Der Renaissance-Kleriker Nikolaus Kopernikus zeigt den interessanten Fall eines intellektuellen Dissidenten, der gegen Kirchenführer, Experten und sonstige Auskenner letztlich recht behalten hat – sowie “gegen den Augenschein”. Wahrscheinlich haben seine damaligen Gegner auch von einer “seit 1500 Jahren gesettelten Wissenschaft” gesprochen. Anmerkungen zu einem neuen Text über die sog. Kopernikanische Revolution.
Autor Todd Timberlake ist Professor für Physik und Astronomie in einem College in Georgia
und sein Text über die Wissenschaftsgeschichte der Kopernikanischen Revolution ist eine erfrischende Abwechslung gegenüber oft öden, dickleibigen Bänden, die sich in biografischen Details oder gezwungen farbigen Schilderungen der Zeitumstände verlieren.
Timberlake und sein Coautor und (Ex-)Kollege Paul Wallace zeichnen in zehn Kapiteln den womöglich bedeutsamsten Paradigmenwechsel der Neueren Geschichte nach.
Kopernikus selbst werden dabei nicht einmal 15 Prozent des Inhalts gewidmet
- und mehr wäre eigentlich auch nicht angebracht; ist das Thema doch ein Gedankengebäude, in dem der deutsch-polnische Universalgelehrte eine wichtige Einzelrolle spielt, das aber auch viele andere Architekten & Baumeister kennt.
Eine europäische Teamarbeit
Die Story kann auch als interessante Variation zum Thema Wer oder was sind Europäer? gelesen werden, wird doch deutlich, dass die Macher der Kopernikanischen Wende in einem durch eine gemeinsame lingua franca verbundenen intellektuellen Raum forschten & dachten
- während sich ihr Alltag in ethnisch, kulturell und konfessionell unterschiedlichen Lebenswelten abspielte.
Vielleicht gab es im westlichsten Zipfel der eurasischen Landmasse ja (noch) kein Wir-Gefühl diverser Europäer – aber ohne
- den Griechen Aristarch von Samos,
- den Dänen Tycho Brahe,
- den Deutschen Johannes Kepler,
- den Niederländer Hans Lipperhey,
- den Italiener Galileo Galilei
- und den Engländer Isaac Newton hätte es keine kopernikanische Revolution gegeben
- (und auch nicht ohne den protestantischen Mathematiker Rheticus, diverse Renaissance-Päpste und -Päpstler, die nicht alle vernagelt waren, Cosimo II. von Medici und Kaiser Rudolf II., etc.)
Obwohl schon zu Lebzeiten Galileos niemand mehr ernsthaft am neuen Weltbild zweifelte, verfolgen Timberlake und Wallace die Geschichte bis zum “bitteren Ende” – zu Astronomen, die im 18. und 19. Jahrhundert gelebt haben.
Erst diese haben mit Beobachtungen und Experimenten direkte Beweise z.B. für die Umlaufbahn der Erde und ihre Rotation erbracht.
So gesehen hat die Wende 400 Jahre benötigt bis sie vollendet war.
Im engern Sinn waren es freilich nur gut 150 Jahre – bis zu Newton, der die Schwerkraft erklärte, und warum die Planeten sich in Ellipsen um die Sonne bewegten.
Kopernikus war kein Naturwissenschafter im eigentlichen Sinn. Er experimentierte und beobachtete kaum – Fernrohr und Teleskop waren auch noch nicht erfunden.
Aber er hatte den Mumm und die intellektuelle Ehrlichkeit sich kritisch einem tausend Jahre alten Dogma zu nähern und dieses in Frage zu stellen.
Das von ihm entworfene, verblüffend moderne Weltbild mag Vorstellungen von der einfachen Eleganz der Wahrheit nicht genügen
- und das mag ein Grund dafür sein, dass De revolutionibus orbium coelestium erst gegen Ende von Kopernikus Leben in Druck ging (außerdem hatte K. ja viel Wichtigeres zu tun )
Mathematik & Spekulation
Dass sein heliozentrisches Alternativmodell letztlich nicht weniger kompliziert ausfiel wie das herkömmliche hatte wiederum damit zu tun, dass K. von kreisrunden Umlaufbahnen ausging, was ihm einen “Korrekturmechanismus” aufzwang, der schon das System des Ptolemäus so verzwickt gemacht hatte.
Davon abgesehen waren Kopernikus’ Theorien derartig spinnert (und “trocken”), dass De Revolutionibus, nachdem es 1543 doch erschienen war, lediglich von professionellen Astronomen gelesen und ernst genommen wurde – während z.B. Theologen, Martin Luther inklusive - die Lehre für
- Narretei, sowie
- für nicht mit der Bibel vereinbar hielten.
60 Jahre später erklärte Kepler, ein entschiedener Verfechter des Heliozentrismus, dass die Planetenbahnen elliptisch seien (konnte das aber noch nicht erklären).
Gallileo, der mit Kepler korrespondierte, hielt dessen Ellipsen-Theorie wiederum für ausgemachten Schmarren, stimmte in Sachen zentrale Position der Sonne mit K. aber wieder überein.
Deswegen wurde Galileo 1633 auch von der Inquisition verurteilt, obwohl der aktuelle Papst eigentlich ein alter Bekannter war;
deswegen und weil Galileo so undiplomatisch war, in einem fiktiven Streitgespräch zwischen einem Befürworter des Geozentrismus und einem des Heliozentrismus den ersteren mit Einfaltspinsel zu benamsen.
Mit einem Wort: Wunder-Wuzzis, die immer recht hatten, waren auch die ganz Großen nicht - sie gaben aber auf zentrale Fragen die richtigen Antworten, was sich über die Jahrhunderte zusammenläpperte.
Die “Kopernikanische Revolution” ist die säkuläre Geschichte immer kleiner werdender Irrtümer.
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