen hätten, bleibt diesen nichts anderes übrig, als den schwarzen Mann aus dem Sack zu ziehen.

Wenn es sich um sogenannte wirtschaftliche Sachzwänge handelt, hört diese Schreckfigur auch auf die Namen “Finanzmärkte” und “Anleger”. Das ist auch der tiefere Grund, warum diese so gefürchtet sind wie ein Haufen besoffen herumgrölender Krampusse am 5. Dezember. “Wenn ihr dies oder jenes nicht tut, dann kommt der Mummelratz”, drohen dann die Politiker meinen damit, dass dann höhere Zinsen für jene Schuldenwirtschaft gezahlt werden müssen, die sie selbst angerichtet haben.

Dieser Tage haben die Erzählungen vom schwarzen Mann wieder Hochkonjunktur, um den Leuten zu erklären, warum man die Kärntner Hypo keinesfalls pleite gehen lassen dürfe. Das ist heute freilich ein ungeheuer kompliziertes Spiel mit drei und vier doppelten Böden, weil man in der gleichen Sache auch der BayernLB einen Schreck einjagen will und dabei eigentlich das gegenteilige Verhalten an den Tag legen müsste.

Wien muss der Münchener Bank etwas “signalisieren”, was die Untertanen in der Alpenrepublik keineswegs hören sollen, weil sie es sonst möglicherweise ernst nehmen. Diese Botschaft an die Bayern lautet ungefähr so: “Wenn ihr uns nicht entgegenkommt, dann schicken wir die Hypo in die Pleite und ihr könnt euch ‘eure’ 2,3 Milliarden, die momentan in unserer Hand sind, ganz und gar und auf immer und ewig in die Haare schmieren – capisce?”

Die BayernLB-Manager wissen, dass das nicht ganz ernstzunehmen ist, die österreichischen Zeitungsleser aber nicht. Sie haben absolut keine Lust, den Gläubigern einer bankrotten Kärntner Regionalbank 18 Mrd. Euro über den Tisch zu schieben, auch nicht verteilt über zehn Jahre. Aber weil sie spüren, dass das im Prinzip sehr wohl geplant ist und dass die Regierung diese Summe eigentlich nur herunterverhandeln möchte, entlädt sich ein ohnmächtiger Volkszorn über den Häuptern der politischen Klasse.

Diese versucht, die Situation mit der Geschichte vom Schwarzen Mann zu retten und prophezeit höhere Zinsen, wenn der “Finanzplatz Österreich” beschädigt würde.

Das aber kommt den Leuten wie ein schon mehrfach gehörtes Märchen vor. War da nicht vor zweieinhalb Jahren was ? Ende 2011, als die Schuldenbremse angeblich ganz dringend in der Verfassung verankert werden musste ?

Die Staatsschulden lagen damals bei 72 Prozent und die Politiker faselten über irgendwelche “Budgetpfade”, auf denen sie die Schulden bis 2020 wieder auf 60 Prozent herunterbekommen wollten. Die Zinsen für österreichische Staatsanleihen lagen damals bei 3,3 Prozent (10-Jahres-Bonds).

Heute, 2014, gibt es noch kein ernsthaftes Anzeichen für eine Erholung von der Wirtschaftskrise und die Schuldenbremse ist auch kein besonders privilegiertes Verfassungsgesetz. Es kann im Parlament mit einfacher Mehrheit geändert werden.

Noch bevor er wirklich in Kraft getreten ist, ist der Mechanismus völlig unrealistisch geworden. Die Aussichten, dass er den gewünschten Erfolg zeitigt, werden sozusagen  von Monat zu Monat geringer. Statt zu sinken, steigen die Schulden. Ende 2014 werden sie bei 80 Prozent liegen – und in dieser Zahl ist noch lange nicht alles inkludiert, was inkludiert sein müsste.

Und was tun die “Finanzmärkte”, die ja angeblich auf diese Entwicklung reagieren? Was machen die Staatszinsen vulgo Renditen?

Die liegen bei 1,9 Prozent, um 40 Prozent unter dem Niveau von damals, als Finanzministerin und sämtliche “Experten” prophezeiten:  “Wenn wir unsere Schulden nicht in den Griff bekommen, müssen wir höhere Zinsen zahlen.”

Das war Humbug, Nonsens, Larifari – zumindest aus heutiger Sicht. Aus dieser waren dies Zwecklügen, mit denen ganz bestimmte Ziele erreicht werden sollten.

