Nachtrag: Warum die NEOS eine Oligarchenpartei sind

 

Seid umschlungen , Millionen - HPK 2008
Der alles umschlingende HPH, 2008

Weil ihr Financier ein “Oligarch” ist und sich seine wirtschaftlichen Interessen in der von ihm gesponserten Partei widerspiegeln. Das ist nichts Anrüchiges solange es wirklich dabei bleibt und das Kind auch beim Namen genannt wird. Auch die ÖVP ist eine Oligarchenpartei, eine von Funktionärs-Oligarchen.

Vor ein paar Wochen entstand anlässlich der Debatte um das Parteiengesetz das böse Wort von der Oligarchenpartei NEOS. Der Begriff wurde komischerweise von einer Person geprägt, deren Schutzherren im gleichen Boot (pardon: in der gleichen Luxus-Yacht) sitzen wie der indirekt attackierte Baulöwe Hans-Peter Haselsteiner. Gleich neben dem russischen Berufskollegen Oleg Deripaska. Weiter unten mehr darüber.

Also sprach Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter laut APA am 6. April: “Wenn die NEOS hier den Beitritt Russlands fordern, muss ich ganz eindeutig sagen, da sind beinharte Wirtschaftsinteressen dahinter; deswegen behaupte ich auch, dass diese Partei eine Oligarchenpartei ist.”

Da schwingt eine ganze Menge mit. In der Hauptsache klingt das aber so, als wären für Rupprechter Russland und seine Oligarchen dringend daran interessiert, der EU beizutreten und als müssten sie das über Villach an der Drau betreiben, wo die österreichische Strabag ihren Firmensitz hat. Oder alternativ: dass Haselsteiner derlei über die Köpfe seiner russischen Geschäftspartner hinweg betreibt.

Unter uns Verschwörungstheoretikern, Herr Minister: Netter Versuch, die Geschichte von den Nazis mit ihren fliegenden Untertassen klingt aber wesentlich plausibler.

Der Oligarch an und für sich

Rupprechters Ansicht, dass die NEOS eine Oligarchenpartei darstellen, hat dennoch Substanz. Vor allem, wenn man mit dem ursprünglichen Bedeutungsinhalt des Begriffs – nicht seiner heute gängigen Verengung – operiert. Der Wikipedia-.Eintrag dazu beginnt folgendermaßen:

“Ein Oligarch (vom griech.: ὀλίγοι oligoi = „Wenige“ und ἄρχων archon = „Herrscher, Führer“) ist ein Wirtschaftsmagnat oder Tycoon, der durch seinen Reichtum über ein Land oder eine Region weitgehende informelle Macht ausübt. Die Bezeichnung drückt, wie die Wortherkunft von Oligarchie es andeutet, aus, dass der Betreffende „einer von wenigen Herrschenden“ des betreffenden Landes ist und wie groß der Einfluss seines Reichtums auf dessen Politik ggf. sein kann.”

Da haben wir’s: eine lexikalische Definition für eine Person, die über den größten Baukonzern des Landes und den fünftgrößten des ganzen Kontinents disponiert und dessen Bude mit weitem Abstand der größte Straßenbauer seines Heimatstaats sowie der größte Auftragnehmer der staatlichen Eisenbahnen ist (denen er gleichzeitig Konkurrenz macht).

Dieser Mensch – dessen Unternehmen übrigens produktiv ist und Werte schafft und der persönlich ein heller Kopf ist – hält sich eine Partei, die seine weltanschaulichen Perspektiven wie ein Lautsprecher verstärkt.

Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, solange es damit sein Bewenden hat und keine politische Einflussnahme zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil betrieben wird. Politikverbote, wie sie in Italien gegen Silvio Berlusconi verhängt wurden, sind auch nicht das Gelbe vom Ei. Finde ich jedenfalls.

Es wäre nur schön, wenn sich die Wähler-Staatsbürger möglichst umfassend über eine solche Person und ihre Beziehungen zur Politik im allgemeinen sowie deren Partei im speziellen informieren könnten. Das ist eine Aufgabe, der hierzulande nur …ahem… suboptimal nachgekommen wird. Eigentlich wäre das ja die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Medien, aber die wird nicht wahrgenommen (bei Stronach war das sehr wohl der Fall). Warum, ist wieder eine andere, eine komplizierte Geschichte.

Manche behaupten, dass das Techtelmechtel Haselsteiners mit den Medien darauf zurückgeht, dass seine Habschis einen der größten Zeitungskonzerne kontrollieren und der Maestro höchstpersönlich im Stiftungsrat des ORF sitzt, um dort die “pinken Interessen zu vertreten”. Das ist natürlich nicht die ganze Erklärung.  Es gibt zugegebenermaßen auch andere Faktoren. Beispielsweise, dass verantwortliche Chefredakteure keine Lust haben, sich arbeitsplatzschädliche oder gar existenzgefährende Millionenklagen einzufangen. Das ist ein legitimes Motiv.

