Die Indizienlage um den Rücktritt der Regierung Berlusconi im Jahr 2011 ist mittlerweile ziemlich dicht. Vor ein paar Tagen hat auch der frühere US-amerikanische Finanzminister ausgesprochen, was unvoreingenommene Beobachter schon länger vermuten: dass dieser Schritt von anderen europäischen Regierungen erzwungen worden ist. Der Mainstream glaubt, dieses Faktum zum Verschwinden bringen zu können indem er es ignoriert.
In einem noch nicht erschienenen Buch erzählt der frühere US-amerikanische Finanzminister Tim Geithner, ungenannte europäische Regierungen hätten die Amerikaner im Herbst 2011 ersucht, ihren Einfluss im IWF geltend zu machen, damit Italien keine Kredite mehr gewähret würden. Geithner beteuerte, die Amerikaner hätten nicht mitgemacht und das kann man ihm glauben oder nicht. Man habe nicht mittun wollen, weil man “kein Blut an den Händen” hätte haben wollen, schreibt Geithner
Unabhängig von diesem Jux ist das bereits die zweite Aussage dieser Art: 2013 gab der etwa frühere EZB-Manager Lorenzo Bini Smaghi an, Berlusconi habe knapp vor seinem Sturz erwogen, mit Italien aus dem Euro auszusteigen, weshalb er vertrauliche Gespräche mit anderen Euro-Regierungen geführt habe.
Das beweist im strengen Sinn nichts, die Suppe ist aber doch ziemlich dick. Spricht man das Thema hierzulande an, wo es – verständlicherweise – keine echten Berlusconi-Fans gibt, stößt man auf zwei Reaktionen. Die erste besteht in einer verbissenen Weigerung, die Wirklichkeit zu akzeptieren. Für diese Leute ist nicht passiert, was nicht stattgefunden haben darf. Wer ernsthaft in Betracht zieht, dass sich EU-Regierungen verabredet haben könnten um die Regierung eines anderen EU-Landes zu stürzen, ist für solche Menschen gestört oder bestenfalls betrunken.
Die anderen antworten, dass Berlusconi damit recht geschehen sei. Üblicherweise begründen sie diese Haltung damit, dass dieser korrupt gewesen sei, daß er aktiv bestochen und Mafia-Kontakte unterhalten habe oder dass er ein Demagoge gewesen sei, der seine Regierungstätigkeit dazu verwendet habe, um sich gegen juristische Verfolgung zu schützen. Als zeitungslesender Betrachter aus der Ferne muss man sagen: keiner der Vorwürfe wirkt, als wäre er an den Haaren herbeigezogen.
Dennoch kann ich darauf nur antworten: “Nicht nur, dass die Italiener diesen Politiker besser beurteilen können als die meisten im Ausland – sie haben auch das exklusive Recht, sich ihre politischen Führer selbst zu wählen. Und sie haben die Forza Italia in Wahlen so stark gemacht, dass Berlusconi eine Regierung bilden konnte. Wer sind Merkel, Sarkozi und die anderen, dass sie es sich anmaßen dürfen, sich über die Italiener hinwegzusetzen ?”
Der gespenstischste Aspekt ist aber das Schweigekartell, das sich in Kontinentaleuropa darum gebildet hat.
Über die Bini-Smaghi-Einlassung haben in Deutschland die FAZ (7.9.2013) und das Handelsblatt (7.10.2013) berichtet, in Österreich aber kein einziges Printmedium. Geithners Aussage wiederum wurde – außer in Italien – bisher nur von einer einzigen, einer Schweizer Zeitung aufgegriffen und auch das nur am Rand (Tagesanzeiger, 17.5.2014).
Die Zeitungen wollen mit dieser Politik den Eindruck erwecken, dass das Thema politische (Nicht)Einmischung nicht der Rede wert sei. Nach den widersprüchlichen Erfahrungen der Jahre 2000 (EU-Sanktionen gegen Wien wegen FP-Regierungsbeteiligung) und 2014 (aktive Unterstützung für eine osteuropäische Regierung mit rechtsradikaler Beteiligung) glaube ich das aber keine Sekunde. Ich behaupte: das Thema ist für eine Menge Leute interessant, auch außerhalb Italiens. Auch, aber nicht nur für Österreicher.
Speziell die Qualitätszeitungen führen mit diesem Verhalten die eigenen Werbeslogans ad absurdum. Jeder, der um die Existenz eines solchen Schweigekartells weiß, fragt sich unwillkürlich, ob er “seine” Zeitung noch für vertauenswürdig halten kann – ohne dass das irgendetwas mit seiner Einschätzung des italienischen Politikers zu tun hätte.
Dem Himmel sei Dank, dass es das Internet gibt !
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