Viele sehen in diesem Gerede heute eine riesige Gaukelei und lassen es sich eine Lehre sein. Mummelratz steht mit heruntergelassenen Hosen da. Er ist unglaubwürdig geworden.

Warum, fragen sich die Österreicher, sollten die Behauptungen über die steigenden Zinsen nach einer Hypo-Pleite fundierter sein?

Das und das Austeritäts-Gerede, glauben sie, ist nichts als ein weiterer Versuch ihrer Dompteure, sie durch einen Feuerreifen springen zu lassen. Aber dieses Kunststückchen, meinen sie, bringt sowieso nicht den gewünschten Effekt.

Bestärkt werden sie in dieser Ansicht durch altvertraute Binsenweisheiten, die besagen, dass die schädlichen Folgen von leichtfertigem Verhalten ohne weiteres vermieden werden können. Derlei hören sie von der politischen Linken immer schon, aber nicht nur von dieser. “Deficits don’t matter”, sagte der damalige Vizepräsident Dick Cheney vor zehn Jahren zum damaligen US-Finanzminister.

Wenn dem aber wirklich so wäre, bestünde tatsächlich keinerlei Grund, sich irgendeinen Zwang anzutun – weder als Regierung noch als Regierter. Man könnte das Geld, das für die Hypo benötigt wird, einfach drucken – oder wenn die, die “Druckerpresse” kontrollieren, sich weigern, die Bank einfach pleite gehen lassen. So einfach ist das.

So einfach wäre das, wäre der Eindruck, der sich aufdrängt, richtig. Ist er aber nicht. Denn (echtes) Kapital lässt sich nicht einfach durch einen Willensakt ins Leben rufen und die Zinsen, die  das zentrale Ausgleichs- und Steuerungselement jeder (inflationierenden) Wirtschaft sein müssten, sind heute “zu 100 Prozent willkürlich. Sie haben nichts mehr mit wirtschaftlichen Fakten zu tun”, wie der kanadische Analyst Rob Kirby in einem Interview ausführt (10:05 min.) Das führt in der Folge zu einer immer größeren Fehlverwendung von echtem Kapital (echten Ressourcen).

Das ahnen viele Politiker, wollen es aber gar nicht so genau wissen, weil das ihre Aufgabe wesentlich erschweren würde. Andere ahnen es zwar auch, klammern sich aber trotzdem an den Gedanken einer natürlichen Ordnung der Dinge, weil sie sich nichts anderes vorstellen können oder wollen. Und machen sich lächerlich, weil sie Dinge voraussagen, die sich kurzfristig als Quatsch entpuppen.

Das ist so, weil in den 1980er- und 1990er-Jahren in Kanada und den USA Techniken erfunden wurden, die es erlauben die Entwicklung der Zinsen auf den Kapitalmärkten zu beeinflussen. Man nennt sie Forward Rate Agreements (FRA) für kurz-, und Interest Rate Swaps (IRS) für langfristige Zinsen.

Das sind sogenannte Derivative, die es in unvorstellbar großen Mengen gibt; allein in den USA ist ihr Volumen dreimal größer ist als die (jährliche) Volkswirtschaft auf der ganzen Welt. Setzt man diese Papiere gezielt ein, wie es das amerikanische Finanzministerium über einen eigenen Fonds tut, können sie eine künstliche Nachfrage nach den US-Schuldpapieren erzeugen und damit die Zinsen senken. Dieser jeder Kontrolle durch den Kongress entzogene Fonds namens ESF bedient sich der New Yorker Fed, die als Händler für ihn arbeitet.

Mithilfe von fünf großen Investmentbanken haben es ESF und Fed es geschafft, die Zinsen seit sage und schreibe 30 Jahren am Sinken zu halten, wenigstens “im großen Bild”.

Die Zinsen für US-Treasuries haben sich seit 1990 auf ein Viertel reduziert. Vergleichbares fand auch in in der Eurozone statt und auch dort wurde mit großer Wahrscheinlichkeit mit Derivativen gearbeitet. Mit diesen Wertpapieren, die schon einmal “finanzielle Massenvernichtungswaffen” genannt wurden, lassen sich übrigens auch Währungskurse und Rohstoffpreise (fast) nach Belieben beeinflussen.

Jedem, der einen Gedanken daran verschwendet, wird intuitiv klar, dass ein solches Management von Preisen und Zinsen irgendeinmal zu Ende gehen muss. Nur wann und unter welchen Umständen liegt völlig im Nebel. Bis dahin wird die Geschichte vom bösen, schwarzen Zinsenmann ein Märchen bleiben.
 

Unabhängiger Journalist

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