Wenn nun schon ein Oligarch der Marke Eigenbau identifiziert ist, sollte man aber auch nachschauen, wo dessen “beinharte Wirtschaftsinteressen” wirklich liegen und ob bzw. wie sich das in der Linie seiner Partei niederschlägt. Meiner Meinung nach findet das jedenfalls nicht in bzw. über Russland statt.

Die Strabagsche Russland-Fantasie

Mein (und nicht nur mein) Verdacht zu der Russlandgeschichte der Strabag ist, dass diese eigentlich ein alter Kaffee ist, den man noch nicht ganz ins Klo geleert hat, weil irgendwann doch noch was drauswerden könnte.

Die Deripaska-Manie begann im Jahr 2007, knapp vor dem Börsegang der Strabag, als man dringend eine “Story” für die Anleger benötigte. Und siehe da: Über all den hitzigen Russland-Fantasien fingen auch Oma und Opa von nebenan Feuer und schafften sich für 47 Euro Strabag-Aktien an. Oma und Opa haben für diese Dummheit kräftig Lehrgeld gezahlt, denn die Aktie steht heute bei 20,38. Und wenn sie’s nicht vergessen haben, denken sie heute noch dran.

Seit damals hat sich die Strabagsche Russland-Fantasie verflüchtigt, oder besser: den hochfliegenden Wachstumserwartungen wurden die Flügel gestutzt. Die heutigen wirtschaftlichen Interessen des Konzerns in Russland sind “endenwollende”, wie das ein Ex-Politiker formulieren würde.

Osteuropa ist aber ein anderes Paar Schuhe. Dort lag (und liegt?) die große Knete, Staatsknete. Die Strabag hat ein beachtliches Stück von jenen Milliarden abbekommen, mit denen die EU die osteuropäische Infrastruktur gefördert hat. Der Baukonzern macht 25 Prozent seines Geschäfts in Osteuropa (zwei Drittel davon mit öffentlichen Auftraggebern – Geschäftsbericht 2013, Seite 15). Er ist in der ganzen Region (exklusive Russland) die Nummer 1 oder 2 und dominiert dort den Straßenbau.

Die Bauwirtschaft von CEE ist im vergangenen Jahr in die Krise geschlittert, aber das ist hier nicht das Thema. Das Thema ist der förderungsgetriebene osteuropäische Bauboom der Jahre bis 2012/13 und das Ausmaß, in dem die Strabag davon profitiert hat. Der Haselsteiner-Konzern ist in Österreich der wohl größte private Nutzießer von EU-Strukturmitteln, speziell ab 2004, als die sogenannte Osterweiterung stattfand. Zwar nur indirekt, als Auftragnehmer, das Geld landete aber trotzdem dort.

Der osteuropäische EU-Förderboom

Über die Jahre gerechnet muss von den 170 Milliarden, die die EU in die neuen Mitgliedsstaaten gepumpt hat, ein ein-, vielleicht sogar (kleiner) zweistelliger Milliardenbetrag bei der Societas Europea “hängengeblieben” sein. Auch Kleinvieh macht Mist.

Natürlich kennt die genauen Zahlen nur die Strabag selbst. Als öffentliche Information gibt es lediglich die Bruttozahlen der Kommission und jene in den Budgets von einem Dutzend verschiedener Länder, aus denen man sie zusammen- und auseinanderrechnen müsste. Das ist praktisch unmöglich, weil die Vergabe über Baulose und Arbeitsgemeinschaften das verhindert. Das ist alles extrem intransparent, aber das ist gewollt so.

Die Größenordnungen sind allerdings durchaus abzuschätzen. Wie aus einem im Internet zugänglichen Bericht der KPMG hervorgeht, standen zwischen 2007 und 2013 172,6 Mrd. Euro an EU-Mitteln für Osteuropa zur Verfügung – zusammen mit der jeweiligen “nationalen Kofinanzierung” 208 Milliarden.

Gut ein Drittel davon, 64,2 Mrd. Euro, waren für den “Transport” reserviert, d.h. hauptsächlich Schnellstraßen und Autobahnen (die Strabag baut auch Eisenbahnen und Flughäfen).

Wie gesagt gehört die Strabag in den größten Empfängerländern der Förderungen zu den Top-Baufirmen. Im größten Einzelmarkt, Polen, ist (war) sie sogar Marktführer. Laut ihrem eigenen Jahresbericht  baut sie dort 13 Prozent aller Straßen (Geschäftsbericht 2012, S. 94). Bei den EU-finanzierten Schnellstraßenprojekten ist (war) ihr Marktantreil mit ziemlicher Sicherheit noch höher.

