MH 17 – Ein Versuch, das Orakel der Pullach-Pythia zu verstehen

 

BND: Tatwaffe BUK, geschossen haben die Milizen
BND: “Tatwaffe BUK. Geschossen haben die Milizen.”

Vielleicht ist der Wahrspruch des BND vor der Parlamentarischen Kontrollkommission das Gegenteil dessen, wonach er aussieht: Der Versuch Berlins, Moskau die Hand zu reichen – ohne dabei im Westen ungut aufzufallen. Eine Analyse.

“Es waren die Separatisten” – das ist die Haltung des BND zu MH 17 und da fährt die Eisenbahn drüber. Die “Spiegel-Story” ist jetzt fünf Tage alt und dutzendfach nach-publiziert worden ohne dass es auch nur ein protestierendes Räuspern aus Pullach gegeben hätte.

Der Bericht ist für mich zwar immer noch fragwürdig, aber zitiert wird Schindler wohl richtig, wenigstens sinngemäß. Man könnte ohne weiteres die Meinung vertreten, der Bericht sei vom BND autorisiert worden. Was das heißt, erklärt Udo Ulfkotte hier.

Das ist genauso gut wie wenn sich BND-Präsident Schindler vor eine Kamera gestellt und selbst die ominösen vier Worte gesagt hätte. Halt “ein bisschen” einfacher, weil sich in dieser Situation der zahmste Journalisten-Trottel bemüßigt gefühlt hätte, “Warum?” zu fragen.

Diese Frage ist der Elefant im Wohnzimmer. Sie nicht zu stellen, heißt, (bewusst) die entscheidende Frage auszublenden. Denn es ist alles andere als klar, warum der BND zu diesem Schluss kommt. Dass in einem Krieg auf beiden Seiten gelogen wird, kann’s ja wohl nicht sein.

Es könnte aber durchaus sein, dass der BND in Wahrheit gar keine besonderen Erkenntnisse hat (ich muss mich in dieser Hinsicht selbst etwas zurücknehmen; wie alle “Verschwörungstheoretiker” tendiere ich, derlei Organisationen zu überschätzen). Die Schlapphüte aus dem Isartal können aus sich selbst heraus gar nicht so viel wissen. Darauf weisen auch die Russen in einem ein bisschen höhnischen Unterton ständig hin. Siehe hier und hier. Auch die Ukraine kann das nicht.

Die Stimmen in Moskau sagen: “Wenn ihr so gut Bescheid wisst, müsst ihr Satellitenaufnehmen von den Amerikanern bekommen haben. Zeigt sie mal her, lasst uns vergleichen !”

Der BND hat aber vielleicht gar keine amerikanischen Satellitenfotos bekommen. Vielleicht haben die Amerikaner selbst keine, wirklich und ungelogen.

Der BND ist mit dem Leakage innerhalb der Gruppe der westlichen Geheimdienste jedenfalls vorgeprescht und das bedeutet definitiv etwas. Es geht nicht auf den Umstand zurück, dass Deutschland vom Anlass unmittelbar besonders betroffen wäre. Mit MH 17 kamen “nur” vier Deutsche ums Leben.

Es kann erstens bedeuten, dass der Nachrichtendienst eines faktisch noch immer besetzten Landes vorgeschickt wurde, um den Boden für die Kolonialherren aus Übersee aufzubereiten. Das ist die alternativ-konventionelle Ansicht. Wie ein verbitterter Moskowiter in einem Forum schrieb: “Der BND macht genau das, was seine vorgesetzte Stelle (= Washington) von ihm verlangt.”

Das sehen viele so, nicht nur die speziellen Spezis vom FSB. Wieder einmal wird Deutschland schmerzlich daran erinnert, dass es politisch nicht souverän ist. Das heißt aber noch lange nicht, dass es nur ein Befehlsempfänger ist: Jawohl, Herr Major.

