“Undulating Plateau”: Int. Erdölangebot, ein Faktencheck

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Bohrplattform in Cantarell, 2007

Regierungen, Journos und Industrie wollen glauben machen, die Welt schwimme in Erdöl, dem größten Primärenergieträger der Gegenwart. Das ist Unsinn. Ein nüchterner Blick auf die Fakten zeigt z.B., dass die klassische Produktion zuletzt a.) nicht gewachsen ist und dass b) neues Schieferöl kein vollwertiger Ersatz für das bisherige “schwarze Gold” ist.

Der Mainstream inklusive sogenannter Wirtschaftsagenturen scheint auch hier unfähig oder unwillens, Nachrichten in einen angemessenen Kontext zu versetzen.

Er sieht es als seine Aufgabe an, Aussendungen binnen Sekunden unverstanden, unverdaut und ungeprüft weiterzuleiten – als gebe es keine journalistische Sorgfaltspflicht oder als bestünde seine Hauptkundschaft aus Spekulanten, die nur an der Preisbewegung der ersten Nach-News-Minute interessiert sind.

Als jüngstes Beispiel kann der dritte Quartalsbericht der Internationalen Energieagentur (IEA) dienen, der dem flüchtigen Leser suggerierte, die internationale Förderung von crude habe soeben zum ersten Mal die 100 Millionen Barrel pro Tag überstiegen (was ganz schnelle Schlussfolgerer umgehend befürchten ließ, sie könnten in Öl ersaufen).

Tatsächlich bezog sich die Meldung aber auf All Liquids, zu denen am Acker wachsende bio fuels und in Raffinerien entstehende Prozessgewinne zählen

(Bloomberg selbst hat das sozusagen im Kleingedruckten auch vermeldet – und muss sich daher auch keine Falschmeldung vorhalten lassen; der Kreis derjenigen, die das wissen, dürfte freilich überschaubar sein.)

Wirrwarr auch bei C&C

Doch gefakte Produktionsrekorde finden nicht nur bei den ölähnlichen Flüssigkeiten statt.

Sie erstrecken sich auch auf “härtere Währungen” wie das weithin beliebte C&C (“Crude & Condensates”).

Das beinhaltet zwar keinen Biodiesel – aber Kondensate aus der Nicht-Öl-Produktion.

Doch auch das ist keine Kategorie, die sozusagen unverfälscht und in 100prozentiger Reinheit vorkommt – die einen berichten so, die anderen geringfügig anders.

Die einen beziehen alle Kondensate mit ein und die anderen nur welche, die in Verarbeitungsanlagen abgeschieden werden – mit anderen Worten:

Das naive Einandergegenüberstellen ist praktisch unmöglich und die einzigen, die tragfähige Vergleiche anstellen können, sind Insider aus der Industrie, die

  • über entsprechendes Know-how und Begrifflichkeit verfügen und die,
  • zweitens, Zugang zu Brancheninformationen haben, die jährlich Tausende Dollar kosten.

Deshalb muss ein nicht in eine Firma eingebetteter Laie schon mit der Lupe suchen um aussagekräftige Zahlen zu finden – wie etwa in der World Oil Review 2018 der italienischen ENI.

Dort werden auf den Seiten 8 und 12

  • die Weltproduktion (konventionell, unkonventionell & “NGL”) von 2005 und 2017 sowie
  • die Natural Gas Liquids separat verglichen (die auch in den Outputzahlen enthalten sind).

Aus den Tabellen geht zunächst hervor, dass die Produktion zwischen 2005 und 2017 von 82,2 auf 92,7 Millionen Barrel pro Tag, mithin um 10,5 Millionen Fass gestiegen ist;

zweitens, dass die weltweite NGL-Produktion von 8,5 auf 13,4 Millionen, also um 4,9 Millionen Fass zugelegt hat;

und drittens, dass die nordamerikanische Produktion von 10,1 auf 18 Millionen Barrel hochgeschnellt ist – was praktisch ausschließlich auf die sogenannte Shale (Oil) Revolution zurückzuführen ist.

