Ein halbes Jahr lang wurde in Österreich eine Phantom-Debatte über die Einführung einer 6. Urlaubswoche geführt - die es für bemooste Häupter schon seit 1983 gibt. Einziger Zweck war, den jeweiligen Fans zu zeigen, wie sehr sich ihre Partei für sie engagiert. Es ist das Wrestling-Modell, wo 120 Kilo schwere Lackel “voll aufeinander losgehen” – und wie durch ein Wunder unverletzt bleiben.
Wahrscheinlich haben viele darüber den Kopf geschüttelt und bei sich gedacht: Was da schon wieder für ein Unsinn in der Zeitung steht! Ich kenne jedenfalls nur Ältere, die sechs Wochen Urlaub haben.
Gutgläubige mussten dagegen annehmen, dass von der Verlängerung des Jahresurlaubs für alle Arbeitnehmer die Rede war (was sie befürworten mochten oder nicht). Tatsächlich ging’s aber nur um ein Detail des österreichischen Urlaubsgesetzes, das für vielleicht ein paar Zehntausend der 3,5 Millionen unselbstständig beschäftigten Österreichern Bedeutung hat.
Das Täuschungsmanöver wurde soeben mit einem (scheinbaren) Sieg der ÖVP (“Wirtschaft”) beendet und die Medien verkündeten: Die sechs Wochen Urlaub sind vom Tisch. Das ist ziemlich daneben, weil
- was die meisten Journos verstanden hatten, gar nicht diskutiert wurde, und weil
- zweitens beide beteiligten Parteien gewonnen haben, nämlich in den Augen ihrer Anhänger: Die SPÖ/Gewerkschaft hat für ihre Klientel “das soziale Profil geschärft” und die ÖVP für “die Unternehmer höhere Kosten verhindert”.
Sozialpartner-Politiker wie Vizekanzler Mitterlehner und Minister Hundstorfer wussten das – und haben die Schein-Dispute trotzdem angefacht. Manchmal haben sie sogar die Versionen der Lügenmedien übernommen, die in diesem Fall eher Ich-habe-keinen-Tau-Medien waren.
Deren Versagen war der Nährboden der ganzen Show. Ihre hartnäckigen Falschmeldungen und fragwürdigen Kontextualisierungen haben Phantasiewelten entstehen lassen, auf denen die Politicos ihre Süppchen kochten (es mussten).
In concreto war es die Lüge, dass man heute nur mit 25 Jahren Zugehörigkeit zu einem einzigen Betrieb Anspruch auf eine sechste Ferienwoche habe. Manche – nicht nur “der Boulevard” – legten sogar nahe, dass es um die Einführung weiterer fünf freier Tage für alle, also auch die Jüngeren, gehe. Ein paar Beispiele für solche Darstellungen finden sich hier, hier, hier und hier – eigentlich überall.
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Zunächst einmal ist eine sechste Urlaubswoche für Arbeitnehmer mit mehr als 25 Dienstjahren gesetzlich verpflichtend., und zwar schon seit 32 Jahren. Siehe hier.
Offen bleibt im Gesetz von ’83, was Dienstzeit ist und welche Vordienstzeiten angerechnet werden dürfen/müssen.
Bei ein paar zehntausend Österreichern, die schon länger als 25 Jahre arbeiten, lässt ihr Bildungs-/Berufsweg nicht zu, ausreichend (Vor)Dienstjahre geltend zu machen (bzw. sie können diese nicht gegenüber dem Arbeitgeber durchsetzen). Wie viele das sind, ist statistisch nicht erfasst - klar ist nur, dass 350.000 Arbeitnehmer – zehn Prozent – schon länger als 25 Jahre im gleichen Betrieb werken und daher schon heute einen unbestreitbaren Anspruch auf mehr Urlaub haben.
Die älteren Arbeitnehmer ohne sechste Woche können nicht besonders zahlreich sein, denn
- die geltende Regelung nach UrlG § 3 sieht schon heute Anrechnungszeiten für Ausbildung, frühere Beschäftigungsverhältnisse und Selbstständigkeit im Ausmaß von bis zu 12 Jahren vor; und weil, zweitens,
- die österreichischen Arbeitnehmer ihrem Betrieb sehr treu sind und im Schnitt 9,5 Jahre bei einem Arbeitgeber verbringen.