Vielleicht will der BND, zweitens, sogar, dass die Amerikaner die Sache so sehen wie die Russenfreunde in den Foren, dass sie aber anerkennend sagen: “Die Deutschen sind heute aber wieder besonders brav!”

Das Ganze könnte trotzdem einen doppelten Boden haben. Die BND-Position könnte eine politische sein, aber eine, die eigentlich darauf abzielt, die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands zu wahren. Deutschland ist schließlich das westeuropäische Land, das von einer Entfremdung von Russland am stärksten betroffen ist.

Im Internet sind viele darauf konditioniert, die Interessen der Neurussen mit denen Russlands gleichzusetzen (und umgekehrt). Das stimmt nicht. Vineyardsaker weist immer wieder darauf hin (manchmal mit bedauerndem Unterton).

Was, wenn gemeinsam eine Möglichkeit ausgetüftelt wurde, um der Eskalationsspirale der Kriegs-Internationale zwischen Washington und Moskau zu entrinnen? Ganz, ganz geheim und ganz, ganz an der Spitze !?

Das ist nicht so absurd wie es klingt, wenn man die jüngsten Texte so unterschiedlicher Leute wie Alexander Mercouris und Robert Parry durchliest. Entweder spüren sie was oder jemand hat es ihnen ins Ohr geflüstert.

Beide sagen: Indem der BND mit dem Finger auf Neurussland zeigt, entlastet er Russland. Laut BND waren die Neurussen die Täter, aber Putin trifft keine Schuld, weil er die Mordwaffe nicht geliefert hat. Kiew will aus politischen Gründen “so einen Unsinn” auf keinen Fall hören. Es sagt sinngemäß: “Nein, nein und wieder nein. Von uns wurde keine BUK erbeutet. Die muss aus Russland gekommen sein !” * aufstampf*  wie es in einem Forum erläuternd noch heißen würde.

Gelingt es in dieser Situation, die “deutsche Wahrheit” ganz langsam, über Monate hinweg international als Fakt zu etablieren, dann hat Putin Zeit, sich ganz langsam aus der Beschützerrolle für die Neurussen zu lösen ohne besonderen innenpolitischen Schaden zu erleiden.

Theoretisch ist Moskau ja schon immer für eine Untersuchung ohne Hin- und Rücksichterln eingetreten. Aber auch wenn es selbst überzeugt wäre, dass die Milizen verantwortlich waren und dies hieb- und stichfest belegen könnte, könnte es niemals sagen: “Da, ‘Weltgemeinschaft’, hast du deine Täter! Urteile sie ab!” Putin würde geschlachtet werden, zumindest politisch.

Da könnte man schon versucht sein, ein solches Manöver durchzuführen. Dass man sich auf dieses Spiel einlässt, hat auch nicht zur Voraussetzung, dass die Milizen die MH 17 wirklich abgeschossen haben. Es reicht, wenn dies eine politisch vereinbarte “Wahrheit” ist, die international akzeptiert wird. Theoretisch könnten sogar die Amis mit an Bord sein, jene Fraktion, die den großen Konflikt nicht will.

Es ist sogar möglich, dass der oben geschilderten politischen Wahrheit zum Durchbruch verholfen wird ohne dass irgendeiner der (wahren oder vorgeschobenen) Täter in Den Haag landet. Die Amis haben ja schon angekündigt, dass es “keinen rauchenden Colt” geben wird.

Eggert

Die Unterscheidung zwischen Tätern und Sündenböcken ist in manchen denkbaren Fällen sowieso eine ziemlich theoretische. Nehmen wir zum Beispiel das Szenario, das Wolfgang Eggert in seinem Buch “MH 17 – Die Falle” zeichnet, das dieser Tage erscheinen soll.  Dank eines kürzlich publizierten Youtube-Videos lässt sich dessen Inhalt gut nachvollziehen. Eggert hat hier drei Stunden lang Zeit, seine (?) Sicht der Dinge zu entwickeln.

