Ein australischer Politologe analysiert die nun schon siebzig Jahre alten Überlegungen zum Klima-Engineering und kommt zum Schluss, dass diese das Potenzial haben eine super-zentralisierte imperiale Weltpolitik zu begründen – auf Basis eines neuen Naturbegriffs und auf den Ruinen des Abkommens von Paris, dessen primäre Ziele nur mit Geoengineering erreichbar sind. Der vielleicht bedeutendste Verständnis-Beitrag Jeremy Baskins liegt aber in der Rolle des Klima-Notstands bei der Durchsetzung von Solarem Strahlungsmanagement - womöglich ohne dass Baskin sich dessen bewusst ist.
Das Buch, das aus einer philosophischen Dissertation entstanden ist, enthält eine Diskursanalyse zum Geoengineering, die, wie zu erwarten, keinen gesteigerten Wert auf atmosphärenphysikalische Realien legt.
Die thematisierten Perspektiven arbeiten mit imaginaries/imaginaires, kollektiven Vorstellungen, die miteinander im Wettbewerb stehen (der freilich “weder frei noch fair” ist).
Es gibt hier kein richtig und falsch, sondern nur “Sichtweisen”, die sich durchsetzen und andere, denen das nicht gelingt.
Analysiert werden drei bzw. fünf Ansätze “Solaren Klima-Engineerings”, das der Autor mit SGE abkürzt, das man aber ebenso gut mit SRM bezeichnen könnte, wie Ex-CIA-Chef John Brennan das in einer Rede 2016 getan hat:
- In drei Perspektiven unterteilt sich, was Baskin den Imperialen Diskurs nennt – vereinfacht gesprochen: Argumente und Perspektiven zugunsten des Geoengineering; als da wären: Markt (“Techno-Fix to enable Business as Usual”), Geo-Management (“Taking Charge of the Climate Crisis”) und Heilsgeschehen (“Saving the World from Climate Risk”).
- Ein weiterer, diesmal kritischer Diskurs heißt Chemtrails, den Baskin mit “Secret Elites poisoning the World” übersetzt. Der Medien-Mainstream siedelt ein solches Glaubenssystem tief im Inneren “verrückter” Verschwörungstheorien an (es hat unter kleinen Leuten erstaunlich viele Anhänger – auch in der “Mitte der Gesellschaft” und auch in Europa).
- Der fünfte bzw. dritte Diskurs heißt Un- bzw. Widernatürlich (“The Perils and Injustice of Geopiracy”). Dieser dem Climate Engineering kritisch gegenüberstehende Blickwinkel kreist um “Natur/Natürlichkeit”, die unabschätzbaren Risiken menschlichen Handelns und um die Neigung unserer Spezies zur Hybris. Solche Perspektiven scheinen unter den aktuellen Wissens-Eliten von Sozial- bis zu Naturwissenschaftern weit verbreitet zu sein.
Diese Diskurse stritten weiterhin um “gesamtgesellschaftliche Hegemonie”.
Geoengineering, das nach langer Latenzzeit erst im dritten Jahrtausend in die Debatte zurückgekehrt sei, habe inzwischen zwar Respektabilität unter Wissenschaftern gewonnen, sei von diesen aber nicht übernommen oder in der Gesamtgesellschaft gar normalisiert worden.
Dies ist für Baskin “überraschend”, aber damit ist natürlich noch nicht das letzte Wort gesprochen.
Der Status Quo könne sich noch ändern, z.B. als Folge eines “akuten Notstands” oder dadurch, dass Geoengineering von imperialen Eliten gewaltsam erzwungen würde (mit entsprechend nachteiligen Folgen für die Legitimität).
Der Autor mutmaßt, dass ein solcher Umschwung noch kommen werde, u.a. weil der alt hergebrachte Begriff der reinen Natur rutschiger Boden sei, der von den Öko-Traditionalisten nicht verteidigt werden könne. Man könne nicht wie McKibben des Ende der Natur im Anthropozän proklamieren und
dann gegen Interventionen opponieren, die sich auf postnatürliche Weise in diese Realität einschalten” (p.260)
“Ohne eine radikale Wendung im Denken über Klima und Umwelt erwarte ich, dass Solares Geoengineering in ein paar Jahrzehnten zwangsweise eingesetzt wird, als Reaktion auf Rufe man solle etwas gegen das widerborstige Wetter tun (…) Das wiederum wird Effekte haben, die wir nicht antizipieren können und die ein neues Klima einleiten werden, das sich erst im Lauf von Jahrhunderten um ein neues Gleichgewicht stabilisieren und das mit diesem neue Welten einführen wird.” (p.262)
Klimakrisen-Notstand
Natürlich ergibt sich aus solch quasi-objektivem Vorgehen nicht zwingend ein brauchbares Gesamtbild, das sich der Wirklichkeit annähert – aber die Methode hat zweifellos ihre Verdienste.
