Unter Kanzler Friedrich Merz hat Deutschland eine fiskalische 180-Grad-Wende hingelegt. 2019 verzeichnete der Bund in Deutschland noch einen Überschuss von knapp 20 Milliarden Euro, 2026 wird der Bund allein ein Defizit von knapp 180 Milliarden Euro ausweisen. Ein Staatsdefizit von um die 4% ist 2026 sehr wahrscheinlich.Von Gregor Hochreiter.
Am 2. Dezember ließ BDI-Präsident Peter Leibinger aufhorchen, als er in einem Interview konstatierte, dass die aktuelle wirtschaftliche Schwächephase die „tiefste Krise seit Bestehen der Bundesrepublik“ wäre und sich die deutsche Wirtschaft „im freien Fall“ befände.
Und er warnte auch davor, die aktuelle Krise kleinzureden, da es sich um „keine konjunkturelle Delle“ handle, sondern ein „struktureller Abstieg“ festzustellen sei.
Diese Einschätzung wird durch die nüchternen Zahlen bestätigt. Besonders problematisch ist aus langfristiger Sicht, dass die privaten Investitionen sich in einem beschleunigenden Abwärtstrend befinden, während der Staatskonsum ungebrochen anwächst. Während das deutsche BIP seit 2015 um weniger als 10% zulegte, ist der Staatskonsum seit 2015 um rund 25% angewachsen.
Die Abkoppelung des Staatskonsums vom BIP vollzog sich bereits 2019 und damit noch vor den staatlichen Ausgabenexzessen während der Corona-Pandemie. In den vergangenen Jahren legte der Staatskonsum um weitere 5 Prozentpunkte zu, während die deutsche Wirtschaftsleistung inflationsbereinigt sogar leicht nachgab.
Die privaten Investitionen befinden sich seit 2019 hingegen in einem Sinkflug und haben bereits das Niveau von 2015 erreicht. Damals lag das reale deutsche BIP jedoch knapp 10% niedriger als heute.

Merz‘ „Whatever it takes“
Wenige Tage nach der für ihn erfolgreichen Bundestagswahl nahm Friedrich Merz mit seiner Version des „Whatever it takes“ Abschied von der fiskalischen Solidität Deutschlands.
Noch vor der Konstituierung des neuen Bundestags weichte er mit den Mehrheitsverhältnissen des alten Bundestags die Schuldenbremse auf und setzte zudem ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ ein.
Dieser Bruch mit seinem Wahlversprechen und der fiskalischen Tradition Deutschlands einer soliden Haushaltsführung löste eine noch nie dagewesenen Ausgabenschwemme aus. 2019 betrugen die Ausgaben des Bundes lediglich knapp 360 Milliarden Euro waren es 2024 bereits 475 Milliarden Euro oder fast um ein Drittel mehr.
Die Inflationswelle hat zum kräftigen Anstieg naturgemäß beigetragen, mehr noch aber der Corona-Ausgabenexzess. 2021 gab der Bund in Deutschland 557 Milliarden Euro aus. 2026 werden es mit 525 Milliarden Euro annähernd so viel sein. Gegenüber 2024 ist das ein Anstieg um 10%, gegenüber 2019 liegen die Ausgaben sogar mehr als 40% höher.
Bezeichnenderweise sieht das verabschiedete Budget für 2026 sogar noch einige Milliarden Euro an Mehreinnahmen vor als der ursprüngliche Voranschlag von 520 Milliarden Euro noch überschritten. Die Nettokreditaufnahme beträgt fast 180 Milliarden Euro.
Rund 100 Milliarden Euro entfallen auf den Kernhaushalt, knapp 80 Milliarden auf die beiden Sondervermögen „Bundeswehr“ sowie „Infrastruktur und Klimaschutz“. 2019 hatte der damalige Finanzminister Olaf Scholz noch einen Überschuss von 20,1 Milliarden Euro präsentiert.
Die Ausgabenschwemme des Bundes schlägt sich naturgemäß in einer deutlichen Verschlechterung des Staatsdefizits (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungen) nieder.
2025 dürfte das Staatsdefizit die 3%-Marke reißen, für 2026 prognostiziert die EU-Kommission ein Defizit von 4,0%. Dieses wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gehalten werden können. Denn die Annahme eines Wirtschaftswachstums von 1,2% im nächsten Jahr und einer Arbeitslosenrate von 3,5% sind als optimistisch zu bezeichnen.
Grundsätzlich sind die offiziellen Wachstumsprognosen mit großer Vorsicht zu genießen. Die Prognosen sind notorisch ungenau, insbesondere bei einem längeren Prognosezeitraum.
