Eine Politikwissenschaftlerin am Bard College stellt sich die Frage, wie die USA agieren könnten um einen großen Krieg gegen die Volksrepublik China zu vermeiden und beäugt dafür die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs, als die aufstrebende Mittelmacht Deutsches Reich nach Anerkennung als globale Macht suchte und vom Welthegemon gewissermaßen nur “Spott & Hohn” erntete. Die junge Frau scheint dabei hart an der Ausrufung eines Großen Nazi-Alarms vorbeizuschrammen (oder hat es den etwa doch gegeben?)
Das schon zur Jahreswende 2018/19 erschienene Buch der Michelle Murray steht offenbar in der Jahrzehnte langen Tradition eines Schulstreits zwischen Fachleuten für International Relations (IR) – zwischen Realisten und Konstruktivisten.
Dieser Blogger kann – da nicht vom Fach und nur mäßig interessiert – nicht viel dazu sagen,
außer dass es dabei offenbar darum geht, ob zwischenstaatliche Konflikte bloße Folge materieller bzw. machtpolitischer Veränderungen sind oder ob (wie sehr) die außenpolitischen Beziehungen sozial vermittelt bzw. konstruiert sind, was ggf. beim Vermeiden von Krieghandlungen helfen könnte.
Die Autorin hängt der letztgenannten Perspektive an und meint am Schluss:
What the preceding story about the German and American rise to world power status highlights is the importance of understanding what rising peer competitors want when crafting foreign policy responses. If China is indeed seeking recognition of its status as a major power, then the United States must formulate a foreign policy that responds accordingly, recognizing China’s place in the international order. Otherwise, we may be doomed to repeat the misfortunes that contributed to the First World War.”
Deutscher “Revisionismus” vor 1914
Im Wesentlichen, argumentiert sie, war das außen- und militärpolitische (strategische) Handeln des kaiserlichen Deutschland vor 1914 eine Geschichte hoch gespannter Ambitionen eines Newcomers, der von den europäischen Platzhirschen, allen voran England, laufend frustriert worden sei.
Deutschland sei außenpolitisch ständig mis-anerkannt (“misrecognised”) worden, was dessen Aufrüstung, speziell der Flotte befeuert habe – eine rückbezügliche “rekognitive Praxis” (“recognitive practice”) und Ersatzhandlung für eine angemessene Anerkennung durch (empfundene) peers.
Dabei hat der Kaiser manchmal die Grenzen der Etikette und des gesunden Hausverstandes überschritten (sagt dieser Blogger).
England, aber auch Frankreich hätten Deutschland jedenfalls fortwährend brüskiert, schreibt Murray – wenigstens sei das “von Berlin” so empfunden worden.
Anders sei man dagegen mit den USA umgegangen, die zeitgleich mit Deutschland groß und mächtig geworden seien und auch etwa zur gleichen Zeit die “Weltbühne betreten” hätten.
Die Vereinigten Staaten seien von London als Große Macht (“major power”) anerkannt worden,
und zwar schon bei einem Territorialdisput zwischen Venezuela und Britisch-Guiana 1895 (die USA hatten hier zwar “kein Eisen im Feuer” - nicht direkt, aber schon 70 Jahre vor dem Konflikt hatte Washington die Americas zur “eigenen Hemisphäre” erklärt – “Monroe-Doktrin”)
Die (auf Basis gemeinsamen “Angelsachsentums”) letztlich sicher zu erwartende recognition durch Britannien habe 40 Jahre später in die friedliche Übergabe der Welthegemonie an Amerika gemündet (friedlich insofern, als nicht gegeneinander gekämpft wurde).
Dies, meint die Autorin, sei ein Beispiel dafür, dass eine hegemoniale Wachablöse ohne Krieg (gegeneinander) bewerkstelligt worden sei
und wie durch Anerkennung und Einbindung verhindert werden könne, dass aufstrebende Mächte eine “revisionistische Politik” entwickeln;
Gefährliches Terrain
eine revisionistische Politik wie vom Wilhelminischen Deutschland verfolgt, das die Hackordnung in Europa und auf der ganzen Welt in Frage stellte, weil es für sich auch “einen Platz an der Sonne” wollte.
Machtpolitischer Revisionismus, glaubt die Murray, ist nicht etwas, das sich quasi automatisch aus der Interessenslage aufstrebender Mächte ergibt, sondern dieser entsteht auch aus unklugen und arroganten Reaktionen etablierter Mächte, die Destabilisierung, Aufrüstungsspiralen und Brinkmanship aufsteigender Mächte geradezu herausfordern.
Die gute Frau begibt sich hier freilich auf gefährliches Terrain (oder würde das zumindest in Deutschland oder Österreich tun, wo die Akzeptanz bestimmter Narrative conditio sine qua non der Zubilligung akademischer Respektabilität ist).
Die IR-Spezialistin deutet solche riskanten Grenzüberschreitungen ja auch an – indem sie z.B. den Expansionismus des kaiserlichen Japan mit dessen Nicht-Anerkennung durch europäische Großmächte in Zusammenhang bringt (p. 8)
- sie ist aber so klug, den wohl offensichtlichsten, gegen die “Friedensordnung von Versailles” gerichteten Revisionismus nicht zu thematisieren – jenen Nazi-Deutschlands
Dies wäre u.U. der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hätte.
Michelle Murray, The Struggle for Recognition in International Relations.2019
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