“Management der Grausamkeit”, das Handbuch des IS-Terrors

Ein 2004 veröffentlichter Text legt die theoretische Basis für den Zarkawismus, die Kampfideologie der Islamischen Staats. “Management der Grausamkeit” propagiert die Rückkehr in die Zeit der frühislamischen Eroberungen und beschreibt die Etappen der Machtergreifung – von der Wirtschaftssabotage bis zur Etablierung der ersten Gottesstaaten.

Obwohl das Buch bereits vor zehn Jahren geschrieben wurde, erlaubt es tiefe Einblicke in die aktuelle, ebenso kalt kalkulierte wie historisch fundierte Brutalität der Dschihadis.

Die Übersetzung ins Englische stammt aus 2006, dem Todesjahr von Abū Musʿab az-Zarqāwī, dem Verbündeten und Rivalen Osama bin Ladens. Sie entstand im Auftrag des John M. Olin Institute for Strategic Studies in Harvard und findet sich hier.

Der Autor soll Abu Bakr Naji, der “Medienmanager” der Al Kaida gewesen sein, vielleicht wurde der Text aber auch von einem Kollektiv geschrieben. Das Manifest verrät jedenfalls die profunde Kenntnis sunnitischer Doktrinen und ist ziemlich sicher authentisch.

Es beschreibt die drei große Phasen der Entwicklung. Beginnen tut’s mit dem immer stärker werdenden “Belästigen und Ermüden” des Feinds (z.B. der Sabotage seiner wirtschaftlichen Einrichtungen), was letztllich in den Zusammenbruch der angegriffenen Herrschaft und in ein (aus Sicht der Islamisten) kreatives Chaos mündet.

Danach kommt die Zeit der “Verbreitung der Grausamkeit”, zunächst in den prioritären Regionen der Bewegung, im Nahen/Mittleren Osten. Der heilsgeschichtliche Anspruch gilt jedoch weltweit. “Ziel ist die Vertreibung der häretischen Regime. Öffentlich verkünden und verfolgen wir (nur) dieses Ziel,  nicht die Entstehung von Chaos.”

Der militärische Kampf ist rücksichtslos, “weil unsere Feinde auch keine Gnade kennen, wenn sie uns ergreifen. So stellen wir sicher, dass sie es sich tausendmal überlegen, uns anzugreifen. Nicht nur hindert uns nichts, ihr Blut zu vergießen – es ist sogar eine unserer wichtigsten Verpflichtungen, weil sie nicht bereuen, beten und Almosen geben.”

 Strenge und Zärtlichkeit

Folgende Anspielung auf die Jahre nach Mohhammeds Tod ist charakteristisch für den gesamten Text: “Die Gefährten (des Propheten) (…) verstanden die Gewalt am besten. (Abu Bakr, der erste Kalif und Ali ibn Abi Talib, der zweite Kalif) verbrannten (Leute) mit Feuer, obwohl das abscheulich ist, weil sie um den Effekt roher Gewalt in den Zeiten des Notstands wussten.

Sie machten das nicht (…) aus Liebe zum Töten, denn sie waren keineswegs rohe Menschen. Bei Gott ! Wie zart sie in ihren Herzen waren ! Sie waren ihrer Natur nach die gnädigsten Menschen der Schöpfung – nach dem Propheten, der Friede möge mit ihm sein. Aber (die Gefährten) verstanden die Natur des Unglaubens und die Natur des Bedürfnisses nach Strenge und Zärtlichkeit in jeder Situation.”

Die Gotteskrieger “müssen die Schlacht so gewaltsam gestalten, dass der Tod nur einen Herzschlag entfernt ist und dass beide Gruppen gewahr werden, dass die Teilnahme an ihr oft zum Tod führen wird. (…) Das war die Kriegspolitik (unserer) Wegbereiter: verwandle die Gesellschaften in zwei antagonistische Gruppen und entfache eine gewaltige Schlacht zwichen ihnen, eine, deren Ziele entweder Sieg oder Märtyrertum sind und deren Wahrzeichen entweder der glorreiche Sieg oder der erniedrigende Frieden sind.”

