Die militärische Vernichtung des Islamischen Staats und das Ende des Syrischen Bürgerkriegs (der keiner war) haben den Nahen Osten tiefgreifend verändert, dessen staatliche Strukturen aber so belassen wie diese seit 100 Jahren waren. Zwei noch “druckfrische” Bücher, das eines israelischen und jenes eines US-amerikanischen Journalisten, lassen den Kampf gegen das Kalifat Revue passieren und erlauben ihren Leserm einen Ausblick auf die Zukunft der Region.
Eigentlich geht es nur um eine, die zweite Hälfte des Kriegs in Syrien, denn die Daesh tauchte erst 2014 auf der Bildfläche auf und wurde im Oktober 2017 aus ihrer letzten Hauptstadt Raqqa geworfen,
von kurdisch-arabischen (“SDF”) und US-amerikanischen Soldaten.
Obwohl der Spuk der Pop-Islamisten nur drei Jahre währte, kostete er Zehntausenden das Leben und bereicherte die Weltgeschichte der Grausamkeit und Barbarei um noch nie dagewesene “Höhepunkte”, etwa das Massaker an den Jesiden von Sindschar,
das selbst den abgebrühten Kriegsreporter der Jerusalem Post entgeisterte, oder die kulturellen Verwüstungen in Palmyra (Syrien) und im irakischen Nimrud, der Kapitale des Assyrischen Reichs vor 2.600 Jahren.
Frantzman vergleicht die islamistischen Terroristen mit den Nazis und den Roten Khmer, sieht sie aber trotzdem als irgendwie singuläres Phänomen an, als Extremwert in einer an Grausamkeit nicht eben armen Weltgegend.
Trotz dichter und ziemlich eindeutiger Indizien für die Involvierung amerikanischer, westeuropäischer (und israelischer?) Geheimdienste diffamiert Frantzman die Ansicht, die CIA habe über befreundete Strukturen in der Türkei den IS für dessen Schandtaten erst ertüchtigt, hartnäckig als “Verschwörungstheorie”
und zeichnet einen durchgängigen Gegensatz zwischen den kurdischen Organisationen und Institutionen im Irak und in Syrien und den typischerweise arabischen Extrem-Sunnis der Daesh.
Leute wie dieser in Damaskus sitzende Beobachter widersprechen. Es gebe anscheinend keinen wirklichen Gegensatz zwischen YPG/PKK und Daesh.
Etablierte Regionalmächte, russischer Powerbroker
Trotz des offenkundigen blinden Flecks Frantzmans ist nicht viel gegen die Anayse des JP-Journos einzuwenden, der im Iran den großen Profiteur der militärischen Vernichtung der Daesh sieht,
zusammen mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad, der Aufstand und Stellvertreterkrieg seit 2011 (politisch) überlebt hat und natürlich den Russen, die in der Region viel Macht gewonnen haben.
Nach dem Rückzug der Amerikaner stünden sich im Nahen Osten drei – oft nur implizite – Allianzen gegenüber, nämlich
- das iranisch-schiitische Bündnis,
- die Achse Türkei und Katar sowie
- Saudiarabien und dessen Freunde (die die Dinge so ähnlich sähen wie Israel).
Den Nagel auf den Kopf trifft Frantzman jedenfalls mit seinem vierten Zukunftsszenario Turkey launches an Operation in Eastern Syria, das die aktuellen Entwicklungen akkurat voraussagt
- nur dass sich die türkischen Operationen gegen Kurden-Organisationen auf einen 32 Kilometer breiten Grenzstreifen beschränken und rechtlich von der 21 Jahre alten Vereinbarung von Adana gedeckt sind, siehe hier und hier.
Erdogan scheint es wenigstens östlich des Euphrat
- weder auf eine Beherrschung der kurdisch besiedelten (und “ethnisch von Arabern gereinigten”) Gebiete in Nordsyrien abgesehen zu haben,
- noch greift er (bisher) nach den Erdölfeldern um Raqqa und Deir Ezzor.
Der Vereinbarungscharakter der Vorgänge an der türkisch-syrischen Grenze wird durch das Foto jener drei Staatsmänner augenfällig, die sich Mitte September zu Gesprächen um Rahmen des sogenannten Astana-Formats getroffen haben und von denen sich
die Befürworter eines unabhängigen kurdischen Staats nicht allzuviel erwarten sollten;
jedenfalls nicht, dass diese die Nachfolgeregelungen der Briten nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende des Osmanischen Reichs über den Haufen werfen würden (was Daesh beabsichtigte).
Das Treffen von Erdogan, Rouhani und Putin ähnelt einer Konferenz der Siegerstaaten des Ersten Weltkriegs insoferne, als dabei etablierte staatliche Akteure “Ordnungspolitik machen”
- freilich aktuelle staatliche Regionalmächte, keine weit entfernten Kolonialherren, diesfalls unter russischer Oberhoheit.
Das begrenzt das Gewaltpotenzial durch kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Akteuren, bedeutet aber, dass nur Repräsentanten um den Verhandlungstisch sitzen, die nicht das geringste Interesse an einem “Freien Kurdistan” haben
(insoferne wäre die angeblich mit vereinbarte kulturelle Autonomie innerhalb des syrischen Staatsverbands ein gewisser Fortschritt – was bezüglich der Öl- und Gasproduktion zwischen Damaskus und den Kurden vereinbart wurde, ist noch nicht bekannt).
Seth J. Frantzman, After Isis. America, Iran and the Struggle for the Middle East. 2019
Mike Giglio, Shatter the Nations. Isis and the War for the Caliphate. 2019
Thierry Meyssan, Les insolubles contradictions de Daesh et du PKK/YPG
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