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Gerade die Älteren tendieren dazu, zu antiken Möbelstücken zu werden. Je älter die Unselbstständigen sind, desto defensiver verhalten sie sich am Arbeitsmarkt und desto geringer ist ihre Neigung den Job zu wechseln. Jobhopper im vorgerückten Alter gibt es nur wenige – und wenn, handelt es sich um gefragte Manager, die i.d.R. sowieso individuelle Verträge mit einem höheren Urlaubsanspruch haben.
Es ist aber korrekt, dass das Urlaubsgesetz heute die Anrechnung von Vordienstzeiten bei einem anderen Arbeitgeber mit fünf Jahren deckelt <§ 3(3)> und dass der Gesetzgeber diese Deckelung abschaffen könnte. Das ist wohl der Sinn der folgenden, im Regierungsprogramm 2013 enthaltenen Passage:
Die Kollektivverträge sind dem staatlichen Arbeitsrecht nachgeordnet und können höchstens darüber Auskunft geben, ob bzw. welche anders gearteten früheren Beschäftingungsverhältnisse zählen. Bei Tätigkeiten, die dem gleichen KV gehorchen, stellt sich diese Frage jedenfalls nicht.
Aber selbst wenn die Deckelung der Anrechenbarkeit einmal fallen sollte, liegen die realen Knackpunkte auf dem Weg zur sechsten Urlaubswoche woanders. Nämlich in folgenden Fragen:
- Bin ich bereit, bei einem neuen Arbeitsverhältnis darauf zu bestehen, dass alle meine früheren Verhältnisse im Dienstzettel aufscheinen (auch wenn ich die Stelle dringend brauche und ich dabei riskiere, dass jemand anderer vorgezogen wird)?
- Bei einer alten Anstellung: Bin ich bereit, den beschäftigenden Betrieb vor das Arbeitsgericht zu ziehen und auf diese Weise meinen Job zu riskieren?
- Wenn ja: Unterstützt mich die Arbeiterkammer dabei?
Der Knackpunkt ist also die Durchsetzbarkeit. Die sechste Urlaubswoche entscheidet sich letztlich auf der Ebene des Unternehmens, zwischen dem konkreten Arbeitgeber und den Arbeitnehmern (Betriebsräten). Eine gesetzliche Änderung kann letztlich “nur” Argumentationsbasis und Rechtsposition des Arbeitnehmers verbessern. Das Risiko, in einer juristischen Konfrontation siegreich zu bleiben, aber den Arbeitsplatz zu verlieren, kann kein Gesetz abnehmen.
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Die schwierige Gretchenfrage: Recht oder Job behalten müssen sich schon heute, mit der Deckelung, manche ältere Arbeitnehmer stellen; denn nicht jeder Patron ist gewillt (oder in der Lage) großzügig zu sein oder besser: auf Ausflüchte zu verzichten.
Es ist jedenfalls eine äußerst diffizile Angelegenheit, bei der der Gesetzgeber seinen Willen zeigen, aber letztlich nicht wirklich eingreifen kann.
Die Medien haben die Sache gründlich mißverstanden und zu einer Konjunkturfrage oder sogar Richtungsentscheidung hochstilisiert. Selbst Innenpolitiker(innen) mit jahrzehntelanger Erfahrung sind auf die gefakte Debatte hereingefallen, siehe hier.
Den Politicos sind solche “Attacken” nicht nur egal, sie lieben sie sogar. Für sie ist diese Kritik Goldes wert. Für das irreführende Testimonial, er wolle mit mehr Urlaubsanspruch die Wirtschaftskrise bekämpfen, lässt sich ein Andreas Schieder liebend gerne ins Retro-Winkerl stellen.
Und die einzigen, die das kapieren, sind Schieders vorgebliche Gegner und tatsächliche Teamkollegen in Wirtschaftskammer und Wirtschaftsministerium. Sie kapieren’s weil sie das gleiche, nein: dasselbe Spiel spielen.
Foto: DrRonThomasJr, Wikimedia Commons
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