Heutiger Informationskrieg und sowjetische Dezinformatsiya

cover_resizedEin deutscher Experte für Cyber-Sicherheit hat ein Buch über die sowjetische Disinformation (Desinformation) seit deren Anfängen geschrieben. Er stellt dabei den jüngsten katastrophalen NSA Leak in diese Tradition – wenig plausibel, wie dieser Blogger glaubt. Wenn, dann zeigt der Rid-Text nur, dass die GRU-Spezialisten, die 2016 in den USA in Erscheinung getreten sein dürften, zu plump waren um als Urheber der Doomsday-Aktion der “Shadow Brokers” in Frage zu kommen.

Vorbemerkung: Dieser Blogger hat bisher bevorzugt “Desinformation” geschrieben – analog zur satanistischen Band Desaster. Korrekt scheint es aber Disinformation zu heißen. Ich bedaure.

Thomas Rid meint, was inzwischen fast alle glauben, die die Saga vom DNC-Hack im Frühjahr 2016 verfolgt haben

- dass nämlich die Veröffentlichung von internen Emails der US-Demokraten, die letztlich über WikiLeaks erfolgte, Werk der APT28 des russischen Militärgeheimdiensts GRU war

(dieser Blogger ist sich diesbezüglich freilich bis heute nicht schlüssig; Metadaten, das Hauptbeweisstück, lassen sich kinderleicht den jeweiligen “Bedürfnissen” anpassen   :mrgreen:   ).

Rids Darstellung der Causa in den ersten drei Abschnitten des letzten Kapitels bestätigt – davon abgesehen -  einmal mehr, was ohnedies seit langem klar ist:

- dass weder “DCLeaks” selbst noch die Operationen der Prighozin-Trolle einen nennenswerten Einfluss auf den Ausgang der US-Präsidentenwahl hatten

(viele Demokraten haben die Niederlage Hillary Clintons bis heute nicht verdaut und benutzen daher “die Russen” als Sündenbock).

Nach Darstellung des Autors wollten die GRU-Hacker ihren “Fang” erst selbst vermarkten, stellten sich dabei aber so ungeschickt an, dass sie flugs auf die vertrauenswürdigere und medienerfahrenere Enthüllungsplattform von Julian Assange umsatteln mussten.

Bemerkenswert ist – und das unterscheidet den Demokraten-Leak von den “traditionellen, Leninistischen  Disinfo-Operationen” -,

dass das veröffentlichte Material “nicht gedoktert” war:

Clinton-Konkurrent Bernie Sanders wurde von “der Partei” sehr wohl benachteiligt, vorgeblich neutrale Mainstream-Schreiberlinge stimmten sich tatsächlich vorab mit den Demokraten ab, etc.

DCLeaks & Steuerorasen

Die für die Aktiven Maßnahmen (AM) des Kalten Kriegs so charakteristische Mischung aus Authentizität und Fälschung war hier nicht mehr gegeben

- und deshalb stellt sich sogar schon für Guccifer 2.0 die Frage, ob das noch etwas mit sowjetischer Dezinformatsiya zu tun hatte.

(umso größer darf der Zweifel bezüglich des NSA breachs ab 2016/17 ausfallen).

Wie die sogenannten Panama Papers zeigen, war ein solches Vorgehen auch nicht “proprietäres intellektuelles Kapital” östlicher Geheimdienste, sondern state of the art internationaler parastaatlicher Akteure.

Wie die US-Emails waren auch die geleakten Dokumente von Mossack Fonseca echt – “gestohlen”, aber unzweifelhaft authentisch.

Ähnlich wie bei den Offshore-Papieren wurden auch hier Skandalisierung & Verwertung an die Journaille und deren empörte Aufdecker “outgesourçt” (im Fall der 2018 geschlossenen Anwaltskanzlei waren die Leaker freilich definitiv “keine Russen”).

Ob das im letzten Subkapitel beschriebene Vorgehen der “Shadow Brokers” überhaupt noch etwas mit den Aktiven Maßnahmen der Sowjets zu tun hat, sei dahingestellt.

Im Wesentlichen geht es hier um einen dump höchst effektiver und ultrageheimer hacking tools der NSA, mit denen sich Letztere Zugang zu (fast) allen online übermittelten Informationen verschafft hatte.

Wer das verbrochen hat, ist bis heute unklar, aber weder das kunstvolle Yoda-Englisch der Täter noch die unheimlichen Fähigkeiten ihrer zero-day exploits lassen an Fancy Bear denken.

Die Russen sollen sich im April 2016 mit primitiven Phishing-Attacken Zugang zu den Emails der US-Demokraten verschafft haben,

die Shadow Brokers dagegen haben angeblich in Fort Meade eingebrochen, die dort gelagerten “Kronjuwelen” entwendet und diese dann unter’s Volk gestreut.

Was danach folgte, war nur logisch – wahrscheinlich aber nicht mehr das Werk der urprünglichen Akteure.

***

Man hat, was hier passiert ist, kaum in der allgemeinen Presse gelesen und es ist das Verdienst von Leuten wie Thomas Rid,

die Dinge auf eine Weise darzustellen, dass sie auch Otto & Grete Normalverbraucher verstehen können (dieser Blogger zählt sich zu dieser Gruppe).

Spezialisierte Journos mögen darüber sehr wohl publiziert haben

- doch wer die Fachöffentlichkeit dazu nicht liest oder versteht, weiß nicht einmal das Wenige, das bisher über diese Vorgänge bekannt ist.

Die ersten drei Viertel des Rid-Texts mögen darüber hinaus für Historiker des Kalten Kriegs beachtlich sein – rein geschichtswissenschaftlich betrachtet.

Davon abgesehen stellt Rid äußerst lesenswerte Beobachtungen über die Parallelen von postmoderner Epistemologie und Aktiven Maßnahmen des Ostblocks an.

Das ist wirklich aufschlussreich – aber eher im Hinblick auf die Geistesverfassung heutiger Journos als auf die durchgeknallte Aktion der Shadow Brokers.

Thomas Rid, The Secret History of Disinformation and Political Warfare.2020

Unabhängiger Journalist

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