Verschuldung: Mit Statistiklügen gegen den Pleitegeier

Ab September wird eine neue Zahlenspielerei angewendet, um das heutige “Wirtschafts- und Sozialmodell” überlebensfähig erscheinen zu lassen. Im neuen System werden ÖBB und Asfinag zu den Staatsschulden addiert. Zum Ausgleich wird das Bruttoinlandsprodukt schöngerechnet  – indem man beispielsweise Waffenkäufe als Investitionen klassifiziert.

Das neue “Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung” wird für die EU-Statistikämter verbindlich sein. Es bedeutet,  dass das Bruttoinlandsprodukt rückwirkend bis 1995 nach oben revidiert wird. Im neuen System werden auch Forschungs- und die Rüstungsausgaben dem BIP zugeschlagen.

Das ESVG 2010 führt perverserweise dazu, dass (neue) Eurofighter & Co. zu den Anlagegütern gerechnet werden. Aber auch Zigarettenschmuggel, illegale Drogen und Prostitution werden berücksichtigt. Weil sich diese Branchen nur ungern in die Karten schauen lassen, verlässt man sich hierbei auf “seriöse Schätzungen”.

Für die österreichische volkswirtschaftliche Rechnung bedeutet das, dass ab 1995 jedes Jahr zehn Milliarden Euro zusätzlich in das BIP einfließen – was sich mit der Zeit ganz schön “läppert”.

Das deutsche Handelsblatt hat vor ein paar Tagen zusammengestellt, welche Folgen das für die Schuldenquoten der Euroländer hat. Die Zeitung ist dabei – je nach EU-Staat – auf eine Reduktion von bis zu vier Prozentpunkten gekommen. Gundlage ist eine Studie des Münchener Ifo-Instituts. Die interaktrive Handelsblatt-Infografik dazu findet sich hier.

Dass das Ganze eine reine Spiegelfechterei ist, die nicht einmal einen relativen Erkenntniswert hat, zeigt sich daran, dass die Neuberechnung der Republik Österreich ca. eine um 2,8 Prozentpunkte niedrigere Schuldenquote bringtDeutschland aber “nur” 2,3 Prozentpunkte; man behauptet damit faktisch, dass der Staat Österreich bezogen auf sein BIP mehr für F&E und Militär ausgibt als die Bundesrepublik.

Es hat real keinerlei Bedeutung und ist nur eine weitere Etappe der seit 15, 20 Jahren laufenden systematischen Statistik-Schwindeleien in der Eurozone. Zu einem ersten Höhepunkt gelangten diese 1998, als es darum ging, (fast) alle willigen europäischen Staaten in die Zone aufzunehmen.  Ein Kapitel von “Staatsstreich in Zeitlupe”, das in den nächsten Wochen hier veröffentlicht wird, beschäftigt sich mit diesem Vorgang.

Die nächste größere Statistik-Schwindel ist für 2016/17 angesetzt, wenn das bisherige Maastricht-Defizit durch ein bereinigtes “strukturelles Defizit” ersetzt wird.

Wer die Regeln selbst definieren kann, findet also unbeschränkte Möglichkeiten vor, amtlich zu lügen.

Es steht zu befürchten, dass das Spiel ewig so weitergehen kann – auch für den Fall, dass weitere Bankleichen anfallen, deren Gläubiger staatlicherseits gerettet werden “müssen”.

Dann werden ohne jeden Zweifel weitere Möglichkeiten gefunden, um die Statistiken zu schönen. Wie wär’s zum Beispiel damit, die Schwarzarbeit in das  BIP einzurechnen ? Der Linzer Ökonom Friedrich Schneider schätzt diese für Österreich auf jährlich 20,5 Mrd. Euro.

Und das alles außer jeder statistischen  Konkurrenz !

Zahlenarithmetik ist hier aber nicht alles. Die Causa zeigt auch eine tiefe Gerchtigkeitslücke auf. Wenn Schieber und Huren zum BIP beitragen dürfen – warum gesteht man das nicht auch Bauarbeitern und Nachhilfelehrern zu ?  Sind die etwa keine Dienstleister ? Gleiches Recht für alle!

Trotz seiner “Flexibilität” wird das System irgendwann an seinen eigenen Lügen ersticken. Vielleicht dauert es noch eine Weile und die Politiker, die heute dafür verantwortlich sind, haben Glück; das Glück, beim Zusammenbruch nicht mehr am Leben – oder wenn: dann wenigstens nicht mehr schuldfähig zu sein.

Doch eines Tages wird die Rechnung fällig – unweigerlich. Sie wird “der Bevölkerung” präsentiert werden – dieser und ausschließlich dieser. Das Volk wird mit seinen Ersparnissen bezahlen. Und damit, dass die Ansprüche, die es gegen den Staat hat, nicht mehr honoriert werden (Sozialleistungen, Pensionen).

Dann werden die (Nachfahren der heutigen) Politiker vor die (Nachfahren der heutigen) Bürger hintreten und sagen: “Ihr wollt 2014 geglaubt haben, dass sich der Schuldenstand der Republik auf 233 Milliarden und 74 Prozent des BIP beläuft? Das ist ein guter Witz, hahaha !”

“Welch dumme Ausrede ! Wir sollen heute glauben, dass ihr das damals geglaubt habt !?”

“Konntet ihr 2014 vielleicht noch nicht lesen ? Stand doch alles in der Zeitung ! War doch öffentlich zugänglich, dass die echten Staatsschulden schon damals das Vierfache davon betrugen!”

“Seht her, ihr Querulanten, ein Zeitungsausschnitt von Ende 2013: ‘Österreich hat 948,6 Milliarden Euro echte Schulden (…) Die Verschuldung der Republik liege deutlich über den offiziellen 73,4 Prozent des BIPs (…) Berücksichtigt man auch die Ausgaben und Einnahmen der Zukunft, liegt die Schuldenquote bei 251 Prozent des BIPs.”

Unabhängiger Journalist

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