Athen hat Vorschläge vorgelegt, für die es gern weitere 53 Milliarden Euro hätte – und siehe da: sein Papier ist mit dem Verhandlungsstand vor der Ausrufung der Abstimmung praktisch identisch. Vor allem die Steuer- und Pensionsreformen, mit denen Tsipras das Volk mobilisiert hat, sind wie man es sich vor dem 26. Juni ausgeschnapst hat. Der größte Unterschied ist, dass Athen jetzt 300 Millionen mehr für Waffen ausgeben will. Die Honigmäulchen der Lügenpresse beirrt das nicht. Sie schwenken ihre Palmwedel und rufen: “Hosiannah!”
Man braucht nur ein bisschen die Augen aufzumachen um festzustellen: die angelsächsischen Medien, die emotionell nicht so heftig im Euro investiert sind, berichten matter of fact-mäßig, fast gelangweilt, während die Euro-Schoßhündchen, ihre kontinentalen Kollegen freudig erregt Laut geben, was ihnen gemäß Drehbuch freilich auch auch zukommt.
Auch Eurogruppenchef Dijselbloem spielt seinen Part ganz gut, wenn auch ein wenig atemlos. Er ist ungeduldig und man merkt ihm an, dass er das abgekartete Spiel schon gerne hinter sich gebracht hätte. Vielleicht sollte ihn jemand daran erinnern, dass das echte Publikum nicht in der Presseloge, sondern auf den Rängen sitzt und dass er auch für die auf den billigen Plätzen glaubwürdig bleiben muss.
Die griechischen Vorschläge seien, heißt es, „sorgfältig“, „glaubwürdig” und “ernsthaft“ – nanetnana, ist man versucht zu sagen: schließlich haben die griechische Regierung und die Troika mehr als vier Wochen gebraucht, um sie auszuverhandeln.
Dass es kaum einen Unterschied gibt, lässt sich deswegen feststellen, weil die EU-Kommission dankenswerterweise den Letztstand vor dem öffentlichkeitswirksamen Abbruch der Gespräche hier veröffentlicht hat.
Die größte Differenz liegt wohl in der Formatierung des Dokuments – die Griechen sind das etwas großzügiger mit dem Platz umgegangen als die analen Charaktere in der Kommission und deswegen hat ihr Papierl 13 statt wie zuletzt 10 Seiten. Insoferne ist der Einschätzung des österreichischen Bundeskanzlers Faymann: “Es ist mehr als alles Übrige” nur schwer zu widersprechen.
Es ist wahr: Das griechische Konzept enthält außerdem ca. 25 Zeilen mehr und auf diesen steht Neues, beispielsweise, dass künftig Freizeitboote ab fünf statt wie bisher ab 10 Metern Länge mit einer Luxussteuer von 13 Prozent belegt werden oder dass die die 4 + 5 G-Mobilfunkfrequenzen nicht unbedingt getendert werden müssen, sondern auch sonstwie in Lizenz vergeben werden dürfen.
Am tollsten find’ ich aber, dass sich der Herr Linkssozialist von den Pazifisten in der Troika nicht in die Rüstungssuppe spucken lassen möchte. Der Plafonds für die Rüstungsausgaben soll um nur 100 statt um 400 Mio. Euronen gesenkt werden. Wenn das mal nicht ernsthaft ist ! Im zweiten Jahr soll der Plafonds dann um 200 Mio. zurückgehen, wobei es Interpretationssache ist, von wo weg zu zählen begonnen wird.
Was die dicken Hunde unter den Verhandlungsthemen angeht – die budgetären Sparvorgaben, die Sozialausgaben und die Pensionsreform -, hat Athen nicht einmal kosmetische Korrekturen angebracht und das ist deshalb verständlich, weil man schlafende Hunde nicht wecken sollte.
Die Vorgaben für die Primärüberschüsse bis 2019 bleiben wie sie waren, die Gesundheitsreform ist unverändert, ditto die Umsatzsteuersätze (bis auf eine klitzekleine Veränderung). Athen verpflichtet sich wie gehabt zum Durchforsten der Sozialausgaben und bekennt sich zur Vorgabe, dort 0,5 Prozent des BIP einzusparen. Gleiches gilt für die Pensionsreform: deja vu vom gesetzlichen Pensionsantrittsalter über das Eindämmen der Frühpensionen bis hin zum Ausmisten bei den Zusatzpensionen. Alles wie gehabt.
Wenn ich ein Grieche wäre, der von der sozialen Rhetorik der Regierung dazu gebracht worden wäre, mit oxi zu stimmen, müsste ich mich jetzt ziemlich verarscht fühlen.
Denn diese Aktion der Regierung Tsipras würde für mich überhaupt keinen Sinn machen. Ich wäre verwirrt, wenn ich feststellen müsste, dass das neue Verhandlungspapier das alte ist. Ich würde mir denken: “Der liebe Führer hat eine extrem gefährliche Ausnahmesituation provoziert, für nichts und wieder nichts. Dafür, dass eine Stromleitungsfirma nicht privatisiert werden muss, sondern unbundled werden darf, lass’ ich mir jedenfalls nicht den Geldhahn abdrehen. Wenn der liebe Führer wegen dieser 25 nebensächlichen Zeilen den Notzustand herbeigeführt hat, ist er verrückt.”.
Ist Tsipras aber nicht, würde ein nicht-naiver Grieche antworten. Der liebe Führer ist ein Polit-Zocker wie sein gerade echappierter Finanzminister, der auch die Dramaturgie für das abgekartete Spiel erfunden hat. Ein Zocker, wie auch die Schauspielerkollegen aus den anderen Ländern der Eurozone.
Als nicht-naiver, politisch aufgeweckter Grieche hätte ich von Anfang an mitgekriegt, dass es bei der Abstimmung ja gar nicht um die Austeritätsgebote der Gläubiger gegangen ist, sondern darum, die Verhandlungsposition des lieben Führers in Sachen Schuldenschnitt zu stärken. Es ging darum, die Tante aus Berlin von der Notwendigkeit eines Schuldennachlasses zu überzeugen.
Freilich ist diese schon die längste Zeit überzeugt – sie hat halt nur das Problem, dass sie es selbst war, die vor ein paar Jahren diese Kredite auf den Weg gebracht hat – Geld, das nicht aus ihrer Tasche kam, sondern aus der Tasche ihres Volks. Für Letzteres braucht sie dringend eine gute Ausrede und die muss ihr mit dieser Komödie geliefert werden.
Das ist aus Sicht von Griechen klarerweise ein guter Zweck. Dafür muss man auch in Kauf nehmen, dass die Austeritätsgebote der Kreditgeber beachtet werden, wenigstens eine Weile lang. Die Streichung von 30 Prozent der Schuldsumme muss einem schon was wert sein. Spätestens in drei Jahren gibt’s dann die nächste Runde.
Das ist insoferne realistisch, weil die Tante dann nicht mehr an der Regierung sein wird (vielleicht sitzt sie schon im Gefängnis) und weil in der restlichen Eurozone sowieso fast alle anderen Politiker offen für einen Schuldenschnitt eintreten, also dafür, Geld ihrer Völker ohne deren Zustimmung herzuschenken. Man pflegt das Demokratie zu nennen.
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