Der inszenierte Konflikt zwischen der EU und der Türkei, der das sich seit Wochen abzeichnende Wahldebakel der Haager Regierungskoalition begrenzen sollte, läuft aus dem Ruder.Während die außenpolitische Krise der größten niederländischen Partei tatsächlich geholfen hat, an den Urnen die Nummer Eins zu bleiben, gibt es kein Anzeichen für die ursprünglich geplante rasche Beilegung des Konflikts. Ankara nimmt Kurs auf die Wiedererrichtung des Kalifats und einen Religionskrieg gegen den Alten Kontinent.
Das einzige “innenpolitische” Ziel, das die EU mit ihrer Strategie der außenpolitischen Spannung voll erreicht hat, war die Einbremsung des Rechtspopulisten Geert Wilders.
Dessen PVV legte zwar zu, aber in erstaunlich geringem Umfang – die Zuwächse blieben teils deutlich hinter jenen anderer Parteien zurück (Grünlinke, aber auch Christdemokraten und D66).
Nur zur Hälfte profitierte die VVD, die ohne den Konflikt mit den Türken wohl 4o – und nicht nur 20 – Prozent ihrer Stimmen verloren hätte. Wegen des Zusammenbruchs seines sozialdemokratischen Koalitionspartners und des relativ schwachen Abschneidens Wilders konnte Mark Ruttes VVD den Wahlgang immerhin als unangefochten größte Wahlgruppierung beenden.
Ein Pyrrhussieg, ist Rutte bei seinem Kunststückchen doch sein bisheriger Regierungspartner, die PvdA abhanden gekommen. Deren Wähler verteilten sich auf linksbürgerliche D66 und die dezidiert linken Grünen.
Das erzeugte für Rutte und seine Brüsseler Paten zunächst eine schwierige, aber durchaus zu bewältigende Situation. Mithilfe von CDA, D66 und Sozialdemokraten konnte Rutte auf eine arbeitsfähige Koalitionsregierung hoffen ohne Wilders oder die sozialistische Linke (GL, SP) bemühen zu müssen.
Obwohl das Kalkül der Europäisten nur halb aufgegangen ist, lag eine Sanierung der politischen Situation in ihrem Sinn durchaus im Bereich des Möglichen.
Trotzdem scheint heute, am Tag nach der Niederland-Wahl, etwas Fundamentales schief zu laufen – und das kommt von der türkischen Seite.
Die Türkei scheint sich nicht an das vereinbarte Drehbuch zu halten und gewillt zu sein, die Situation weiter zu eskalieren.
Erdogan und das türkische Neo-Kalifat
Das ist nicht im Sinn von Rutte & z.B. Merkel, die vor einem Jahr einen teils geheimen Flüchtlingsdeal mit Ankara abgeschlossen haben.
Dieses “Geschäft” beinhaltet die Ansiedlung Hunderttausender “syrischer Flüchtlinge” hinter dem Rücken der deutschen und niederländischen Bevölkerung – siehe aktuell dazu hier und in meinem Blog, hier (“Stunde der Hochverräter”).
Die aktuellen europäischen Eliten wollen, glaube ich, keinen Krieg gegen ihren Geschäftspartner.
Zumindest bei der Visaliberalisierung für die Türken hat die EU freilich “nicht geliefert” (die drei Milliarden Euronen hat sie gezahlt) – und Erdogan scheint das zu nutzen um den Europäern zu zeigen, wo Bartel den Most holt.
Das ist auch eine großtürkische Sammlungspolitik, geht aber weit darüber hinaus.
Erdogan ist ein Moslembruder, aber einer,
- dem die Wiedererrichtung eines islamischen Staats in der Türkei ein nationales Herzensanliegen ist und einer,
- der die Wiedererrichtung eines sunnitischen Kalifats nicht seinen als unfähig empfundenen arabischen und asiatischen Glaubensbrüdern überlassen will.
Erdogan will dort anknüpfen, wo Mehmed IV - oder besser: erfolgreichere Sultane vor diesem bereits gestanden sind.
Er will die Abschaffung des Kalifats durch Atatürk rückgäng machen, jener Institution, die nach muslimisch-sunnitischer Mehrheitsmeinung als einzige zum militärischen Dschihad aufrufen darf.
Die türkischen Sultane waren über Jahrhunderte auch die Kalifen der (real sunnitischen) Umma. Um Kalif werden zu können muss Erdogan eigentlich den gesamten Mustafa Kemal Atatürk rückgängig machen, auch und vor allem dessen laizistischen Staat – und das Kalifat wiedererrichten und damit den Primat unter den Dschihadis errimgen.
Was käme dabei gelegener als ein Krieg gegen den historischen Erzfeind in Europa? Das ist der Sinn der aus Ankara vernehmbaren Töne.
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