Damit ist klar, dass das auf den ersten Blick so beeindruckende Produktionswachstum von gut 10 Mio. Barrel knapp zur Hälfte ein Abfallprodukt der Gaserzeugung ist und zur anderen Hälfte auf den Schieferölboom zurückgeführt werden muss.

In beiden Fällen geht es um Stoffe, die in der Raffinerie problemlos zur Erzeugung von Benzin verwendet werden können – nur bedingt aber zur Herstellung von Mittel-Destillaten taugen (z.B. Diesel).

Sowohl Brennwert als auch Oktanzahl der zwei Flüssigkeiten sind geringer als das bisher übliche Light Sweet Crude.

Davon abgesehen gibt es “harte geologische Grenzen”, die der Entwicklung von Schieferöl außerhalb der USA und Russlands einen Riegel vorschieben (siehe beispielsweise dieses World Shale Resource Assessment der EIA).

Jedenfalls stammt der Zuwachs nicht aus “normaler Förderung”, was die schon vor vier Jahren angestellte Analyse von Energy Matters untermauert, und auch den Verdacht von resilience.org: “Did crude oil production actually peak in 2005?”

Das bedeutet, dass sich die Ölproduktion seit zwölf Jahren eigentlich auf einem

Hügeligen Plateau

befindet, wie das von den “originalen”, heute als diskreditiert empfundenen Peak Oil-Theoretikern prophezeit wurde (das starke Wachstum von NGLs und die Schieferölrevolution haben diese freilich nicht vorhergesagt).

Vertraut man den Verlautbarungen z.B. von IEA und OPEC war die “normale Produktion” des vergangenen Jahrzehnts durch wildes Durcheinander gekennzeichnet.

Der Irak beispielsweise konnte nach dem Krieg, ab 2004 seine Produktion um enorme drei Millionen bpd erhöhen – andere wie Mexiko oder Venezuela verloren in großem Stil.

Von einigen wenigen großen Ausnahmen abgesehen, scheinen die Rückgänge häufiger zu sein.  Matt Mushalik hat beispielsweise hier und hier über die Fördermaxima in China und dem pazifischen Asien berichtet.

Besonders schlimm erwischte es im vergangenen Jahrzehnt Mexiko und da wiederum das einst zweitgrößte Erdölfeld der Welt, Cantarell.

Dieser in der Bucht von Campeche liegende frühere supergiant produzierte 2017 nur mehr 134.000 Barrel pro Tag  – 2004 waren es noch 2,1 Millionen gewesen.

Das ist ein Minus von 94 Prozent.

Cantarell wurde zu seinen besten Zeiten nur vom saudischen Ghawar übertroffen.

Das sind spektakuläre decline rates, die auf schlechtes Management und/oder massive Unterinvestition hindeuten.

Die Erschöpfungs-Normalität reifer konventioneller Ölfelder liegt zwischen 6 und 10 Prozent jährlich - abhängig davon, wie viel Geld und Technologie ein Betreiber in die Hand nehmen möchte.

Das Endergebnis steht freilich fest – so wie der Mensch sind auch Ölfelder sterblich.

***

Das gilt auch und ganz besonders für den neuesten Hoffnungsträger der Ölfreunde – Schieferöl.

Shale-Quellen sind im ersten Jahr durch besonders hohe Decline-Raten gekennzeichnet: etwa 60 Prozent (danach schwächen sich die Rückgänge ab).

Die Folge davon ist, dass die EIA gegenwärtig mit einem Peak des US-amerikanischen shale oil in den Jahren 2022 bis 2025 rechnet – also ziemlich bald

(diese Schätzung beinhaltet übrigens noch nicht die angeblich neuen Reserven im Permian, der Peak könnte sich ggf. um ein paar Jahre nach hinten verschieben).

Schon jetzt, behauptet beispielsweise dieser Blogger, dass besagte US-Industrie ohne Aussicht auf Besserung quasi chronisch Geld verbrenne und wohl nur in einer Nullzinslandschaft am Leben erhalten werden könne.

Bild: Anubis-mxm  CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons.

Unabhängiger Journalist

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