Ein italienscher Journo erläuterte im Frühjahr wortreich, dass die Fünf Sterne-Bewegung eigentlich ein von Ultrarechten gesteuertes Social Media-Konstrukt sei – was nach dem fliegenden Seitenwechsel, den diese soeben vollzogen hat, eigentlich ein paar Fragen aufwirft. In einer Hinsicht hat Iacoboni freilich recht: Popos sind Popos, Umverteilungs-Fans ebenso wie manche Immigrations-Kritiker. Dass autoritäre linke Etatisten, Faschisten und Kommunisten aus derselben Familie stammen, hat jüngst wieder ein US-amerikanischer Autor festgestellt.
Dieser Blogger zählt sogar den PD, den neuen Koalitionspartner des Movimento zu den Popos, nämlich zu den Umverteilungs- und Easy-Money-Populisten (aber das ist eine andere Geschichte).
Iacoboni, ein Schreiberling von La Stampa, nennt sein Buch “Exekution”, womit die ca. 15 Monate währende Koalitionsregierung zwischen Cinque Stelle und Lega gemeint ist (von Juni 2018 bis August 2019).
Das klingt zunächst schaurig (was gewollt ist) – gemeint ist jedoch nur die Exekutionsphase eines Computerprogrammes.
Die Ausführung einer von Gianroberto Casaleggio geschriebenen Software.
Dieser vor zwei Jahren verstorbene Mann habe, so die These, mit der Fünfsterne-Bewegung einen Code zur Erlangung der politischen Macht geschaffen;
ein Programm, bei dem “im Zentrum” ein Befehl eingegeben, der danach exekutiert wird – ungeachtet dessen, wozu Politiker und Aktivisten an der Basis gerade “aufgelegt sind”.
Der Movimento sei zur Machterlangung und – ausübung da – und zu sonst nichts.
Der geniale Internet-Guru, der ab 2005 den Blog des Beppe Grillo betreute, sei das eigentliche Hirn der “linkspopulistischen Bewegung” gewesen, die seit 2013 auf spektakuläre Weise in die italienischen Parlamente eingezogen ist und die Mitte 2018 schließlich die größere Regierungspartei gestellt hat.
Casaleggio statt Grillo
Die vorgeblichen Links- seien eigentlich aber Rechts-Popos gewesen, denn der irgendwie irre Gianroberto habe zeitlebens ein Faible für Rechte gehabt, was sich u. a. darin zeige, dass Unberto Bossi, der Chef der “alten Lega”, der einzige Politiker auf Gianrobertos Begräbnis im April 2016 gewesen ist.
Grillo sei ein ahnungsloser Frontmann und die vorgeblichen Links-Popos seiner Fraktion würden in Wahrheit von Puppenspielern der extremen Rechten “bedient”,
beginnend bei
- Steve Bannon und dessen “Statthalter” im UK, Raheem Kassam, über
- “Brexit-Finançier” Arron Banks,
- bis zum Trump-nahen alt right-Intellektuellen Ted Malloch.
Das Gruselkabinett halbgebildeter Lefties ist bei Iacoboni vollzählig vertreten.
Natürlich darf auch ein aus Großbritannien stammender, u.a. in Italien lehrender Professor nicht fehlen, der der am leichtesten erkennbare russische Spion der Weltgeschichte sein muss.
Der Mann der inzwischen verschollen ist, wollte 2016 einen außenpolitischen Berater Donald Trumps mit einer heiß aussehenden Russin (“Putins Nichte”) kompromittieren, was aber nicht funktioniert hat.
Der verschwundene Professor wird heute eher dem MI6 oder der Brennan-CIA zugeordnet, aber das hat sich offenbar noch nicht nach Italien durchgesprochen.
Iacoboni verwendet großzügig auch das “Steele-Dossier” sowie angebliche Erkenntnisse von US-Sonderermittler Bob Mueller, dessen Bericht
- bei Erscheinen von L’Esecuzione noch gar nicht vorgelegen ist und die sich
- in diesem so auch nicht nachvollziehen lassen.
Neben derlei Räuberpistolen US-amerikanischer Herkunft, denen praktisch niemand auf den Grund gehen kann, schildert Jacopo die wachsende Ablehnung der afrikanischen Immigration durch das Fußvolk der Cinque Stelle, die er mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit der Rechten erklärt, die gemäß seiner Meinung den Movimento ja gekapert haben.
Kein Wort darüber, dass die Italiener die finanziellen, sozialen und kulturellen Kosten für diese Migration zu tragen und dass sie davon die Nase voll haben
- und dass das der tiefere Grund ist, warum die Lega des Matteo Salvini mittlerweile deutlich größer ist als Cinque Stelle.
Zum Zeitpunkt des Wechsels des Regierungspartners vor 14 Tagen
- ein Vorgang, der die Exekution des von Iacoboni geschilderten Experiments unterbrochen und den zweiten Tod des Roberto Casaleggio verursacht hat (“Se il M5s facesse un governo con il Pd, io uscirei dal Movimento”).
Die Pluspunkte
Aber sei’s drum.
Dieser Blogger bemüht sich entgegen anderslautenden Darstellungen, ein halb leeres Glas als halb voll anzusehen
und in diesem Sinn hat er eine Menge realitätshaltiger Details über die italienische Innenpolitik gelernt,
- zum Beispiel über die Berührungspunkte von Giuseppe “Exekutor” Conte mit den Sozialdemokraten der Ära Renzi, oder das demokratisch fragwürdige Powerplay der Parteiführung des Movimento gegenüber den eigenen Abgeordneten;
- über die Enteignungs-Ambitionen der Movimento-Lega-Regierung, die nach Wegen suchte, angeblich überschüssige private Erparnisse auf staatliche Mühlen zu lenken;
- auch die Informationen über die Piattaforma Rousseau der Cinque Stelle waren hoch interessant. Sie legen nahe, dass es keinen prinzipiellen Unterschied im Verhalten von italienischen und US-amerikanischen Betreibern von Social Media Plattformen gibt (höchstens einen bezüglich technischer Fertigkeiten und Größenordnungen).
Das ist der eigentliche Mehrwert, den Nicht-Italiener aus diesem Text lukrieren können.
Jacopo Iacoboni, L’esecuzione: 5 Stelle da movimento a governo. 2019
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