Ein Wissenschafter und zwei dissidente alte Hasen aus dem Journalismus inspizieren in dieser Bücher-Umschau das großflächige Versagen unserer traditionellen Medien. Die Urteile, zu denen sie gelangen, mögen nicht mehr originell wirken – dass diese nicht mehr aktuell oder gar mit heißer Nadel gestrickt worden seien, kann man ihnen aber auch nicht vorwerfen. Dafür werden sie von den Kritisierten bzw. Analysierten auch totgeschwiegen.
Das erste Buch ist das jüngste (und dasjenige, das wohl am mühsamsten zu lesen ist).
Es die quantitativ gestützte Analyse eines Kommunikationswissenschaftlers, der untersucht, wie Journos mit den (sehr wohl erkannten) Verstößen gegen ihre eigenen Berufsregeln umgehen.
Über die Grenzen der Branche ist die Analyse interessant, weil einige wenig schmeichelhafte Wahrheiten offen zugegeben, ja sogar als Ausgangspunkt weiter führender Überlegungen genommen werden.
Diese Fakten sind für alle, die sich in den alternativen Medien ein wenig umgetan haben, ein alter Hut.
Bemerkenswert ist, dass hier, an unerwarteter Stelle, die vom Mainstream errichtete, selbstgerechte Große Schweigemauer zu bröckeln beginnt -
nämlich in der der Branche zuzuordnenden Fachwissenschaft, in der man den “demokratischen” Medien bisher die Stange zu halten pflegte (weil die Wissenschaftler stark auf deren Kooperationswilligkeit angewiesen sind).
So verwundert es nicht, dass es zuerst emeritierte Forscher sind, die es wagen gegen den Stachel zu löcken – und einer Branche weh zu tun, die nachtragender ist als fünf Helmut Kohls zusammengenommen.
Hans Kepplinger ist so einer.
Kern seiner Analyse ist eine 2015 durchgeführte Befragung von etwa 2.100 Redakteuren in deutschen Tageszeitungen (wovon etwa 400 antworteten).
Die Fragen ergingen an Redakteure und -innen der Ressorts Aktuelles, Politik, Wirtschaft und Feuilleton.
Diese wurden zu fünf Fällen von Skandalisierung und drei von Totschweigen befragt, die Kepplinger vorher ex cathedra festgestellt hatte (was aber überzeugend begründet wurde).
In den meisten Fällen handelte es sich um bewusst begangene Verletzungen von Berufsnormen, was von einer Minderheit von nur etwa 14 Prozent offensiv gerechtfertigt wird, oft mit dem Hinweis auf einen sozusagen übergesetzlichen Notstand, nach dem Motto: Wer den Faschismus verhindern will, den haben Berufsregeln nicht zu scheren (meine Worte).
Eine starke relative Mehrheit sprach sich prinzipiell gegen fragwürdges Skandalisieren oder Totschweigen (“Kommunikationsblockaden”) aus:
Das Verhältnis von 46 zu 14 Prozent müsste eigentlich ausreichen, um handlungswillige Befürworter fragwürdiger Skandalisierungen davon abzuhalten. Die Befürworter sind jedoch von 41 Prozent Indifferenten umgeben, die einige der geschilderten Praktiken durchaus akzeptabel finden.”
Es waren also die Gelegenheits-Sympathisanten, die “umstehenden” indifferenten 41 Prozent, die die Grenzüberschreitungen letztlich ermöglicht haben.
Menschen, die sich bewusst über geltende Regeln hinwegsetzen, handeln nicht als isolierte Einzeltäter. Meist sind sie in eine gesellschaftliche Umgebung eingebettet, die ihr Verhalten nicht unbedingt billigt, jedoch toleriert und sozial abschirmt. Je mehr Menschen in ihrem Umfeld Regelverletzungen tolerieren oder sogar honorieren, desto wahrscheinlicher werden Regelbrüche.”
Was waren nun die acht “Missbrauchs-Fälle”, an denen Kepplinger seine Journalistenbefragung aufhängte?
