Malthus-Basher unterwegs

512px-Thomas_Robert_MalthusThomas Malthus, der vor etwa 200 Jahren gelebt hat, ist das bevorzugte Hassobjekt aller Studienräte von Wien bis Texas und wenn Adam Smith, “Vater der modernen Nationalökonomie”, die gleiche intellektuelle Strenge erfahren würde, world_population_since_year0_resized_beatbeitetbliebe von dessen mittelalterlichen “Produktionsfaktoren” noch weniger übrig (von Marx sowieso nichts). Das jüngste hit piece stammt aus der Feder eines Schweizer Unternehmensberaters, global-energy-by_source_resized_bearbeitetden das aktuelle Öko- und Klima-Larifari anödet, der sich anscheinend aber weder mit Malthus noch mit den historischen Umständen beschäftigt hat, in denen der Mann gelebt hat.

Den wichtigsten Reibebaum für die Malthus-Kritiker der vergangenen zwei Jahrhunderte ist dessen 1798 erschienene Schrift “An Essay on the Principle of Population”, in der der Reverend sein berühmt gewordenes Theorem erstmals kurz fasst

- dass nämlich das Nahrungsmittelangebot nur linear wachse, die Bevölkerung dagegen in geometrischer Progression, also exponentiell.

Daraus seien mehr oder weniger versteckte demographische Katastrophen entstanden – etwa Kriege und Hungersnöte, die von der Geschichtsschreibung oft nicht beachtet worden sind. Derlei – weil eine Art mathematisches Axiom – sei wohl auch pro futuro zu erwarten

(obwohl darüber gestritten werden kann, inwieweit Malthus dies explizit behauptet hat und ob dies nicht unzulässigerweise in ihn hineinprojiziert wurde – Fragen der “Exegese”, die hier keine/n interessieren).

Nun stellt es die primitivste Übung beispielsweise von Historikern – nicht aber Ideologen – dar, auch intellektuelle Erzeugnisse in ihre Enstehungsumstände einzubetten.

Die für M. in dieser Hinsicht wichtigsten Dinge sind

  • die “sozioökonomischen Erfahrungen” des sg. Mitttelalters und der frühen Neuzeit
  • sowie die Debatten des 18. Jahrhunderets, in denen die Theoretiker  & Einflüsterer der Landesfürsten behauptet hatten, dass die Bevölkerung(szahl) die Quelle allen Reichtums sei.

Malthus systematisierte einerseits das Elend der agrarischen Gesellschaften oft am Beispiel des europäischen Mittelalters und der frühen Neuzeit, widersprach aber auch den Verfechtern der fürstlichen “Populationistik”

- und beides müsste ihm von der “Nachwelt” zugute gehalten werden, würde diese “fair urteilen”.

Die scheint aber nicht daran interessiert zu sein.

Eher steht ihr der Sinn nach der Bekämpfung & Verballhornung von Malthus, sowohl aus der linken (Engels) als auch aus einer prokapitalistischen Sichtweise (von Mises).

Für die einen ist die “malthusianische Falle” Menschenwerk, das durch den Sozialismus beseitigt werden kann und zeugt für die anderen von einem Mangel an Einsicht und/oder Fantasie (siehe Ineichen).

***

Zunächst einmal sollte klar sein, dass Malthus nicht aus einer “quasi-modernen, industriekapitalstischen Perspektive” spricht.

Der Mann ist zu früh geboren, als dass er schon die Erfahrung von mit Kohle arbeitenden Minen oder Fabriken hätte machen können

- um von Eisenbahnen etc. ganz zu schweigen.

Zu seinen Lebzeiten wurde die Erde von lediglich einer Milliarde Menschen bevölkert, die den Boden manchmal mit tierischer Muskelkraft bearbeiteten und diesem dabei nur einen Bruchteil der heutigen Erträge abringen konnten

(dieses “big picture” gilt cum grano salis übigens auch für Adam Smith – “Wealth of Nations” erschien 1776, bloß sieben Jahre nach dem berühmt gewordenen Patent von James Watt).

M. hat, soweit dieser Blogger informiert ist (bin kein “Malthus-Spezalist”), für sein Bevölkerungsgesetz die Vergangenheit analysiert - beginnend bei den Jägern und Sammlern der Altsteinzeit – aber er hat nicht antizipiert, dass sich die Umstände in den folgenden zwei Jahrhunderten radikal ändern würden

(was ihn weder von anderen “großen Geistern”, noch von der Mehrzahl der heutigen pundits unterscheidet).

Dieser Blogger hat um ein ungefähres Bild zu bekommen, in Sachen Malthus Datenreihen und Charts von ourworldindata.org abgerufen

und viele der auf dieser Webseite zu findenden Info-Angebote beruhen entweder auf relativ kurzfristigen Reihen (“seit 1961″) und/oder auf Items, die hauptsächlich in Europa und später in den USA von Interesse waren – z.B. Weizen (wenigstens ein bisserl).

Das hat weniger mit Eurozentrismus o.ä. dieses Autors zu tun als mit dem Umstand, dass europäische Länder sozial- und wirtschaftsgeschichtlich am intensivsten “beackert” worden sind und dass ihre Statistik am weitesten zuück reicht.