Kurz gesagt: Er glaubt (wie der BND), dass die Separatisten den Flieger abgeschossen haben. Sie sind seiner Ansicht nach aber auf eine Weise getäuscht worden, dass sie gar nicht anders konnten als auf ihn zu schießen.

Eggert deutet vieles nur an, weil er es nicht gerichtsfest beweisen kann und aus rechtlichen Gründen. Was er meint, ist aber klar: MH 17 sei von (wenigstens) einem Militärflugzeug benutzt worden, um sich der BUK-Stellung in Angriffsabsicht anzunähern, wobei die Kennung der Boeing, die sie als Zivilflugzeug auswies, ausgeschaltet/unbrauchbar gemacht worden war.

“Ich glaube, dass die Rebellen von ihrer Seite zwei Militärflugzeuge gesehen haben auf dem Radar und dass sie zusätzlicherweise einen Angriff bekommen haben und dass sie dann gar nicht anders mehr konnten als zurückzuschießen, wohin auch immer der Schuss gegangen ist. Das wissen wir nicht. Wir wissen allerdings, dass als zurückgeschossen wurde, mindestens eins von den beiden Flugzeugen abstürzte und dass am Himmel Leute mit Fallschirmen gesehen wurden. Das ist bekannt durch verschiedene Augenzeugen. Und dass am Ende unten zivile Leichen gefunden wurden.”

Würde ein solcher Ablauf eine “Schuld” auf Seiten der Milizen implizieren bzw. wäre diese Version auf der internationalen Bühne glaubwürdig erklärbar? Weder noch.

Eggert vermutet auch sonst noch einiges, was die meisten als phantasievolles Zeug abtun werden – und was einer Parlamentarischen Kontrollkommission keinesfalls aufgetischt werden kann. Eggert, der bunte Hund und notorische “Verschwörungstheoretiker” kann und darf derlei servieren.

Was sein Buch betrifft, hinterlässt es schon vor seinem Erscheinen den Eindruck, dass der Autor die Quellen minutös studiert und ebenso sorgfältig durchdacht hat. Das muss ihm der Neid lassen.

Mit einem hat er  in jedem Fall recht: die Beschlagnahme des Funkverkehrs zwischen der Maschine und dem Tower bzw. die Nichtveröffentlichung dieser Unterhaltung ist extrem verdächtig. Ein viel verdächtigeres Verhalten als es “die Rebellen” jemals gesetzt haben.

Dennoch wirkt Eggert beim Abschuss durch eine Boden-Luft-Rakete wenig überzeugend. Seine Argumente sind relativ dünn, jedenfalls nur unwesentlich “dicker” als die BND-Position in der “Spiegel”-Version. Ein Hauptargument ist, dass bei einem Abschuss aus der Luft das Risiko der Entdeckung so groß wäre, dass es von einem rationalen Akteur nicht eingegangen werden kann.

 

Für Eggert ist “Kiew” (oder Teile davon) trotzdem der Urheber des Abschusses. Politisch-moralisch.

Realpolitisch spricht gegen einen Abschuss aus der Luft eine ganze Menge. Ist diese Theorie einmal akzeptiert, kommt nur mehr eine Seite für die Täterschaft infrage, denn die Milizen haben keine Flugzeuge. Man kann dann höchstens zwischen verschiedenen Akteuren ein- und derselben Seite wählen.

Wrackteile, die deutlich erkennbar Einschusslöcher wie von einer Bordkanone aufweisen, gibt es aber trotzdem. Sie könnten vom russischen Geheimdienst eingeschleust worden sein, insistiert Eggert. Der wird dann auch gleich den (vielleicht) mit abgeschossenen Abfangjäger beseitigt haben. Hmmm.

Foto: Jonathan Snyder, USAF, Wikimedia Commons

 

Unabhängiger Journalist

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