Die EU und die Nato haben beim aktuellen Gipfel in Warschau einen Kooperationsvertrag geschlossen, den die österreichische Bundesregierung stillschweigend übernimmt. Die Politkriminellen vom Ballhausplatz haben, scheint’s, vergessen, dass sie einen Staat managen, dessen Verfassung erst geändert werden müsste, bevor ein solches Abkommen wirksam werden könnte. Nachtrags-Video zu den in der Nato versammelten Kindern der Welt.
Hier findet sich der Überblick über die angestrebte “weitreichende Partnerschaft” und hier kann man nachlesen, wie in einem lachsrosa Blatt die Sache kommentiert wird (“EU sucht Schutz im Bündnis”). In derselben Zeitung wird auch der nach Warschau entsandte österreichische Verteidigungsminister zitiert, der offensichtlich nicht mit den Vorgängen einverstanden ist und der sichtlich verzweifelt nach Ausreden sucht:
In Österreich “sehen wir diese konventionellen Bedrohungsszenarien nicht”, fuhr er (Doskozil) fort, sondern “eher im Cyberbereich, oder durch Terrorismus”.. In Österreich “sehen wir diese konventionellen Bedrohungsszenarien nicht”, fuhr er fort, sondern “eher im Cyberbereich, oder durch Terrorismus”. – derstandard.at/2000040756873/Doskozil-beim-Gipfeltreffen-Die-Nato-ist-nicht-wegzudiskutieren
Dabei ist kaum zu übersehen, dass dieses sogenannte Verteidigungsbündnis dabei ist, seinen geostrategischen Konflikt mit den Russen in einen heißen Krieg zu verwandeln.
Das geschah und geschieht über eine Reihe einzelner Schritte, zuletzt durch die Inbetriebnahme eines an den Grenzen Russlands aufgebauten Raketenabwehrsystems, was Moskau als massive Provokation empfindet.
Der Rote Faden ist die seit 1989 verfolgte Nato-Ostexpansion bis an die russische Grenze. Zu den letzten Etappen des militärpolitischen Vormarschs gehört u.a. die Ukraine, die seit 2014 aus einem wohlwollend-neutralen “Puffer-” in einen vorgeschobenen Frontstaat gegen die Russische Föderation verwandelt wird.
Ähnliches findet gerade in Finnland statt, das im Begriff ist, seine Neutralität aufzugeben und sich der Nato anzuschließen (im Gegensatz zur Ukraine, die bis 1991 zur Sowjetunion gehört hatte, war Finnland 70 Jahre auch offiziell neutral). Analoges gilt für Georgien.
Um in diesen Entwicklungen eine Einkreisung zu erkennen, muss man kein “Verschwörungstheoretiker” sein – Augen zu haben und lesen zu können reicht schon.
Jeder, der dazu imstande ist, kann sehen, wer hier wem auf den Pelz rückt (dessenungeachtet beteuern hiesige Politicos & Möpse, dass die Russen wild drauf wären, die baltischen Republiken mit ihren fünf Millionen Einwohnern und ihren nicht vorhandenen Rohstoffen zu schlucken).
In diesem riesenhaften Vorkriegsgeschehen ist das Verhalten Wiens nicht mehr als ein winziges Detail – freilich eines, an dem ich, ein in den 1960er-Jahren geborener österreichischer Staatsbürger, Anstoß nehme.
Die Zerstörung der Neutralität der Republik Österreich über Dutzende Schritte, die jeweils unterhalb der der Wahrnehmungsschwelle liegen (liegen sollten), ist ein Vorgang, der in meinem Staatsstreich in Zeitlupe hier thematisiert wird (“Neutralität im Termitenhaufen”).
Zwar handelt es sich um die im Prinzip gleiche Vorgehensweise, mit der das Land in den vergangenen zwei Jahrzehnten in einen Bestandteil eines EU-Staats verwandelt worden ist;
es scheint aber einen wesentlichen Unterschied zu geben: Unsere selbst ernannte medial-politische Elite war sich bei der Abschaffung der militärischen Neutralität bis jetzt nicht so einig wie in Sachen staatliche Selbstaufgabe.
Bisher.
Bis dato sind die Sozialdemokraten mehrheitlich und die Grünen geschlossen gegen einen Beitritt zur Nato eingetreten (obwohl wenigstens die ersteren zahlreiche Schritte in Richtung Nato-Mitgliedschaft unterstützt haben).
Es gab auf der Reise nach Natostan ziemliche Rücksetzer, unter anderem:
- die völkerrechtswidrige Intervention gegen Rest-Jugoslawien, die die SPÖ dazu veranlasste, ein bereits eingeleitetes politisches Wendemanöver abzubrechen und sich frontal gegen die ÖVP-Pläne zur Integration in das Bündnis zu wenden (1998/99).
- In den Folgejahren regierte ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel mit einer Clique freiheitlicher Nato-Groupies – aber ohne die für die Abschaffung der Neutralität notwendige Zweidrittelmehrheit zu verfügen. Rote und Grüne befanden sich damals in Opposition und waren nicht willens, Schüssel entgegenzukommen. (Teile der SPÖ befürworteten dies zwar, wurden in der Partei von außenpolitischen Traditionalisten aber “neutralisiert” – Heinz Fischer).
- Die Grünen, die in Sachen EU-Staat eine 180-Grad-Wendung hingelegt haben, sind bei der Integration in die Nato derlei schuldig geblieben – bis zum heutigen Tag. Wenigstens offiziell. Das Thema ist für das grüne Selbstverständnis offenbar zu zentral als dass sich Glawischnig & Co. hier wirklich bewegen könnten. Ein offenes Einlenken in der Nato-Frage wäre für die Grünen, als würde man der CO2-Religion abschwören. (In letzter Konsequenz hängt an dieser Frage freilich deren Akzeptanz als vollwertiges Mitglied des hiesigen Politkartells – siehe zur “Kooptierung” der Ökos u.a.hier.)
Kurz: SPÖ und Grüne haben in Sachen Neutralität bis jetzt auf ein coming out verzichtet.
Das und ein weiterer neutralitätspolitischer Schwenk (zurück) durch Teile der Volkspartei sind das Motiv, warum die Wiener Regierung die immerwährende Neutralität heute lieber “übersieht” als zu versuchen, diese ordnungsgemäß zu beseitigen.
Kanzler Kern und seine Spießgesellen glauben, durch “Vergessen” endgültig vollendete Tatsachen schaffen und die Neutralität still liquidieren zu können.
Rein theoretisch würden Sozialdemokraten, Volkspartei und Grüne im Parlament ja über die notwendige Zweidrittelmehrheit verfügen. Es stellt sich nur die Frage, ob sie die in dieser Angelegenheit auch praktisch hätten.
Nachbemerkung, 12.7., 12.15 Uhr. Trockener Kommentar eines Lesers: “Da wäre Euer Doskozil wohl gern dabeigewesen.”
Bild: U.S. Department of State from US [Public domain], Wikimedia Commons
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