- Am politisch brisantesten ist wohl die Berücksichtigung der PEGIDA-Berichterstattung in gleich zwei Fällen, nämlich in der “irreführende(n) Darstellung von Gewalt bei Pegida-Kundgebungen” (“Skandalisierung” – von Gegendemonstranten ausgehende Gewalt wurde, sprachlich geschickt, PEGIDA-Demonstranten zugeschoben); sowie durch “Totschweigen” – frühe PEGIDA-Kundgebungen wurden medial einfach ausgeblendet.
- Ein weiteres Beispiel bezieht sich auf die Skandalisierung von Äußerungen des deutschen Finanzministers, der nach Darstellung der Meute den russischen Präsidenten Putin umstandslos mit Adolf Hitler gleichgesetzt hatte (das mag regelwidrig zustande gekommen sein, trifft freilich das “Kernargument” jener EU-Politicos, die in einem historischen Kurzschluss “Missachtung von Grenzen” in der´Ukraine mit der “Versailles-revisionistischen” Außenpolitik Hitlers vergleichen).
- Ein Fallbeispiel bezieht sich auf die Berichterstattung der deutschen Medien zur Fukushima-Katastrophe bzw. auf die Verallgemeinerungen, die daraus gewonnen wurden. Die zugrundeliegende Diagnose: Die negative Einstellung der deutschen Journalisten zur Kernspaltung hat zur Skandalisierung bzw. einer sachlich nicht gerechtfertigten Übertragung der Vorgänge nach Deutschland geführt.
- Weiters werden Fälle erwähnt, in denen in der Öffentlichkeit stehenden Personen Unrecht getan wurde – ohne dass diese Gelegenheit bekommen hätten sich zu verteidigen. Z.B. der Fall eines Bischofs, dessen Dienstreise nach Asien wider besseres Wissen skandalisiert wurde – oder die Umstände der medial erzwungenen Rücktritte von Christian Wulff und Karl Theodor zu Guttenberg.In diesen Fällen geht es Kepplinger nicht darum, die zugrunde liegenden Verfehlungen zu entschuldigen, sondern um die Tatsache, dass die Medien “den Beschuldigten das Gehör verweigerten”.
Der Boden, auf dem dieses Verhalten der Zeitungsleute gedeihen kann, besteht nach Meinung Kepplingers
- im selbstherrlichen Pochen auf eigene Deutungshoheit
- sowie in der berauschenden Gewissheit, mächtiger selbst als “die Politiker” zu sein (als deren Schoßhündchen sie freilich meist agieren – meine Worte).
Sachkundige Verschwörungstheoretiker
In den einleitenden Passagen zu seiner Untersuchung schildert Kepplinger die galoppierende Vertrauenskrise zwischen den traditionellen Medien und deren Konsumenten und erwähnt dabei zwei “verschwörungstheoretisch grundierte” Bücher: Udo Ulfkottes Gekaufte Journalisten und Markus Gärtners Lügenpresse.
Nun sind (waren) die Autoren der beiden Bücher weniger Theoretiker als Praktiker, Medienpraktiker. Ulfkotte arbeitete 18 Jahre als Redakteur der FAZ und Gärtner berichtete mehr als 20 Jahre u.a. für die ARD, die Welt und das Handelsblatt.
Wie wenigstens ein Dutzend “alter Hasen”, die im Laufe der vergangenen Jahre aus dem deutschen Mainstream ausgeschieden sind und die mit ihrer Unzufriedenheit über die Entwicklung der Branche nicht hinter dem Berg halten.
Diesen Leuten kann man alles Mögliche nachsagen – nur nicht, dass sie keine Ahnung von der Materie hätten, über die sie schreiben (weswegen sie auf Hirngespinste zurückgreifen müssten).
Au contraire.
Liest man z.B. das jüngste – und letzte – Buch Ulfkottes, wird klar, dass der Mann mehr als nur eine Ahnung von den verlagswirtschaftlichen Grundlagen der Zeitungen und den gängigen grauen Praktiken rund um die Auflagezahlen hat.