So wäre z.B. eine Entwicklung der Hektarerträge von Reis in Asien während der vergangenen 150 Jahre höchst interessant gewesen

- diese Angaben gibt’s aber nicht, jedenfalls nicht für “Outsider”.

Also ist mit dem Wasser gekocht worden, das da war – und das bedeutete beispielsweise, dass mancher Chart nur auf Daten aus Großbritannien und Deutschland aufbaut.

Die erste Grafik zeigt die Entwicklung der Weltbevölkerung seit dem Beginn unserer Zwischeneiszeit vor etwa 10.000 Jahren (weiter unten nur “verkürzte Version)

- eine lange horizontale Linie, die erst etwa in der Mitte des  19. Jahrhunderts exponentiell nach oben ausbricht – 50 Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen von Malthus “Principle”.

world_population_since_year0_resized_beatbeitetMan kann an dieser Stelle also festhalten: Malthus geometrische Bevölkerungsanstiege sind – vielleicht wegen der erwähnten “checks”-  nicht erkennbar, sehr wohl aber das von M. nicht vorhergesehene, rasante Bevölkerungswachstum seit der Mitte des. 19. Jahrhunderts.

Auch der nächste Chart ist eine Wiederholung, die schon dadurch gerechtfertigt ist, dass er eine bemerkenswerte, “zeitverschobene Korrelation” mit der Populationentwicklung offenbart.

global-energy-by_source_resized_bearbeitetInteressant ist der deutlich sichtbare, aber nur allmähliche Anstieg der Primärenergie durch Kohle – bis zum Beginn der Industrialisierung der VR China um 2000, wo die Linie “einen richtigen Hupfer macht”.

Der “Turbo” der exponentiellen Entwicklung wird hier freilich erst nach dem 2. Weltkrieg “eingeschaltet”. 1950 verbrauchte die Welt jährlich noch 28.600 Terawattstunden Primärenergie, 2021 bereits 176.400 TWh.

Dieses Energie-Wachstum, das mit der einem starken Bevölkerungsanstieg in der sg. Dritten Welt einher geht, geht zu – sagen wir: 90 Prozent auf das Konto von Erdöl und Erdgas. “Neue Renewables” (Wind, Solar) spielen trotz aller Bemühungen der Chartkonstrukteure eine nur geringe Rolle.

Die nächste Grafik zeigt die Hektarerträge von Weizen in UK und Deutschland. crop-yields_wheat_resized_beatbeitet

Hier liegen seit dem Hochmittelalter Zahlen aus dem Vereinigten Königreich vor, die sich zwischen 0,5 und 1 Tonne pro ha bewegen. Erst 1850 gibt es einen ersten Datenpunkt aus Deutschland, der von  einem Vorläufer des 2. Kaiserreichs – vielleicht Preußen – stammen muss.

Auch hier sieht man zunächst eine lange, fast horizontale rote Linie (die freilich “nur” bis 1270 zurückgeht – und nicht 10.000 Jahre   :mrgreen: )

In den nächsten 80,90 Jahren erfolgt eine Verdoppelung der Erträge auf gut 2 Tonnen, aber erst danach, wiederum nach den 2. Weltkrieg, schossen die Erträge auf 8 Tonnen  pro Hektar in die Höhe.

Es mag mehrere Gründe für diese Entwicklungen geben.

Dieser Blogger interpretiert den ersten, kleineren Sprung als Folge der Intensivierung  der Landwirtschaft, die nur zum kleineren Teil etwas mit der beginnenden Mechanisierung zu tun hat

und den exponentiellen Anstieg im 20. Jahrhundert als Folge des zunehmenden Einsatzes von Stickstoffdünger (Haber-Bosch-Verfahren, das bereits vor dem 1. Weltkrieg “erfunden” wurde).

Der letzte Chart zeigt – quasi resümierend – die Entwicklung der Lebenserwartumg, die sich erst in Europa und den Americas verdoppelte, zeitlich gefolgt von Asien und Afrika (das hat natürlich beigetragen, dass heute 8 Milliarden die Erde bevölkern).

life-expectancy_regions_resized_bearbeitetUnd was hat das alles mit Malthus zu tun und  dessen (bisher) nicht eingetroffener “Verelendungstheorie”?

Nun, Malthus hat diese Entwicklung nicht voraus gesehen

- aber wenig bis nichts von jenem historischen Material, das er gesichtet hat, hat auf eine solche Ausnahmesituation auch hingedeutet – eine Ausnahmesituation, die durch die Nutzbarmachung von Millionen Jahren gespeichertem Sonnenlicht entstanden ist (wie dieser Blogger glaubt).

In der Menschheitsgeschichte ist wohl nicht die “ländliche Armut” die Ausnahmesituation, sondern Überfluss, Urbanisierung und der “Blip” des Fossil-Zeitalters.

Dass Atome beliebig kombinierbar seien und von den Menschen dazu “gezwungen” werden können neuartige Verbindungen einzugehen,  entspricht nicht dem Stand der Lehrmeinungen.

Dieser hat sich in der Vergangenheit mehrfach geändert und kann es demnächst wieder tun -

aber damit rechnen würde ich nicht.

Bild,  Grafiken: John Linnell.public domain, via Wikimedia Commons, ourworldindata.org, CC-Lizenzen.

Unabhängiger Journalist

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