Die Journaille ist voll mit imaginierten und wirklichen Possen europäischer & amerikanischer Rechts-Popos – Absurdes von unseren Links-Popos interessiert dagegen nur wenige. Dieser Blogger hat sich deshalb ein paar neuere Bücher über SYRIZA & Podemos angesehen und versucht, ein grobes Bild von den vergangenen fünf Jahren zu skizzieren. Das Thema sollte eigentlich alle Demokraten interessieren – handelt es sich in beiden Fällen doch um demokratische Parteien bzw. Bewegungen – mit einem einigermaßen unterschiedlichen Verständnis von “Volk” und “Volksherrschaft”.
Als Quellen dienen hier das von Giorgos Katsambekis und Alexandros Kioupkiolis herausgegebene The Populist Radical Left in Europe sowie das schon etwas ältere Podemos and the New Political Cycle: Left-Wing Populism and Anti-Establishment Politics, editiert von Oscar García Agustín und Marco Briziarelli. Auch Paolo Gerbaudos The Mask and the Flag ist weiter führend.
Dazu sei zweierlei vorausgeschickt:
- Die Autoren und Herausgeber der Quellen sind in der europäischen Academia eingebettete linksradikale Politologen, die nicht eben ein Bild “sine ira et studio” zeichnen wollen und deren Intention nur zum Teil eine darstellerische ist. Ein wuchtiger Teil dreht sich um die theoretische Einordnung des Phänomens Linkspopulismus – und spätestens an dieser Stelle findet sich der arglose Leser in diffizilen theoretischen Debatten wieder, die gerade einmal ein paar Dutzend Leute zwischen Thessaloniki, Aaalborg und London verstehen (und die von nicht besonders vielen als relevant angesehen werden – unsere Laclauistas & Mouffisten dürfte das wenig kümmern).
- Zweitens hat sich seit Erscheinen der Bücher Neues ergeben. Die zwei Paradebeispiele für Linkspopulismus haben bei den jüngsten Parlamentswahlen kräftig Federn lassen müssen- Podemos ist in Spanien um fünf Prozentpunkte auf 16 Prozent abgesackt und von der neu erstarkten sozialdemokratischen Konkurrenz abgehängt worden und Alexis Tsipras und SYRIZA konnten zwar ihre Hegemonie auf der Linken verteidigen – sie mussten aber hinnehmen, dass die konservativ-zentristische Nea Dimokratia (ND) ein unglaubliches Comeback feierte und in den kommenden Jahren allein regieren wird. Beide Resultate sind Zwischenergebnisse und bedeuten nicht zwingend, dass der Stern der Links-Popos im Sinken ist – aber einfach ignorieren ist auch nicht angemessen).
Aganaktismenoi & Indignados
Am Anfang des bisherigen Erfolgswegs der Links-Popos stand im Südosten wie in Südwesten die Euro-Krise.
Diese begann 2009/10 in Griechenland, anlässlich eines eigentlich routinemäßig anstehenden Regierungswechsels zwischen ND und PASOK, durch den “die Investoren” auf die angeblich bis dahin übersehenen hellenischen Staatsschulden aufmerksam wurden.
Nun lässt sich durchaus argumentieren, dass die zentristischen Volksparteien zur ungeteilten Hand für die Schuldenwirtschaft und das Reiten der Euro-Bubble verantwortlich waren – und Populismus mag dabei eine zentrale Rolle gespielt haben.
Der Vater des 2009 neu antretenden PASOK-Premiers Giorgos, Andreas Papandreou, war in den 1980ern sogar der “Erfinder” des demokratischen Populismus in Griechenland, noch lange vor dem Euro.
Mit dem Euro solte es noch leichter werden, die aus dem zentristischen Populismus entstehenden gesellschaftlichen Kosten anderen “anzuhängen”, vorübergehend.
Es folgten Feuerwehraktionen der EU-Finanzminister und der “Austeritätskurs”, den “die EU” Athen für geleistete Hilfe abverlangte (z.B. über den neuen EFSM, etc.)
Gegen diesen von außen induzierten, tlw. extremen “Sparkurs” entiwickelte sich eine von Linken und Jungen getragene Protestbewegung, bei der öffentliche Plätze besetzt wurden, die aganaktismenoi.
Diese wurden, sozusagen exklusiv von der SYRIZA beachtet und kooptiert, einer schon seit 2004 bestehenden Sammelbewegung links der PASOK
- und das war, erläutert Katsambekis, der Treibsatz, der diese Partei Anfang 2015 in die Regierung katapultierte.
Die PASOK, die – wie die ND – den Austeritätskurs der “Troika” mit trug, wurde dabei zertrümmert – ohne dass es bisher zu einer nennenswerten Regneration gekommen wäre.
Die in “Bewegung für Veränderung” umbenannten Sozialdemokraten kamen 2019 selbst nach vier SYRIZA-ANEL-Jahren suf kaum mehr als acht Prozent (die ND erreichte, wie erwähnt, wieder die absolute Mehrheit).
Ähnlich die Situation in Spanien.
Die zur gleichen Zeit wie in Griechenland entstehende Platzbesetzerbewegung (M15, “Indignados”) war per se zwar ein liquides, schnell vergängliches Phänomen
- die Bewegung mündete jedoch direkt in die Gründung der von akademischen Gauchisten geführten Podemos (2014/15), die der sozialdemokratischen PSOE massenhaft Stimmen abnahm.
2015 erreichten die spanischen Linkspopulisten mit 21 Prozent der Stimmen einen vorläufigen Höhepumkt. Dieser ist seither freilich wieder abgebröckelt – u.a. wg. “Erholung der Sozialdemokraten”, “Querelen in der Podemos-Führung”, “Konflikt um den katalonischen Separatismus” (die linken Wissenschaftler führen den Rückgang eher auf Zentralisierung, Bürokratisierung und Personenkult zurück).Im Unterschied zu SYRIZA
- entstand Podemos erst aus der Platzbesetzerbewegung,
- war P. (bisher) nicht an einer nationalen Regierung beteiligt und
- setzte Podemos der PSOE zwar zu, zertrümmerte diese aber nicht.
El Pueblo & La Gente
Wie der Liebliungsfeind der Mainstream-Medien, die (r)echten Populisten, setzt auch die linke Spielart des P. auf die
- Berufung auf/Legitimation durch das Volk bzw. die Bevölkerung
- sowie auf den Gegensatz zwischen diesem und “der Elite”.
Anders als Rechte verstehen die Links-Popos unter “Wir” freilich weder ein Ethnos noch eine eine Nation – ja nicht einmal alle Staatsbürger.
Das Volk ist für sie plurinational und reicht über Staatsgrenzen hinaus.
Es ist die Menge, “la gente” (“die Leute)”. Es sind “die Vielen”, “die Empörten” und “die Unterdrückten”.
Auch unter “Demokratie” wird gemeinhin etwas anderes verstanden als “der Wille der Mehrheit der Staatsbürger bzw. Stimmberechtigten”.
Demokratie ist für die Linke, was der Mehrheit nutzt – und was das genau ist, wird im Diskurs bestimmt (der wiederum von speziell geschulten Wortführern geprägt wird).
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