Nemzow: “1000e demonstrieren” – Ein Erfolg paradoxer Machtpolitik

An den heute Nachmittag in Russland abgehaltenen Trauermärschen haben viel weniger Leute teilgenommen als für die ursprünglich geplanten Protestmärsche erwartet worden waren. Das dürfte nicht so sehr an Angstgefühlen liegen. Die überwältigende Mehrheit der Russen macht ihre Regierung nicht für die Bluttat verantwortlich – was für inländische Regierungskritiker und westliche Presse eine ausgemachte Sache ist.

Für den Moskauer Marsch nehmen die westlichen Zeitungen unisono von “Zehntausenden Teilnehmern” – eine vage Formulierung, die eigentlich misstrauisch machen sollte.

Die wirkliche Teilnehmerzahl dürfte zwischen den von der Polizei nach der Veranstaltung genannten 21.000 Teilnehmern und den vom Wall Street Journal geschätzten 30.000 gelegen sein. Die Veranstaltung, zu der ein Pendant in St.Petersburg abgehalten wurde (6.000 Teilnehmer), blieb weitgehend apolitisch. In diversen russischen Provinzstädten versammelten sich jeweils einige Hundert Demonstranten.

Vor dem gewaltsamen Tod Nemzows war in Moskau eine Demonstration von 50.000 Menschen angemeldet worden. Der Großraum Moskau beherbergt etwa 12 Millionen Menschen.

Aus der vergleichsweise geringen Teilnehmerzahl lässt sich ableiten, dass die von den Organisatoren favorisierte Erzählung, dies sei ein Mord im Auftrag der Regierung gewesen, nicht verfängt. Den Bürgern scheint die Version, dass der Kreml einen Kritiker vor der eigenen Haustür habe umbringen lassen, nicht glaubwürdig. Paradoxerweise ist genau das der Grund, warum Täter aus dem russischen Sicherheitsapparat nicht auszuschließen sind.

Edit, 1.3.2015, 22 Uhr: Teilnehmerschätzungen von 10.000 bis 20.000 auf 20.000 bis 30.000 erhöht. Die Teilnehmerzahlen wurden im Lauf der Kundgebung generell nach oben revidiert. Ein Veranstalter sprach sogar von mehr 50.000 Demonstranten.

Unabhängiger Journalist

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