Migration: Vom Schifferlversenken zu menschenunwürdigen Zelten

Dieselben Fistelstimmen, die dem massenhaften Missbrauch der Asylsysteme durch kosovarische Wirtschaftsmigranten Vorschub geleistet haben, zetern jetzt über die geplante Unterbringung von Asylwerbern/Migranten in angeblich menschenunwürdigen Zeltstädten. Vielleicht sollten sich diese Leute einmal selbstkritisch fragen, was sie dazu beigetragen haben, eine Infrastruktur, die eigentlich für die Aufnahme von politisch Verfolgten vorgesehen ist, lahmzulegen.

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Flüchtlingslager Zaatari
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Flüchtlingslager Traiskirchen

Ihre Expertise in Sachen kindgerechte Unterbringung können sie sicher auch in Zaatari einbringen, wo – ein paar Kilometer von der syrischen Grenze entfernt – 80.000 Vertriebene hausen, die mindestens genauso wie die Schutzbefohlenen im österreichischen  Traiskirchen Flüchtlinge sind.

Das soll nicht heißen, dass es irgendwie gerecht wäre, wenn aus Traiskirchen oder künftigen europäischen Zeltstädten Zaataris würden. Sondern, dass Flüchtlinge keine Touristen sind und dass in dieser Hinsicht Geographie immer auch Schicksal ist.

Jordanien befindet sich in der unglücklichen Lage, Nachbar gleich zweier Konfliktgebiete zu sein und auch das heutige Russland weiß ein Lied davon zu singen.

Dorthin sind offiziell 500.000 ostukrainische Flüchtlinge und insgesamt wenigstens 700.000 bis 800.000 geflohen – eine Tatsache, die in Westeuropa selten thematisiert wird. Sie passt nicht ins Freund-Feind-Schema. Warum sind diese Ukrainer auch vor den Raketenwerfern ihrer Regierung geflohen – zu allem Überfluss auch noch in die Arme des bösen Feinds?

Der Punkt, der hier gemacht werden soll, ist: Auch Anrainerländer von Bürgerkriegskonflikten haben eine Arschkarte gezogen, eine, die ihnen letztlich niemand abnehmen kann.

Ob sie am zugrundeliegenden Konflikt nun mitschuldig sind oder nicht – ihre Situation wird immer ein bisschen wie die “Naturkatastrophe zu Hause” sein. Für die Nachbarn gibt es in Sachen Akzeptanz und Aufnahmebereitschaft keine große Wahl. Man kann sich an dieser Stelle sowieso nicht einfach hochbeamen. Das galt zu einem früheren Zeitpunkt auch für Österreich (1956, 1968, 1992) und würde – Gott behüte – auch künftig wieder gelten.

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Rabulist Mitterlehner

Politiker wie Vizekanzler Mitterlehner, die in vollem Wissen um die Unterschiede die heutige Situation mit jener nach dem Ungarn-Austand vergleichen, greifen auf eine rabulistische Argumentation zurück. Sie vergleichen nicht Vergleichbares.

Aus der Warte des Rests der Welt sieht das Flüchtlingsdrama anders aus als aus der des Nachbarn.

D’accord, die entfernteren, nicht direkt betroffenen Staaten sollen möglichst viel helfen. Aber keinesfalls mehr als der jeweilige Herr im Haus, das souveräne Staatsvolk, zu leisten bereit ist – und wie viel das ist, das will dieses selbst definieren. Das scheint den FunktionärInnen von Caritas bis Diakonie, den PolitikerInnen von Grünen bis NEOS und den mit der Sache befassten EU-Bürokraten nicht in den Schädel zu wollen.

Die Beschwichtigung, dass es sich ja nur nur um ein paar Tausend Leute handle und alles eine Frage des Managements sei, wird von den Leuten nicht mehr gegessen. Die Leute haben erkannt (um die Sprache der Berufspolitik zu verwenden): Es geht um die Ausweitung der Anspruchsberechtigten, und zwar laufend und quasi automatisch.

Wenn es schon dem kleinen Kosovo gelingt, die Systeme in die Ecke zu treiben, denken sich die Leute, was wird da erst passieren, wenn halb Afrika die Chance sieht, rüberzumachen? Anders als weltfremde Eierköpfe können sie die Motivationslage der Migranten nachvollziehen. Ihnen ist klar: Deren Anreiz auszuwandern ist direkt proportional zu ihrer potenziellen Gratifikation und indirekt proportional zum damit verbundenen Risiko. Derlei werden sesselfurzende Migrationstheoretiker in ihren Studierstuben nie kapieren.

