Klima: Russland spielt bei CO2 mit, solang’ es keinen Schaden erleidet

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CO2-Senke Taiga-Wald

Moskau mangelt es an Eifer, die Lehre von der menschengemachten Erderwärmung zu predigen. Aber brav nimmt es am internationalen Spiel mit dem CO2 teil. Solange seine Industrie nicht abgewürgt wird, hat es kein Motiv den Spielverderber zu geben.

Der Ende November beginnende Pariser Klimagipfel wirft seine Schatten voraus. Vor einer Woche hat Reuters einen Bericht aus Moskau (???) geschickt, der die achselzuckende Haltung beschreibt, die zum Thema menschengemachter Klimawandel, AGW, in Russland herrscht. Hier ist er. Der Artikel ist politisch inspiriert, er bietet aber eine Menge interessanter Detailinformationen.

Eine davon ist, dass der russische Präsident ein sogenannter Klimaskeptiker ist, der nicht recht glaubt, was anderswo als unumstößliche offizielle Wahrheit gilt.

Putin trägt das aber nicht vor sich her. Er versteht, dass ihm so etwas schaden könnte. Vor zwölf Jahren hat er noch über das Thema gewitzelt: Das erspart das Geld für den Pelzmantel.

Seit geraumer Zeit wahrt Putin aber Sprachisziplin und reißt nicht einmal mehr Witze. Das ist der Grund, warum Reuters einen seiner Kritiker mit der Feststellung zitieren muss, dass Putin die gängige Klimastory für einen Schwindel halte.

Das dürfte nicht ganz falsch sein.

Klimawandel existiert, Ursachen natürlich

Ein ehemaliger Referent des russischen Präsidenten, der heute für einen wirtschaftsliberalen US-Think Tank arbeitet, beschreibt die Sachlage in den ersten Jahren unseres Jahrhunderts folgendermaßen: Während Putins erster Amtszeit habe dessen Stab “mit großem Aufwand versucht, alle Seiten der Klimadebatte zu verstehen. Wir haben herausgefunden, dass der Klimawandel existiert, dass er zyklisch ist, (aber) dass die Rolle des Menschen dabei sehr begrenzt ist. Es ist uns klar geworden, dass Klima ein kompliziertes System darstellt, dass die bis dahin präsentierten Beweise aber nicht ausreichen, um die Notwendigkeit der Bekämpfung der globalen Erwärmung zu begründen.”

Illarionows Erzählung ist glaubwürdig – und es spricht wenig dafür, dass die russischen Regierungskreise diese ihre Einstellung geändert haben.

Im Unterschied zum Westen, wo die Naturwissenschafter mehrheitlich eine militante pro-AGW-Haltung einnehmen, ist die Meinung ihrer russischen Kollegen wirklich gespalten.

Forscher wie Chabibullo Abdussamatow können der CO2-These widersprechen ohne nachteilige Konsequenzen für sich und ihre Karriere heraufzubeschwören. Der Mann glaubt, dass der während der letzten Sonnenzyklen beobachtete Klimawandel auf eine ungewöhnlich hohe Intensität der solaren Einstrahlung zurückzuführen ist und dass sich das in den nächsten Jahren aber verändern wird – der Erde stehe eine neue Mini-Eiszeit bevor.

Das offizielle Moskau, dem die Methan-Flatulenzen in Sibirien eigentlich Angst machen müssten, sieht es nicht als seine Aufgabe an, sich für eine vermeintlich wissenschaftliche, tatsächlich polit-aktivistische Wahrheit in Sachen Klimaveränderung zu exponieren. Aber es nimmt den um den IPCC entstandenen Weltkonsens als gegeben hin und formuliert in diesem Rahmen eine nationale Strategie. Dabei macht es derzeit den Eindruck eines indifferenten Mauerblümchens, wie eine Journalistin das vor kurzem formuliert hat.

Die russische Regierung hat sich bis jetzt noch nie irgendwelchen Verhandlungen zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes entzogen und in manchen Phasen des Prozesses sogar das Zünglein an der Waage gespielt. Sie hat dabei die Umsetzung internationaler Vereinbarungen überhaupt erst ermöglicht – etwa als sie ihre Unterschrift unter das Protokoll für die erste Periode setzte (Greenhouse Gas Sinks, S. 116).

Sie hat dabei aber ebensowenig auf die nationalen Interessen Russlands vergessen und sich ihre Unterstützung für diverse Vorhaben teuer abkaufen lassen.

CO2-Senke Nadelwälder

Wie überall in den Klimaverhandlungen hat es sich dabei um technische Details gehandelt, namentlich um die Senken für Treibhaus-Gase. Damit werden natürliche Gegebenheiten bezeichnet, über die in der Atmosphäre vorhandenes Kohlendioxid gebunden werden kann – also beispielsweise Wälder.

Knapp ein Fünftel der bewaldeten Fläche der Welt befindet sich in Russland und bindet – nach der heute gängigen Zählweise – pro Jahr ca. 500 Millionen Tonnen CO2.