Länger bedeutet in diesem Fall bereits mehr als ein Jahr. In (geo-)politisch unsicheren Zeiten nimmt die Ungenauigkeit noch weiter zu. Tendenziell werden die Wachstumsaussichten (deutlich) überschätzt, wie folgende Übersicht für Deutschland anhand der jeweiligen ifo-Prognose für das übernächste Jahr zeigt:

Erheblicher Teil fließt in den Konsum
Merz hat sich feiern lassen, dass die Einrichtung des Sondervermögens „Infrastruktur und Klimaneutralität“, zusätzliche Investitionen in die zum Teil marode Infrastruktur auslösen wird. Damit soll nicht nur die öffentliche Verärgerung über die erheblichen Verspätungen bei der Deutschen Bahn mindern, sondern auch das langfristige Wachstumspotenzial angehoben werden.
Allerdings fließt ein nicht unerheblicher Prozentsatz des üppig dotierten Sondervermögens nicht in zusätzliche Investitionen. Vielmehr werden bestehende, aus dem Kernhaushalt zu finanzierende Investitionen durch Mittel aus dem Sondervermögen ersetzt.
In einer konservativen Schätzung geht das ifo davon aus, dass zumindest ein Drittel der geplanten Ausgaben zweckentfremdet werden. Das „Institut der deutschen Wirtschaft“ (IW) schätzt, dass sogar jeder zweite Euro des Sondervermögens zweckentfremdet wird.
Eine Folge dieser Zweckentfremdung: Die regulären Haushalte des Bundes, der Länder und der Kommunen bekommen Luft für zusätzliche Ausgaben, die schwerpunktmäßig jedoch in den ohnehin schon rekordhohen Staatskonsum fließen. Neue Sozialausgaben wie die Mütter-Rente werden so finanzierbar.
Ein weiteres Beispiel für diesen Effekt: die gegen den am Ende erfolglosen Widerstand der „Jungen Union“ durchgepeitschte Pensionsreform, die, so Sozialministerin Bärbel Bas (SPD), nicht die Beitragszahler belastet, sondern den Steuerzahler. Besser kann das vorherrschende verquerte Denken nicht zum Ausdruck gebracht werden.
Wobei sich Robert Habeck (Grüne) vor einigen Jahren bereits ähnlich äußerte. Den Umstand, dass die EEG-Umlage nicht mehr von den Kunden, sondern vom Bundeshaushalt bezahlt wird, kommentierte er mit: „Nicht die Bürger zahlen, sondern der Staat.“
So oder so; die systematische Zweckentfremdung der für Investitionen vorgesehenen zusätzlichen Finanzmittel wird die Sozialausgaben und damit den Staatskonsum weiter befeuern. Dabei weist Deutschland schon jetzt mit einem Anteil der Ausgaben für die soziale Sicherung mit 41% den höchsten Wert in Europa auf, noch vor den skandinavischen Ländern oder auch Österreich.
Deutschlands Weg in die Subventionswirtschaft
Symptombekämpfung statt Strukturreform – so könnte die deutsche Politik, aber nicht nur diese, zusammengefasst werden. Anstatt die strukturellen Probleme mit strukturellen Reformen zu lösen, wird immer öfter die – kostenintensive – Symptombekämpfung gewählt.
Ein besonders Beispiel liefern die Energiepreise, nicht erst seit Habecks oben erwähnter Dreistigkeit.
Günstigeren Strom – Strompreis plus Netzkosten – gibt es strukturell nur, wenn das Angebot dauerhaft erhöht wird. Präzisierend ist hinzuzufügen, dass dauerhaft in diesem Zusammenhang eine zweifache Bedeutung hat: 1.) Die Stromerzeugungskapazitäten müssen für die langfristige Nutzung erhöht werden; 2.) Die Stromerzeugung sollte möglichst geringen Schwankungen unterworfen sein. Anders gesagt: Je stärker die Stromproduktion einer Energiequelle von den Witterungsbedingungen abhängt, desto weniger erfüllt sie dieses Erfordernis.
Was allerdings in Deutschland – und nicht nur dort – aktuell passiert, kommt einer Posse gleich, allerdings gefriert einem am Ende das Lachen.
Denn einerseits wird die Elektrifizierung der Wirtschaft – Stichwort Wärmepumpe, E-Auto, grüner Stahl – gefordert und gefördert, andererseits wird das Stromangebot infolge politischer Entscheidungen künstlich verknappt.
