“Gruppendenken in der Wissenschaft” – ein erster Schritt

cover_resizedDer gerade erschienene Sammelband “Groupthink in Science” umwandert, thematisch minder diszipliniert und methodisch wenig streng, ein Phänomen, das vielen In- und Outsidern des Wissenschaftsbetriebs “in Umrissen geläufig ist” – dessen Thematisierung aber oft hart bestraft wird, z.B. mit de facto-Berufsverbot, Ächtung und sozialen Repressalien. Dieser “Elefant im Wohnzimmer” wird Wissenschaft genannt, ist tatsächlich aber weltanschaulich determinierte Pseudo-Wissenschaft, ein Halbfertigprodukt, das verwendet wird den “Konsens des Jahres 2020 zu fabrizieren”.

Die in der Publikation angeführten Beispiele thematisieren nicht nur “Gruppendenken im engeren Sinn”, sondern – weit ausholend – z.B. auch

  • die Rolle, die von den Leittieren des Rudels gespielt wird (den “Key Opinion Leaders”),
  • wie Förderungen/Zuschüsse (“grants”) die Forschungs-Agenda vorgeben,
  • den vielgestaltigen Missbrauch der “Peer Review”, eines Instruments, das ursprünglich eigentlich der Qualitätssicherung diente (“sham dealings & peer reviews”) ,
  • die Nutzung akademischer Bürokratien für Mobbing & Intrige
  • und eben die Herstellung eines angeblich objektiven, scheinbar “unanfechtbaren Basiskonsenses”, der einer fanatisierten oder gutgläubigen Journaille zur Anschlussverwertung weiter gereicht wird.

Behandelt wird aber auch die Tabakindustrie und die fast sprichwörtlich gewordenen, von dieser “gekauften Wissenschafter” – ein Umstand, zu dem einiges vorab zu sagen (und noch heraus zu finden) wäre;

Eins steht für diesen Blogger fest:

Auch wenn der zentrale Tatbestand dieser Causa die Herstellung und Vermarktung eines gesundheitsschädlichen Produkts und die Überwälzung der dabei entstehenden Gesundheitskosten auf die Allgemeinheit waren -

hinkt der Vergleich mit Ölindustrie/CO2-Emissionen über alle Maßen.

Unter anderem weil

  • der wissenschaftliche Beweis, dass der Klimawandel hauptsächlich oder allein auf menschliche CO2-Emissionen zurück geht, alles andere als “gesettelt” ist. Das wissen etliche “rechtgläubige Klimawissenschaftler” und ihnen zuarbeitende Journos sehr genau – weswegen man immer einen argumentativen Strohmann namens “Klima(wandel)leugner” hervor kramt. Dieser Blogger kennt höchstens “Leugner”, die die unbestrittene natürliche Variabilität für medial einigermaßen überformt halten. Im Übrigen kommt mir der Gedanke, dass die Atmosphäre dieses Planeten kaum von den Zyklen des Zentralgestirns bestimmt sei, ziemlich verrückt vor.
  • Davon abgesehen besteht ein riesiger Unterschied, ob gesundheitsschädliche Konsumgüter auf den Markt gebracht werden, die nicht überlebensnotwendig sind, oder ob ein schädliches Produkt verkauft wird, das gleichzeitig enorme Vorteile für Produktion und Lebensführung bringt. Offenbar haben sich Fossil-Kritiker aus Industrieländern noch nie ernsthaft gefragt, warum menschliche Entwicklung weitgehend von zur Verfügung stehender dichter Primärenergie abhängt (allgemein gesprochen); bzw. von der Verfügbarkeit von Strom.

Immerhin scheint der fundamentale Unterschied, der sich Frau Oreskes nicht zu erschließen scheint, wenigstens der Beiträgerin aus Kanada klar zu sein.

Historische Beispiele von Gruppendenken

Weitere “Groupthink”-Beiträge plädieren etwa dafür zu akzeptieren, dass

  • die Gehirne von Frauen anders sind als die von Männern (ebenso z.B. wie deren Lebern),
  • sowie für das “Ablegen von ideologischen Scheuklappen” in der Frage, warum es so wenige Mädchen in (höheren) STEM-Ausbildungen gibt (science, technology, engineering, mathematics).
  • Linguisten regen sich drüber auf, dass Sozio- und Dialekte Schwarzer aus dem Süden der USA als eigene Sprachen behandelt würden – so wie das Standard-Englische (“Ebonics-Kontroverse”).
  • Um eine Art Rechts/Links-Ausgleich herzustellen, brechen szientifische Libertins eine Lanze gegen die Verwendung des konservativen Mems von der Sex-Sucht (anscheinend auch eine Form von Gruppen-Denken).
  • Ein wissenschaftshistorisch interessanter Beitrag findet sich zum weltberühmt gewordenen Milgram-Experiment aus dem Jahr 1961, wo Versuchspersonen bereit waren, “dumme angebliche Probanden” für “falsche Antworten” mit lebensgefährlichen Stromstößen zu bestrafen solange jemand anderer die Verantwortung übernahm. Der Beiträger stellt die Frage, ob Milgram & sein Team nicht selbst unethisch gehandelt hätten und ob das nicht durch Gruppendenken der Test-Crew ermöglicht worden sei.

Etliches, was im einhelligen Gelehrten-Konsens der jeweiligen Gegenwart als “undenkbar” oder “unmöglich” galt, war 50 oder 100 Jahre später selbstverständliche Lehrmeinung, wird erinnert, z.B.

  • die Entdeckung von Prionen,
  • Verwandtenselektion (“kin slection”),
  • Blei im Benzin,
  • Krebs erzeugende Bakterien (Heliobakter),
  • Kontinentaldrift,
  • Neurogenese in Säuigetieren oder
  • Brutkästen.

Das sei vorher “von der Wissenschaft” abgelehnt worden, vom Gruppendenken der Experten.

Ebenso wie ein kecker Assistenzarzt in Wien, der in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts seinen arrivierteren Kollegen empfahl sich die Hände zu waschen, ehe sie vom Sektions-Saal in die Geburtsklinik wechselten.

Der Frechdachs hieß Ignaz Semmelweis und gilt heute als Entdecker des Kindbettfiebers. Der Mann hatte recht und war sich dessen bewusst,

obwohl ihm vom Establishment bis zuletzt Ablehnung entgegen geschlagen ist.

Semmelweis war aber auch psychisch krank – was Handhabe bot, ihn zwei Wochen vor seinem Tod in die Irrenanstalt einzuweisen.

Das war tragisch – aber noch viel tragischer waren die vielen Mütter, die wegen des Gruppendenkens der traditionellen Mediziner sterben mussten.

David M. Allen, James W. Howell (Hg.), Groupthink in Science: Greed, Pathological Altruism, Ideology, Competition, and Culture. 2020

Unabhängiger Journalist

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