Die dritte Phase der islamischen Revolution besteht im “Management der Grausamkeit”, die dem Text den Titel geliehen hat. Sie wird in die Errichtung einer “kämpfenden Gesellschaft auf allen Ebenen” münden. Es geht um die Verbreitung der “Wissenschaft von der Scharia”, die Errichtung eines Nachrichtendiensts, die “Unterdrückung der Heuchler” (?) und fortgesetzte Attacken auf den Feind. Ziel bleibt, diesen “zurückzuschlagen, sein Geld zu rauben und ihn im ständigen Zustand der Angst und des Wunsches nach Versöhnung zu halten.”

Das Kalifat selbst soll sozusagen fachmännisch von einer ideologisch loyalen, neu zu schaffenden Manager-Kaste errichtet werden. “Wir müssen Bücher über Verwaltung heranziehen, speziell über kürzlich veröffentlichte über Managementwissenschaften, weil sie der Natur der modernen Gesellschaft entsprechen.”

“Führungspositionen können aber nur von zuverlässigen Personen eingenommen werden, der Sicherheitsapparat hält Wache darüber (…), indem er den Professionalismus und die Aktionen der Führer und Manager im Auge behält, um Infiltration zu vermeiden.”

Das vielleicht zentralste Prinzip des islamistischen Kampfs ist das der Vergeltung, das beinahe jede Gewaltanwendung gegen die Out-Group erlaubt.

Revanche ist nicht nur gegen gegen die “Kreuzfahrer” (Christen), sondern auch gegen die “Abtrünnigen” (andere Moslems) geboten. “Wenn zum Beispiel das abtrünnige ägyptische Regime Mudschaheddin ( = Glaubenskrieger) tötet oder gefangen nimmt, darf die dschihadistische Jugend in Algerien oder Marokko Schläge gegen die ägyptische Botschaft führen und ein Rechtfertigungsschreiben veröffentlichen, oder sie kann (darf) ägyptische Diplomaten als Geiseln nehmen bis die Mudschaheddin befreit sind.”

“Wenn auf (unsere) Forderungen nicht eingegangen wird, müssen die Geiseln auf angsterregende Art liquidiert  werden, um Furcht in den Herzen der Feinde hervorzurufen.”

Schia und andere Feinde

Die welthistorische Schablone, in der der Kampf gegen die USA gedacht wird, stammt noch aus der Zeit derr sowjetischen Invasion Afghanistans. Es geht darum, einen waffentechnisch weit überlegenen Feind in einen overreach, eine imperiale Überdehnung zu locken. Dort kann er mit Guerrilla-Methoden bekämpft werden, ohne dass es ihm möglich ist Rache zu üben, weil die Staaten in der Umgebung Klienten des bekämpften Imperiums sind.

Das gilt z.B. auch für Saudiarabien, zu dessen offizieller Ideologie, einer Art islamischem Puritanismus (Wahhabismus) zwar eine ideologische Nähe besteht, dem aber jede Legitimität abgesprochen wird. Das saudische Königshaus hat diese weder als Staatsgründer, noch als  Hüter der Heiligen Stätten noch als Chef-Ausleger des Koran, schreibt ein Alistair Crooke in der Huffington Post. “All diese Attribute nimmt ISIS für sich selbst in Anspruch. ISIS betrachtet sich selbst als den (islamischen) Staat schlechthin. Das bedeutet die Zurückweisung aller Aspekte der irdischen und religiösen Herrschaft im Sunnismus.”

Das vielleicht wichtigste Motiv, warum die ISIS aus den Golfmonarchien finanziert wurde, liegt in deren unversöhnlichem Hass auf das Schiitentum. Mehr noch als die USA ist der Iran der große Feind. Und mehr noch als der Wunsch nach religiöser Reinigung eint ISIS und Gulfies der Abscheu vor den Schiiten, die sich nach dem Sturz Husseins des Irak bemächtigt und die Sunnis aus allen Ämtern vertrieben haben.

Der Gegensatz zum Iran ist auch der Hauptgrund, warum Amis und Israelis den Zarkawismus von Anfang als Verbündeten auf strategischer Ebene verstanden, obwohl sie ihn manchmal taktisch bekämpfen; der Hauptgrund, warum - wie Pepe Escobar schreibt - der US-Geheimdienst “nicht in der Lage ist, einen Konvoy aus glitzernd Toyotas in der irakischen Wüste zu identifizieren.”

Literatur:

In der Basler Zeitung findet sich ein  sehr guter Artikel zum Thema. Deutschsprachiges findet sich auch in diesem Blog.

Hier und hier sind zwei Stücke in englischer Sprache.

Unabhängiger Journalist

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