Wie man Galileo zum “Zeugen” von Impf-Fans & CO2-Warmisten macht

cover_resizedEin US-israelischer Astrophysiker hat ein Buch über Galileo Galilei und dessen Zwist mit der Katholischen Kirche veröffentlicht. Die Motive des Autors mögen lauter gewesen sein – herausgekommen ist aber ein ungenießbarer Mischmasch aus Papst Urban VIII (17. Jahrhundert), heutigen “Klimaskeptikern” und US-amerikanischen Kreationisten – ob das nun an Livio selbst, an seinem Verlag oder seinen US-Rezensenten liegt. NB zum Verhältnis v. Urban VIII und Galileo.

Die Washington Post findet Mario Livios Kenntnis des kulturellen und historischen Kontexts trotzdem “beeindruckend” – was unter Umständen damit zusammen hängt, dass der Rezensent der WaPo ebenfalls ein Physiker, ergo historisch genügsam (und guter Bekannter von Livio?) ist.

Dieser ihr Blogger findet die Darstellung des Autors dagegen etwas weniger beeindruckend.

Zwar gebricht es mir an akademischen Sporen

- aber ich bin ausgebildeter Historiker und beschäftige mich nun doch schon ein paar Jährchen mit der sg. Kopernikanischen Wendein diesem Blog zuletzt Mitte 2019.

Ich erlaube mir daher zu bemerken, dass nicht alles, was hinkt, ein Vergleich ist (und auch keine Analogie)

und dass Aufmachung und (angebliche) Kernbotschaft von Mario Livios Galileo ein von Gegenwartsinteressen geleitetes Framing darstellen;

grob gesprochen nach dem Motto: Alles, was gegen offizielle & offiziöse heutige Wissenschaft gesagt wird, hat man als “mittelalterlich” anzusehen – so wie die historische Katholische Kirche noch im 17. Jahrhundert.

Nun hat das von reformierten Autoren maßgeblich geprägte Narrativ von der Wissenschaftsfeindlichkeit der Amtskirche sehr wohl einen faktischen Kern – nur sollte einem bewusst sein, dass andere Teile der Kirche

Jedenfalls reiben alle, die heute wieder mit diversen “Leugnern” herum fuchteln, mit dem guten alten Hexenhammer der Zauberer- und Ketzerverfolger auf.

***

Aber gut, Kirche & Papsttum waren zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Süd- und Westeuropa eine, wahrscheinlich die größte Macht (nicht so in Nord- und Ostmitteleuropa).

Diese universalistische Institution glaubte, “in ihrem Herrschaftsgebiet” Wahrheit definieren und/oder dekretieren zu können, und zwar eine – im heutigen Sinn – theologische Wahrheit (es gab damals aber nicht so viele andere Wahrheitsbegriffe).

Die in dem Buch betriebene Leugner-Schnüffelei klingt für diesen Blogger eher nach den heutigen “international vereinbarten Klima-Wahrheiten” denn nach einem “nach der Wahrheit suchenden Häretiker”.

Wenn eine Analogie auf der Hand liegt, dann ist es die zwischen der damaligen Definitionsmacht “Roms” und jener des heutigen “IPPC-Konsensus”.

Man kann nicht einmal sagen, dass die Fabrikation der offiziellen geozentrischen Lehre von 1633 (zweite und “endgültige” Verurteilung Galileos) im 17. Jahrhundert einfacher zustande gekommen ist als die Fabrikation des heutigen Klima-Konsensus – eher im Gegenteil.

Die Verurteilung Galileos 1633 erfolgte auch nicht par ordre du mufti, weil der Papst oder die Inquisition das grad für richtig befanden.

Sie war das Ergebnis eines mehr als 20-jährigen Prozesses (1610 – 1633), eines “langen Staffel-Laufs mit unterschiedlichen Athleten”  und unter wechselnden Umständen.

Große Teile der katholischen Hierarchie waren schon vor dem ersten Prozess “klammheimliche Kopernikaner”

und auch die hoch gelahrten Naturwissenschaftler SJ bestätigten der Glaubenskongregation viele – mittlerweile teleskopisch untermauerte – Behauptungen des berühmtesten Naturwissenschaftlers dieser Zeit – vorsichtig, aber doch.

1616 wurde Galileo auf Basis einer aus 24 Kirchenmännern bestehenden Expertenkomission zum ersten Mal verurteilt, freilich auf eine Art, mit der beide Seiten leben konnten – die buchstäblichen “Genesis-Ausleger” und Galileo.

Zwischen 1616 und 1633

  • wurde der Kopernikanismus sehr wohl als Irrlehre verurteilt
  • und G. machte sich erst die (viele) Jesuiten
  • und dann den Papst (ab 1623) zu Feinden, ursprünglich ein Freund/Bekannter aus Studententagen in Pisa.

Kopernikus hatte recht und Galileo wusste, dass Kopernikus, Kepler & er recht hatten

- aber in der Bibel stand halt ausdrücklich, dass die Sonne sich bewegt.

Die zweite Verurteilung Galileos fiel dann auch strenger aus – aber zumindest in der Fachöffentlichkeit nahm den offiziellen Geozentrismus keiner mehr ernst. Gut 50 Jahre später setzte Isaac Newton mit seiner Erklärung der Schwerkraft dann den Schlusspunkt.

Man kann Galileo also durchaus als “eine Art Zeuge” gegen (über)staatlich dekretierte “Wissenschaft” aufrufen - aber nicht als Unterstützer von von der Obrigkeit ventilierten “wahren Wissenschaftlern”.

Das wären im 17. Jahrhundert die Schriftgelehrten diverser Amts- und Landeskirchen gewesen, die anhand des Alten Testaments “schlüssig bewiesen haben”,

dass die Erde still steht.

Die heutigen Schriftgelehrten berufen sich dagegen lieber auf Assessment-Reports, in denen z.B. behauptet wird, dass nur zwei Prozent des Klimawandels auf nicht-menschliche Ursachen wie die Sonne zurückzuführen seien

oder auf Aussagen von “Medizin-Experten”, die sich sicher sind, dass Corona die erste Seuche der Menschheitsgeschichte ist, die keine oder nur relativ geringe Übersterblichkeitsraten produziert

(weswegen man öffentliches Leben und Unternehmen konsequent zusperren und Impf-Gegner disktriminieren darf    :mrgreen:   ).

Mario Livio, Galileo And the Science Deniers. 2020

Edit, 7.2.2021, 15.45 Uhr: Galileo kannte M. Barberini aus Studententagen in Pisa (nicht Florenz). T. macht geltend, dass die “Karikatur”, die G. vom kunstsinnigen und hoch gebildeten Papst ab 1623 angefertigt hat, mit der Beleidigung des französischen Königs durch einen Franzosen vergleichbar war (“in diesen Tagen”). So gesehen hätte Galileo in dessen zweitem Prozess viel übler mitgespielt werden können.

Edit 2, 7.2.2021, 16.15 Uhr: Wieder alles zurück! Galileo kannte den Neffen von Urban VIII aus Studientagen in Pisa, war jedoch ohne Zweifel ein “Freund der Familie Barberini” und gut mit Maffeo Barberini bekannt.

Näheres werd’ ich vielleicht noch herausfinden – ich geb’s für jetzt aber auf. Man darf getrost davon ausgehen, dass der von seiner Bedeutung durchdrungene Galileo den späteren Urban VIII gut kannte und in einem Dialog als “Simpel” verarschte.

Unabhängiger Journalist

Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.