Es gibt Leute in den Weiten des Internet, die glauben, dass sich aus dem Verfahren vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof zur Bundespräsidentenwahl Dinge entwickeln könnten, die die Welt – oder wenigstens Europa – erschüttern. Diese Menschen sollten sich einmal in die öffentlich zugänglichen Verhandlungen setzen, die gerade dazu durchgeführt werden. Vielleicht hätten sie diese Erwartungen dann nicht mehr. Wären sie Wiener, würden sie die Veranstaltung als reinen Schmäh bezeichnen.
Vorbemerkung: Vor langer Zeit gab es in der größten Zeitung des Landes eine Rubrik, die sich Heiteres Bezirksgericht nannte. In ihr wurden (erfundene) Fälle vor einem ostösterreichischen Bezirksgericht geschildert. Das Ganze war ziemlich satirisch, aber dennoch so, dass man versucht war zu glauben, dass sich Ähnliches zugetragen haben könnte.
Inhaltlich ging es z.B. um Körperverletzungen am Dackel des Nachbarn oder Tätlichkeiten gegen den nackt-im-Kleiderschrank-ertappten Liebhaber der Ehefrau.
Die besseren Geschichten waren mit Lokalkolorit, Volksmund und originellen Dialektausdrücken ausgestattet und ich muss zu meiner Schande gestehen, dass das Bezirksgericht aus der Zeitung wesentlich zum Berufsbild des Juristen beitrug, das sich in diesen Jahren des Heranwachsens in mir gebildet hat.
Die Einvernahme, die der Verfassungsgerichtshof am Dienstag Vormittag durchgeführt hat, hat mich daran erinnert. Nur führte nicht ein Herr Rat <ro:t> den Vorsitz, sondern da waren 14 Verfassungsrichter in Talaren mit Hermelinkrägen.
Unterhaltsam war es trotzdem.
Es ging bei drei Zeugenaussagen um die Unregelmäßigkeiten im Wahlbezirk Wien-Umgebung und im Kreuzverhör der Damen und Herren Höchstrichter kristallisierte sich folgender Sachverhalt heraus:
In diesem Wahlbezirk waren 11.000 Wahlkarten gesetzeswidrig noch am Abend des Wahltages geöffnet und die in ihnen befindlichen Kuverts waren ihnen entnommen worden.
Das hatten Beamte gemacht, um auf diese Weise die Briefwahlstimmen für die Auszählung am nächsten Tag vorzubereiten – ohne die Beisitzer der Parteien heranzuziehen.
Das war nach der (angeblichen) Aussage des (nicht anwesenden) Bezirkshauptmanns und ordentlichen Wahlleiters gesetzlich gedeckt und diese Rechtsmeinung wurde auch brav nach unten weitergegeben: Vom Stellvertretenden Bezirkswahlleiter über den Magistratsbeamten bis hinunter zur Beisitzerin.
Das Motiv für diese voreilige Handlung war, dass das Innenministerium angeblich Druck gemacht hat, weil es bis spätestens 17 Uhr das Endergebnis haben wollte – sowie das blöde Gefühl, dass wir als großer Bezirk schon bei den vergangenen Wahlen immer als Letzte die Ergebnisse gemeldet haben.
Das sollte, hat der abwesende Bezirkshauptmann angeblich gemeint, uns diesmal nicht noch einmal passieren – und so schritten er und drei weitere Beamte schon am Sonntagabend zur Tat und öffneten die Kuverts, in denen sich noch ein Kuvert mit dem Stimmzettel befindet – ein, wie heute jedes Kind weiß, klarer Verstoß.
Mit Sicherheit lässt sich aber nicht behaupten, dass es diesen innenministeriellen Druck gegeben hat, weil der Bezirkshauptmann nicht anwesend war und der der Verhandlung beiwohnende mutmaßliche Druckmacher von der Bundeswahlbehörde zu der Frage schwieg.
Die BH Wien-Umgebung führte über diesen ihren Verstoß freilich ein ordnungsgemäßes Protokoll, das es am nächsten Tag der Wahlbehörde vorlegte.
Aus einem anderen Protokoll, das später der vorgesetzten Wahlbehörde übermittelt wurde, ging die vorzeitige Öffnung der Wahlkarten nicht hervor, weil dieses in einem unveränderlichen Formular aufgezeichnet wurde, das keine Anmerkunngen gestattete.
Bei der Auszählung am 23. Mai wurden schließlich drei Stimmen zu wenig festgestellt und dem wurde nicht mehr groß nachgegangen, weil man zuvor ohnedies schon im Akkord gearbeitet und man ein Anrecht auf Mittagspause hatte (gelöst wurde das Problem schließlich dadurch, dass man die fehlenden Voten per Mehrheitsbeschluss für ungültig erklärte).
Der Verbleib der drei Stimmen nahm auch einen guten Teil der Aufmerksamkeit des VfGH in Anspruch.
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Das ist ungefähr, worüber gerade in Wien verhandelt wird und jeder, der glaubt, dass dabei die Rede zum Beispiel auf den nebenstehenden “angeblichen” Auszählungsstand kommen könnte, muss an einem ziemlichen Realitätsverlust leiden.
Andererseits ist es offensichtlich, dass bei zehntausenden Stimmen bestehende Gesetze gebrochen wurden und dass die Verfassungsrichter etwas dagegen tun müssen.
Irgendetwas, was nach etwas Substanziellem klingt.
Das sollte wiederum aber nicht so substanziell sein, dass der Hofer darüber Präsident wird, weil dann könnte dieser, mit einem neuen Amtsverständnis ausgestattet, zum Partyfurzer werden.
Das will das Kartell nicht und die FPÖ will es am Ende desTages auch nicht.
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