Dieser Blogger hält den Vorwurf der Verschwörungstheorie im Regelfall ja nur für eine abwertende Bezeichnung (noch) nicht akzeptierter “Diskurse”, kann aber in den Büchern von Ulfkotte und Gärtner nichts entdecken, was in diese Richtung führt.
Der mittlerweile verstorbene Ulfkotte hat in Gekaufte Journalisten den Einfluss der Geheimdienste auf deutsche A-Redaktionen thematisiert und sich in diesem Zusammenhang auch selbst bezichtigt geschmiert worden zu sein.
Sein hier besprochenes Buch unterlag in den ersten Wochen einem fast totalen Boykott des Medien-Mainstreams (d.h. es wurde nicht besprochen) – entwickelte sich aber trotzdem zu einem Bestseller in Deutschland (und fand auch international Beachtung).
Ähnlich und doch ganz anders liest sich die Publikationsgeschichte des Nachfolgebands, der Ende 2016 erschienenen Volkspädagogen.
Auch dagegen gab es einen nicht öffentlich erklärten Medienboykott – der aber offenbar weitgehend erfolreich war (was schade ist, sind die Volkspädagogen doch in mancher Hinsicht aufschlussreicher als Ulfkottes Gekaufte Journalisten. Ulfkotte ist im Jänner 2017 (angeblich) an einem Herzinfarkt gestorben.
Eine Trilogie wird es daher nicht mehr geben.
Hier, relativ willkürlich herausgegriffen, die wuchtigen ersten Sätze aus dem Vorwort der Volkspädagogen:
Nie zuvor haben Journalisten und Politiker die Bürger im deutschsprachigen Raum so von oben herab behandelt wie heute. Sie agieren arrogant, abgehoben und selbstgefällig – und pfeifen auf Neutralität, Objektivität und die Wahrheit. Die anmaßende Parole dieser kleinen Deutungselite lautet: ‘Wir wissen alles besser.’”
***
Und schließlich ist da die Lügenpresse von Markus Gärtner, das “älteste” der hier erwähnten Bücher (Herbst 2016).
Gärtner greift, historisch gesehen, am weitesten zurück und hält den Medien eine lange Liste des Versagens vor:
Der selbst ernannte Deutungsadel habe vor der Finanzkrise 2008 nach Kräften abgewiegelt und damit seine Leser getäuscht schreibt Gärtner; die europäischen unter unseren Journos haben den Euro und die Bildung des Schengenraums unkritisch bejubelt – und dabei
- “großzügig” über deren Fehler und Probleme hinweggesehen und dabei
- Kritiker und Gegner ignoriert und/oder diffamiert:
“Immer wieder voll daneben”´eben.
Es folgt ein “impressionistisches”, mit breitem Pinsel gemaltes Sittenbild. Dazu nur einige Kapitalüberschriften
- “Was schert mich mein Geschätz von gestern”
- “Nachplappern von Propaganda”
- “Inszenierte Realitäten”
- “Mediale Wendehälse”
- “Gut-Blindheit – Bitte keine störenden Informationen”
- “Alzheimer-Journalismus oder Sau-durchs-Dorf-Mentalität”
Gärtners Resümee: Die klassischen Medien, auch die privaten, verfehlen ihren Informationsauftrag ständig, was als Zustand des Dauerversagens zu bezeichnen ist.
Das sei Folge von
immer weniger Geld, immer weniger Zeit zum Recherchieren, immer stärkere(r) Fremdsteuerung und Boulevardisierung und (…) eine(r) politische(n) Ausrichtung, die der ihrer Leserschaft nicht ähnelt. Sowohl der finanzielle Druck als auch die einseitige politische Ausrichtung engen das Themenfeld der Journalisten und damit die Meinungsvielfalt ein.”
Letztlich schließe
der Mainstream-Journalismus nicht nur die Leser, sondern auch deren Realität aus. Schlimmer noch: Deutsche Publikationen errichten sogar digitale Scheiterhaufen, wenn sie ihren Lesern erklären, wie man PEGIDA-Demonstranten in seinem Plattform-Freundeskreis identifiziert und eliminiert (…) Mit derartiger Hetze wird eine öffentliche Diskussion behindert oder im schlimmsten Fall unterbunden.”
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