Das klingt einfach – ist es aber nicht. In langwierigen Verhandlungen muss erst festgelegt werden, welche Waldflächen überhaupt zählen, welche Absorptionsfähigkeit diesen zugebilligt wird, und in welchem Verhältnis diese zu den geplanten CO2-Einsparungen in Industrie und Verkehr steht.

In den abschließenden Verhandlungen der ursprünglichen Kyoto-Runde im Jahr 2001 hat es Russland verstanden, mit seinem Pfund zu wuchern für seine Senken günstige Zahlen und Zählweisen herauszuverhandeln.

Das muss bei den heute anstehenden Nachfolge-Verhandlungen theoretisch nicht so bleiben. Die Russen haben aber klargemacht, dass sie wirklich nicht mehr mitspielen werden, sollten sie schlechter gestellt werden.

Bis Ende März 2015 mussten die Verhandlungsvorschläge für die Klimakonferenz in Paris vorgelegt werden – und Moskau gab das Angebot ab, seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um 25 bis 30 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken, siehe hier.

Das ist aus zwei Gründen kein so generöses Offert wie das zunächst erscheinen mag: erstens, weil  im Basisjahr 1990 noch das sowjetische Niveau herrschte und sich nach dem Zusammenbruch der SU der CO2-Ausstoß mehr als halbierte (Ähnliches gilt übrigens für die CEE-Länder).

Der zweite Grund ist, dass das russische Angebot an eine Bedingung geknüpft war, siehe hier.

subject_to Russland vepflichtet sich zu seinem Emissionsziel/”langfristigen Indikator” (???) nur, wenn seine Senken bestmöglich angerechnet werden.

Das ist, gelinde gesagt, üppig. Konventionelle westeuropäische Politiker würden eine solche Haltung nie (offen) an den Tag legen, weil sie dafür durch den Fleischwolf gedreht würden – schließlich geht es um nichts weniger als die Rettung der Welt.

Putin glaubt das nicht und kann es sich leisten. Das hat zur Folge, dass Russland bis 2030 weder in Bezug auf die Industrialisierung noch auf die Entwicklung des individuellen Verkehrs an Emissionsgrenzen stoßen wird. Je nach verwendetem Zahlen- und Rechenschlüssel wird es in der Lage sein, vom heutigen Niveau ausgehend seinen CO2-Ausstoß zu steigern.

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Nun hat die russische Regierung wahrscheinlich gar kein Interesse daran, in Sachen Emissionen alles auszureizen, was möglich ist. Sie will, nach eigener Aussage, die Rückkehr alter, schlechter Gewohnheiten der Sowjetzeit nicht begünstigen. Sie möchte – wie bei den sogenannten Sanktionen – eine von außen auferlegte Not zur Tugend machen.

Sie glaubt die russische Wirtschaft zwingen zu müssen, energieefizienter zu arbeiten. Denn obwohl heute sehr wohl ein großer Unterschied zur Sowjetunion Leonid Breschnjews besteht, wird nach dem Geschmack der Regierenden noch immer zu viel Energie verschwendet.

Das und nicht das Klima, ist der Grund, warum Putin über eine von außen auferlegte Begrenzung des Ausstoßes ganz froh ist. Sofern die Gefahr gebannt ist, dass der CO2-Ausstoß ein beschränkender Faktor ist, der die wirtschaftliche Entwicklung behindert, ist die Begrenzung des Ausstoßes als Strukturpeitsche willkommen.

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Noch besser ist es freilich, sich über einen sogenannten flexiblen Mechanismus Investitionen in die Energieeffizienz zahlen zu lassen, siehe zum Beispiel hier. Dieser Artikel thematisiert eine Studie, in der gezeigt wird, wie u.a. Joint Implementation-Projekte verwendet wurden: Russische Firmen ließen sich dafür bezahlen, bei der Ölförderung entstehendes Erdgas nicht mehr einfach abzufackeln, sondern nutzbringend zu verwenden.

Solche Projekte sind insofern nicht im Sinn des Erfinders, als sie nach Meinung der Kritiker nicht zusätzlich sind und auch ohne Förderung in Angriff genommen worden wären.

Projekte wie diese setzten die Kyoto-Teilnahme voraus. Sie haben viele Millionen in Gang gesetzt.

Aber diese Beträge waren/sind wohl nicht das Hauptmotiv Moskaus, beim (Post)Kyoto-Prozess mitzuspielen. Es scheint kein besonderes Motiv zu geben. Vielleicht liegt es in der Teilnahme am diplomatischen Prozess selbst – ohne sich dabei unerfüllbare Zielvorgaben aufzubürden. Das ist mehr als man über unsere europäischen Musterknaben sagen könnte.

Literatur:

John Reilly, Benjamin Felzer, David Kicklighter, Jerry Melillo, Hanqin Tian and Malcolm Asadoorian, Prospects for Biological Carbon Sinks in Greenhouse Gas Emissions Trading Systems, in: Greenhouse Gas Sinks, 2007, S.115 – 142

Fotos: Игоревич. Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0,

Unabhängiger Journalist

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