Über die Jahre gerechnet, muss das allein im Fall Polen überschlagsmäßig knapp 4 Milliarden Umsatz bedeutet haben – um von Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Rumänien, den baltischen Staaten sowie dem Balkan nicht zu reden. Und natürlich haben diese Förderungen nicht erst 2007 begonnen, sondern schon 2004 oder noch früher, denn es gab und gibt ja auch “Vorbeitrittshilfen”.

Das alles heißt natürlich nicht, dass das unmoralisch oder gar illegal wäre. Die Förderentscheidungen wurden anderswo getroffen. Aber es heißt, dass der wirtschaftsliberale NEOS-Sponsor in beträchtlichem Ausmaß an Staatsaufträgen verdient hat, die “von der EU” finanziert wurden, von einer Kommission, deren oberstes Ziel die politische Integration ist.

Im Wissen darüber lohnt es, sich das scheinbar idealistische EU-Geplapper der NEOS-Kandidaten noch einmal zu Gemüte zu führen und sich zu fragen, ob es für ihre integrationistische Rhetorik nicht auch andere, versteckte, ihnen vielleicht selbst nicht bewusste Motive geben könnte.

Die Kollegen aus der Hollandstraße

Das gleiche wirtschaftliche Interesse wie Haselsteiner haben aber auch seine Mitaktionäre in der Strabag SE – und damit meine ich in erster Linie gar nicht so sehr den Deripaska.

Ich meine den Raiffeisen-Konzern, der 29 Prozent an der Strabag hält, personifiziert im Obmann der Raiffeisenholding Niederösterreich-Wien, Erwin Hameseder. Als Vertreter der größten Aktionärsgruppe sitzt Hameseder im Aufsichtsrat des Baukonzerns in der ersten Reihe, als Stellvertreter von dessen Vorsitzenden, Alfred Gusenbauer.

Die Raiffeisengruppe hat über die RBI weitere massive Wirtschaftsinteressen in Osteuropa – aber bleiben wir vorerst bei der Strabag! Auf unserem Gruppenbild aus ihrem Aufsichtsrat ist jetzt schon der dritte Oligarch aufgetaucht! Und zufälligerweise steht auch ein ehemaliger Bundeskanzler und SPÖ-Obmann daneben. Ob der auch ein Oligarch ist, wissen wir nicht.

Und wie passt nun das oligarchenkritische Anderl aus Tirol ins Bild? Das geht sozusagen nur über eine Ecke (aber nur über eine, nicht über drei).

Diese Ecke schaut in meiner unmaßgeblichen, verschwörungstheoretischen Sicht der Dinge so aus: In Österreich kann nur jemand Landwirtschaftsminister werden, der die aktive Unterstützung von Raiffeisen hat. Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr während gleichzeitig ein Nicht-Gewerkschafter österreichischer Sozialminister wird, ehe jemand das Landwirtschaftsministerium kriegt, den Raiffeisen nicht mag.

Deshalb bin ich mir ganz sicher, dass Rupprechter “seinem” Oligarchen die Honneurs erwiesen hat, ehe er sich (angeblich) von Spindelegger per SMS anheuern ließ. :lol:

Der Hinweis, dass sie ja einem ganz andereren Häuptling dienten, einem Reform-Oligarcherl, würde der Sache der NEOS letzten Endes nicht wirklich weiterhelfen. Die wenigsten Oligarchen sind das aus Idealismus. Unter dem Wenigen, was über diese Spezies öffentlich bekannt ist, befindet sich die Erkenntnis, dass sie sich nicht gerne in die Suppe spucken lassen. Schon gar nicht von ihren eigenen Kreaturen, auch nicht von welchen, die von sich behaupten:

“Jeder, der Matthias Strolz oder auch mich kennt, der weiß, dass wir sehr wohl in der Lage sind mit unserem eigenen Kopf zu denken.” (Mlinar, ORF-Pressestunde, 4.5.2013)

Haselsteiner wird der Mlinar weder öffentlich noch nichtöffentlich widersprechen (wenn er nicht gerade explodiert ist und er daher die Kontrolle über sich verloren hat). Er denkt sich nur still sein’ Teil. Wahrscheinlich etwas, was sein kanadisch-österreichischer Kollege Stronach auf seine unnachahmliche Weise einmal so formuliert hat: “Wer das Gold hat, macht die Regeln.”

Foto: Manfred Werner – Tsui, Wikimedia Commons

Unabhängiger Journalist

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