Für das Volk ist die Zeit des Zuschauens und Machenlassens jedenfalls vorbei. Die Österreicher, wahrscheinlich alle Europäer, haben Angst um ihre Sicherheit und ihren bescheidenen Wohlstand, zu Recht. Und sie sind – wahrscheinlich zu Unrecht – nicht mehr bereit, einen Unterschied zwischen Immigration und Multikulti auf der einen Seite, und Asylrecht auf der anderen Seite zu machen. Sie, die nach 1945 selbst Hilfe benötigten (und bekamen), sind drauf und dran, das Kind mit dem Bad auszuschütten.

Das liegt nur zum geringeren Teil an der Bevölkerung selbst. Es ist hauptsächlich die Schuld der Tränendrücker und moralischen Erpresser, die über die Jahre das ursprünglich hohe symbolische Kapital des Asylrechts für ihre Tagträume ausgegeben haben: für ihren Traum vom multikulturellen Einwanderungsland und den noch groteskeren von der Rettung der Menschheit durch einen mitteleuropäischen Kleinstaat.

Diese auf Regimentsunkosten agierenden Gutmenschen, von denen ein Teil eine versteckte, eine revolutionäre Agenda hat, posieren schon die längste Zeit als Volkes Stimme – vor gefälligen und selbstgefälligen Journalisten, die sich nicht mehr als Informationsvermittler oder Wachhund verstehen, sondern als das Kaderpersonal einer offenen Verschwörung.

Solche Medienleute sind es, die in Zusammenarbeit mit den Tränendrückern und moralischen Erpressern in Sozialindustrie und Politik den Bewusstseinsstrom unserer veröffentlichten Meinung erzeugen.

Letztere hat weder etwas mit der aggregierten Meinung der Bürger noch mit irgendwelchen objektiv vorfindlichen Gegebenheiten zu tun. In der veröffentlichten Meinung geht es um die Phantasmen, ideologischen Wunschvorstellungen und die bewusste Manipulationen unserer selbsternannten medialen Avantgarde.

Diese nimmt selbstverständlich für sich etwas in Anspruch, was gemeinhin “journalistische Freiheit” genannt wird: die Freiheit zu entscheiden, was thematisiert und (und was nicht) und wessen Meinung dabei genommen wird (und wessen nicht). Wäre diese Freiheit der Journaille nicht Willkür und wären die Berichterstatter jene fairen, sich selbst zurücknehmenden gate keeper, die sie sein sollten, wäre auch nichts dagegen einzuwenden. Das ist aber nicht der Fall.

Die Flüchtlingskrise im Mittelmeer,die gestresste Reaktion Wiens und die Reaktion der Medien darauf ist ein Lehrbeispiel. Ausgangspunkt ist, dass irgendwer entschieden hat, dass die europäischen Staaten nicht mehr das Recht haben, sich vor ungeregelter Immigration zu schützen und dass das mediale Rudel das nachkläfft.

Nachkläffen ist kein guter Ausdruck. Es geht bei vielen Veröffentlichungen nicht einfach um Vervielfältigung, sondern um das Erzeugen erwünschter Wahrnehmungen. Um Framing wie das auf Neudeutsch manchmal bezeichnet wird.

Zum Bespiel orf.at. Begonnen wurde mit der Behauptung, die EU plane, mit Migranten beladene Schlepperboote einfach zu versenken, siehe dazu hier. Ich habe das in Ermangelung eines besseren Worts Gräuelpropaganda genannt. Ein solches Vorgehen ist jedoch so abwegig und so weit von jeder Substantiierung entfernt, dass man von der Linie abrücken musste.

Mittlerweile wird “nur” mehr suggeriert, dass EU-Staaten eine Bodenoffensive in Libyen planten – entgegen einer unzweideutigen Aussage der EU-Außenbeauftragten.

bodeneinsatzGrundlage ist ein dem Guardian zugespieltes Papier, in dem davon die Rede ist, dass  die Zerstörung von Schlepperbooten zu einer Konfrontation mit libyschen Milizen und unbeabsichtigten Opfern unter den Geschleppten führen könnte. orf.at stellt auf dieser dünnen Basis einen EU-Militäreinsatz in Lybien in den Raum. Das ist nicht viel glaubwürdiger als das vorherige Schifferlversenken auf hoher See. Es ist Angstpropaganda.

Um nicht missverstanden zu werden: die Mogherini könnte lügen und EU-Staaten könnten in ihrer Verzweiflung wirklich einmal versuchen, Bodentruppen nach Libyen zu schicken.

Dann werden sie das aber nicht unter dem Sichtschutz einer UN-Resolution wie der geplanten machen. Sie werden eine Resolution einbringen wie jene vom März 2011, die es ermöglichte, “alle notwendigen Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung zu ergreifen.” So sehen UN-Resolutionen aus, mit denen militärische Interventionen – mit und ohne boots on the ground – vorbereitet werden.

Fotos: By U.S. Department of State [Public domain],  Schletz,  Franz Johann Morgenbesser, alle via Wikimedia Commons

Unabhängiger Journalist

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