Als wäre sie mit einer Lupe ausgestattet, kann eine begrenzte, aber sorgfältige Diskursanalyse Details herausarbeiten, die bei “großflächigerem Arbeiten” übersehen oder wieder vergessen würden.
So verweist Baskin beispielsweise darauf, dass Geoengineering eine gebieterische “Schattenpräsenz” im Übereinkommen von Paris habe, begründet diese richtige Feststellung überraschenderweise aber mit carbon dioxide removal-Technologien (CDR) statt mit solar radiation management (mit Artikel 4.4 besteht keinerlei Chance auf eine Reduzierung der weltweiten CO2-Emissionen, wenigstens in einem Szenario, in dem fossile Energieträger nicht verknappen).
Der Australier arbeitet in seinem Text auch die zentrale Rolle heraus, die der “Notstand” für die Begründung des Solaren Geoengineering spielt – beispielsweise p. 76 “Climate Urgency and Emergency”, p. 82/83 “Tyndall Centre Gathering” oder p. 87/88 “NASA Workshop”.
Baskin erweckt in diesen Passagen den Eindruck des ehrlichen Chronisten, dem die überzeitliche Signifikanz seiner Einträge gleichwohl verborgen bleibt.
Vielleicht kann es anders auch gar nicht sein, ist Baskins Text doch bereits vor der Hoch-Zeit der Fridays for Future-Bewegung und dem Stakkato diverser Notstandserklärungen in der EU erschienen – insbesonders im Parlament,
(Wie schon Carl Schmitt erläuterte, ist souverän, wer befugt ist den Ausnahmezustand zu erklären und die souveränitätshungrigen aber legitimitätsbedürftigen Brüsseler Zentralinstitutionen scheinen hier aus “eigennützigen” Motiven auf’s Klima-Pferd aufgesprungen zu sein.)
Davon abgesehen, bietet ein planetarischer Hyper-Notstand aber auch für gefestigtere Machtzentren als Brüssel jede Menge neue Chancen.
Cali-Chemtrails
Hier noch ein Literatur-Tipp aus einer Ecke, die Baskin in’s oben angeführte verschwörungstheoretische Narrativ einordnen würde: Aaron Whipple, Chemtrails and the Global Warming Lie. How Geoengineering affects us. 2018
Der Autor, der ein Pseudonym benutzt, scheint aus dem Umfeld höchst aktiver kalifornischer Anti-Chemtrail-Aktivisten – siehe z.B. hier - zu kommen.
Die zentrale Behauptung des nur 17-seitigen Pamphlets läuft darauf hinaus, dass die Erderwärmung ein reales, aber mit Mitteln des Geoengineering fabriziertes Phänomen sei.
Das würde massive Geheimhaltung erfordern (die im Fall des US-Militärs durchaus glaubwürdig ist), aber auch eine ebenso geheime wie weit reichende militärisch-zivile Kooperation auf internationaler Ebene, (die nur schwer realisierbar scheint).
Whipple geht davon aus, dass SRM mittels Versprühen von Aerosolen beispielsweise in Nord-Kalifornien bereits stattfindet (wofür tatsächlich einiges spricht),
aber auch davon, dass in Reiseflughöhe ausgebrachte Partikel einfach zu Boden sänken und 8 bis 10 Kilometer unterhalb der Spray-Maschinen irrwitzige Verschmutzungswerte verursachten (was nach dem öffentlich bekannten Stand der Technik schwer machbar erscheint).
Was die (implizite) atmosphärenphysikalische Hauptthese des Texts betrifft, dass nämlich die versprühten Partikel den sg. Treibhauseffekt noch verstärkten, weiß dieser Blogger, der kein Naturwissenschafter ist, nicht recht, was davon zu halten ist.
Beides hat eine gewisse Plausibiliät – dass nämlich
- das künstliche Dimming das von der Erde abgestrahlte IR “einfängt”, was eigentlich der konventionellen Argumentation der CO2-Warmisten entsprechen würde; als auch, dass
- die Aerosole die Sonneneinstrahlung tlw. gleich abfangen und wieder ins Weltall zurückschicken würden, dass SRM also die Albedo der Erde vergrößere.
Jeremy Baskin, Geoengineering, the Anthropocene and the End of Nature.2019
Aaron Whipple, Chemtrails and the Global Warming Lie: How Geoengineering Affects Us.2018
Grafik: Hughhunt [CC BY-SA 3.0] via Wkimedia Commons
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