So ist die deutsche Stromproduktion seit dem Hoch 2016 bereits um fast 25% gesunken. Der bereits abgeschlossenen Atomausstieg und der eingeleitete Ausstieg aus der Kohleverstromung, der bis 2038 vollständig vollzogen sein soll, fordern ihren Tribut. Höhere Strompreise sind auch deswegen die Folge.
Reagiert wird auf diese vorhersehbare Entwicklung nicht mit einer Ausweitung der sicheren und kostengünstigen Stromversorgung, sondern mit einer die Staatsausgaben belastenden Subventionierung des Strompreises oder, wie bereits erwähnt, mit dem Taschenspielertrick, dass Abgaben wie die EEG-Umlage nicht mehr vom Kunden, sondern aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden.
So belaufen sich die seit 2023 aus dem Bundeshaushalt bestrittenen Ausgaben für die EEG-Umlage aktuell auf rund 18 Milliarden Euro pro Jahr. Damit sinkt zwar der Strompreis um mehr als 4 Cent pro kWh, bezahlt wird diese Entlastung des Stromkunden vom Steuerzahler. Der ab 2026 kommende Industriestrompreis wird den deutschen Bundeshaushalt voraussichtlich mit rund 3 Milliarden Euro pro Jahr belasten.
Neuerdings soll auch die Nachfrage nach grünem Stahl gefördert werden, nachdem auch schon die Herstellung des grünen Stahls gefördert wird. Dieser kann aufgrund der hohen deutschen Strompreise nicht zu wettbewerbsfähigen Preisen auf den Markt gebracht werden.
Der vor kurzem beschlossene Industriestrompreis soll dieses Manko beheben, durch weitere Subventionen.
Als Folge dieser symptombekämpfenden statt wurzelbehandelnden Politik bewegt sich Deutschland schnellen Schrittes in eine Staatssubventionswirtschaft. So haben sich in sechs Jahren Unternehmenssubventionen gemessen am BIP von knapp unter 0,2% auf etwas über 1,0% mehr als verfünffacht. 2026 soll dieser Anteil ein weiteres Mal deutlich steigen.

Die deutschen Unternehmen zeigen sich im für die langfristigen Wachstumsaussichten wesentlichen Punkt nahezu völlig unbeeindruckt von den Ankündigungen und Beschlüssen der seit dem Frühjahr amtierenden schwarz-roten Bundesregierung: die Investitionsbereitschaft nimmt nicht zu.

Dieses Nichtanspringen der Investitionen kommt nicht überraschend: Studien des ifo bzw. des „Deutschen Industrie- und Handelskammer“ aus den beiden vergangenen Jahren (hier und hier) zeigen, dass rund 20% der Wertschöpfung der deutschen Industrie direkt von günstigen Energiepreisen und einer sicheren Energieversorgung abhängen
bzw. dass zwei von drei Unternehmen ihre Investitionen aufgrund der hohen Energiepreise und der fehlenden Planungssicherheit wegen aufschieben, wenn nicht sogar völlig streichen.
Vielmehr regiert weiterhin das Prinzip Hoffnung, dass es im Laufe 2026 etwas nach oben gehen wird, einfach nur deswegen, weil es einfach irgendwann besser werden muss. Positiv gewendet, könnte man formulieren, dass die Hoffnung, die bekanntlich als letztes stirbt, zumindest noch nicht gestorben ist.
Fazit: Deutschland auf dem Weg in die Staatssubventionswirtschaft
Da ein Gutteil der erheblichen schuldenfinanzierten Zusatzausgaben in den Konsum fließen wird und nicht in Investitionen, ist nicht davon auszugehen, dass Deutschland mittelfristig die strukturelle Wachstumsschwäche wird ablegen können.
Ein kurzfristiges Strohfeuer ist angesichts der markanten Ausweitung der Staatsausgaben nicht auszuschließen. Dennoch, die absehbare Nichtbehebung der strukturellen Mängel und die daraus resultierende Prolongierung höherer Energiepreise wird die Wachstumsschwäche verlängern und den Subventionsbedarf verfestigen.
Ein anhaltend höheres Haushaltsdefizit scheint unvermeidlich.
Damit wird der bisherige Stabilitätsanker am europäischen Anleihenmarkt Schritt für Schritt geschwächt werden. Höhere Zinsen auf die kräftig steigende Staatsverschuldung werden nicht nur dem deutschen Finanzminister mehr schlaflose Nächte bereiten. Denn Deutschland wird die Anleihezinsen im Allgemeinen nach oben treiben.
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